In Rietschen geht es Sonntag um die Wurst
Herausforderer Torsten Lorenscheit hatte letzten Sonntag einen Infostand mit Bratwursttheke vor dem Kino von Rietschen aufgebaut. Maria Meier kredenzte ihm eine Bratwurst. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Die zweiten sieben Amtsjahre von Rietschens Bürgermeister Ralf Brehmer sind abgelaufen. Mit Torsten Lorenscheit gibt es einen Herausforderer. Da große inhaltliche Differenzen nicht erkennbar sind: Worum geht es dann?
Ralf Brehmer – hier in der Erlichthofsiedlung – will es noch einmal wissen, hat aber auch einen Plan B. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Rietschen. Wie in manch eher kleiner Gemeinde, geht es auch in Rietschen in der Kommunalpolitik pragmatisch zu und Bürgermeisterkandidat Torsten Lorenscheit meint auf die Frage, ob es echte Unterschiede zwischen ihm und dem amtierenden Bürgermeister Ralf Brehmer (SPD) gibt oder ob es einfach notwendig sei, dass es bei einer Wahl wenigstens eine Alternative gibt: „Die Antwort liegt dazwischen“.
Gut, die großen Kontroversen fehlen also, aber Torsten Lorenscheit kommt dann doch schnell auf die Kommunikation, an der er Kritik übt und die den Wähler am ehesten am 27. Oktober an die Urnen rufen soll. Ralf Brehmer, der seit 2010 im Amt ist, hatte ursprünglich nicht mit einer Kandidatur seines langjährigen Weggefährten Lorenscheit trotz kleinerer Unstimmigkeiten gerechnet und macht bei einem Sonntagmittagscafé in der Erlichthofsiedlung auch keinen Hehl daraus, dass er sich weiterhin in der Verantwortung sehe, bereits angestoßene Projekte wie die Entwicklung des Gewerbegebiets an der Bahn bei Teicha oder den Strukturwandel zu begleiten. Sein Wissen, seine gute Vernetzung in der regionalen wie überregionalen Politik, könnten nicht nur seiner Ansicht nach der Gemeinde weiterhin nützlich sein, selbst wenn er nicht wiedergewählt würde. Torsten Lorenscheit will dem auch gar nicht widersprechen. Beim Kaffe auf sein Netzwerk angesprochen, lässt Ralf Brehmer die Bemerkung fallen, er habe auch eine Telefonnummer ins Vorzimmer des Kanzlers. Brehmer schmunzelt dabei und es bleibt offen, ob er tatsächlich nur aus dem Nähkästchen geplaudert hat oder hier gerne wahlkampfwerbend kokettiert. Sympathisch rüberbringend ist Ralf Brehmer aber unzweifelhaft ein Meister des Understatements.
Er verrät der Redaktion sogar, wie sein beruflicher Plan B im Falle einer Niederlage am Sonntag aussehe – einen Hehl daraus, dass er keine sonderlichen Ambitionen verspüre, noch einmal auf den alten Posten als Rietschener Bauamtsleiter zurückzukehren, der ihm wieder offenstünde – macht er nicht.
„WIR“-Politiker am Stand vor dem Gewandhaus in Daubitz – v.l.n.r.: Steffen Hilke, Jan Anders, Ingo Schuster, Robert Meier und – nicht im Gemeinderat – René Wenzel. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Er sei eben ein politischer Ausdauersportler, den Gegenwind eher stärker mache. Das Stichwort, nun stünden sich vielleicht zwei Alphatiere gegenüber, entkräftet Ralf Brehmer mit der Bemerkung, er könne gut aus der zweiten Reihe agieren, denke zwei oder dreimal nach, ehe er sich festlege. „Ich stelle Dinge auch selbst in Frage“, sagt er und sieht dies als eine seiner Stärken.
Zur Kritik von Torsten Lorenscheit an einem zähen Informationsfluss Brehmers entgegnet dieser: „Gut, wir laden in der Gemeinde mit E-Mail ein. Wenn er auf Zettel besteht, steht ihm das zu, aber der Fortschritt ist digital.“ Vor und nach dem Gespräch mit Ralf Brehmer schaut die Redaktion vormittags zunächst beim Wahlkampf von Torsten Lorenscheit im Daubitzer Gewandhaus und ab 13.00 Uhr am Kino in Rietschen vorbei. Geht es im größeren Rietschen eher beschaulich zu, ist der Andrang im kleineren Daubitz größer.
Aus der WIR (Wir in Rietschen)-Fraktion erläutert Robert Meier: „Die Wahlen in Rietschen werden traditionell in Daubitz entschieden“ und merkt damit an, dass der Menschenschlag hier schon ein anderer sei. „Die Daubitzer sehen sich als Schlesier“, er sehe sich als Lausitzer. Sprich: Auch auf dem Land gibt es noch einmal das Gefälle zwischen Traditionalismus und jüngeren Performern in der „Zentrale“. Und so sei WIR im Grunde auch aus dem Umstand entstanden, dass in CDU oder bei Freien Wählern die Jüngeren nicht zum Zuge kommen durften. Torsten Lorenscheit nahm die Sache vor einem Jahrzehnt selbst in die Hand und holte ein Gemeindemandat mit Stimmen, die für zwei gereicht hätte. Ein Platz blieb damals im Gemeinderat leer. Im Bunde mit Robert Meier und anderen entwickelte sich daraus eine neue Kraft in der Gemeinde, die sich vor allem als Sprachrohr von Vereinen sah.
Dennoch ist es natürlich komplizierter, denn beide Kandidaten haben ihre jeweilige Hausmacht. Während Ralf Brehmer altbewährte politische Netzwerke vorweist, ist Torsten Lorenscheit neben mehreren Vereinsaktivitäten als Versicherungsmakler jedermann bekannt. 300 bis 400 Kunden habe er in Rietschen, 1.000 drumherum. Auch als Bürgermeister wolle er den Betrieb mit zwei Angestellten aufrechterhalten, wenngleich er sich aus dem Immobilienmarkt dann zurückziehen werde. Sein Kontrahent sieht das als Manko: „Es ist sehr schwierig, ein Versicherungsbüro mitlaufen zu lassen.“
Bei der Erschließung des Industrie- und Gewerbegebiets Teicha, dessen Finanzierung auf 15 bis 17 Millionen Euro geschätzt wird, wollen beide Kandidaten Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. In der Frage, wie kommunale Gebäude den Vereinen der Gemeinde zugänglich gemacht werden können, gibt es ebenso Einigkeit. Beide betonen, dass die Gebäude bereits mietfrei zur Verfügung stehen und die Diskussion sich nun um eine gerechte Verteilung der Betriebskosten dreht – gibt es hier Begünstigte und Benachteiligte? Hier könnte wieder Involvierung und die Chemie die erste Geige spielen.
Auch im Wohnungsbau sind Differenzen nicht wirklich sichtbar, zumal Brehmer wie Lorenscheit die Sanierungssatzung unterstützen, um Fördermöglichkeiten für die Gemeinde zu öffnen und privaten Hausbesitzern steuerliche Vorteile zu ermöglichen. Torsten Lorenscheit spricht vom Neubaugebiet Nieder Prauske und macht damit noch einmal deutlich, dass manche in ihm tendenziell den Kandidaten der Jüngeren sehen. Dazu passt auch sein Verweis auf die Bedeutung des Dorfentwicklungskonzeptes. Brehmer spricht als alter Hase über geplante Sanierungen im kommunalen Gebäudebestand.
Dazu gehört aber auch das dem Kino gegenüberliegende Mallmann-Center, wo ein Co-Working-Space mit 90-prozentiger Förderung entstehen soll. „Der Förderbescheid wird diese Woche wohl noch nicht da sein“, bekennt Ralf Brehmer schmunzelnd. Die Vorarbeiten seien quasi in Sack und Tüten, aber vor der Wahl ist die Formalie noch nicht durch, stellt er auf Nachfrage dann fast überrascht fest.
An der zur Schnellstrecke auszubauenden Bahntrasse Berlin-Cottbus-Görlitz gelegen, mit guter Infrastruktur und auch mit touristischen Mehrwerten ausgestattet, kann man trotz Strukturwandel in Rietschen ein vergleichsweise gut bestelltes Feld erkennen. Vieles davon ist Brehmers unstreitbares Verdienst. Am 27. Oktober geht es insofern um die Frage, wie sich daran feinjustieren lässt. Das ist nicht allein eine Generationsfrage, sondern hat wie so vieles einfach psychologische Komponenten. Wie groß ist die Lust, die Dinge einmal mit einem anderen Stil anzugehen und dabei zu riskieren, dass Netzwerke dann auch neu zu knüpfen sind? Es spricht vieles dafür, dass Daubitz, wo neben Rietschen auch das einzige Wahlbüro öffnet, tatsächlich Zünglein an der Waage spielen könnte. Am Sonntag soll sich die Sonne blicken lassen. Das könnte den ein oder anderen mehr an die Wahlurne locken. Oder ist das gleichbedeutend mit hoher Wahlbeteiligung der Älteren, die eher Beständigkeit lieben? Die gibt es aber ohnehin nicht. Brehmer spricht gerne von Rietschen in einem Lausitzer „Net-Zero-Valley“.