Innenstädte müssen lebenswert bleiben
Die Cafes auf dem Zittauer Marktplatz sind bei schönem Wetter in der Regel gut besucht. Generell lässt die Kundenresonanz in der Innenstadt aber oft zu wünschen übrig. | Foto: Steffen Linke
Der regionale Einzelhandel steht durch Veränderungen im Verbraucherverhalten in einem umfangreichen strukturellen Wandlungsprozess. Steffen Linke, Redakteur von "Alles-Lausitz.de“, befragte dazu Matthias Schwarzbach, Geschäftsstellenleiter der IHK in Zittau. Die IHK-Geschäftsstelle Zittau betreut die Unternehmen des ehemaligen Landkreises Löbau/Zittau.
Herr Schwarzbach, wie schätzen Sie ganz allgemein die derzeitige Situation des innerstädtischen Einzelhandels in der Region ein?
Matthias Schwarzbach: Bei dieser Frage stelle ich immer meinem Gegenüber die Gegenfrage: Was haben Printmedien und der stationäre Einzelhandel gemeinsam? Sie müssen sich infolge geänderter Rahmenbedingungen wie zum Beispiel der Demografie, den kleineren Haushalten, der Dynamik der digitalen Angebote, dem Internet als Informationsquelle und dem geänderten Kundenverhalten stets neu erfinden, um am Markt bestehen zu können. Der Einzelhandel wird Sortimente, Warenpräsentationen und teilweise seine Handelsformate anpassen müssen, um den Anforderungen seiner Kunden in Zukunft gerecht zu werden.
Welche regionalen Unterschiede gibt es zum Beispiel zwischen Zittau und Löbau?
Matthias Schwarzbach: Zittau profitiert ganz klar von Kunden aus Tschechien und sicher auch polnischen Bürgern. Löbau hingegen hat eine bessere Lage im Raum, ist verkehrstechnisch besser an das zentrale Verkehrsnetz angeschlossen. Ansonsten ähnelt sich die Situation gleichermaßen.
Inwieweit stehen die Städte, bleiben wir mal bei Löbau und Zittau, in der Pflicht, den innerstädtischen Einzelhandel zu fördern, sprich attraktive Rahmenbedingungen für den Handel zu schaffen?
Matthias Schwarzbach: Handel und Innenstadt sind eine untrennbare Einheit. Gehen Sie doch mal sonntags über den Zittauer oder Löbauer Marktplatz und vergleichen Sie das mit einem ganz normalen Werktag oder vielleicht noch einem Wochenmarkt in der Stadt. Da können Sie diese Aussage deutlich nachvollziehen. Circa 60 Prozent der Verkaufsflächen im Einzelhandel in Deutschland befinden sich innerhalb der Innenstädte.Hier werden 70 Prozent der Einzelhandelsumsätze erzielt. Attraktive Einzelhandelsgeschäfte sind noch immer der häufigste Grund, warum Menschen die Innenstädte aufsuchen. Es ist also selbstredend, dass es das ureigene Interesse der Stadtväter sein muss, den innerstädtischen Handel zu fördern.
Geschieht das aus Ihrer Sicht in ausreichendem Maß in Zittau und Löbau?
Matthias Schwarzbach, Geschäftsstellenleiter der IHK in Zittau, stand zur Situation des innerstädtischen Einzelhandels in der Region Rede und Antwort. | Foto: IHK
Matthias Schwarzbach: In Zittau spürt der Insider bei Verantwortlichen und Zuständigen, dass man sich dieser Tatsache durchaus bewusst ist. Zittau hat Potenzial und bemüht sich vielschichtig um eine positive und nachhaltige Stadtentwicklung. Zittau schreibt zum Beispiel momentan seine Einzelhandelskonzeption fort und schafft somit die Grundlage für eine strategische und städtebaulich verträgliche Einzelhandelsentwicklung im Stadtgebiet. Das ist vorbildlich in Zeiten knapper Kassen. Ich glaube, dass sich auch in Löbau in dieser Hinsicht etwas bewegt.
Was müsste von Seiten der Städte Löbau und Zittau besser gemacht werden, um den Einzelhandel zu beleben?
Matthias Schwarzbach: Die Stadt muss Ansprechpartner für den Einzelhandel sein und deren Sorgen und Nöte ernst nehmen. Eine umfängliche, permanente Kommunikation ist wichtig und schafft gegenseitiges Verständnis, zum Beispiel während der Zeit von Baumaßnahmen. Auch müssen „Repressalien“ im Erträglichen und Augenmaß das oberste Gebot im Ordnungsamt bleiben.
Wo müssen die Handel- und Gewebetreibenden selbst den Hebel ansetzen, um mehr Kundenpotenzial zu erreichen?
Matthias Schwarzbach: Händler müssen ihre Kräfte bündeln und mit einer Stimme sprechen. In Zittau haben wir beispielsweise die Kraft der Gemeinschaft beim Bürgerentscheid zum Parken auf dem Markt deutlich gespürt. Ich hoffe auf einen Aha-Effekt dabei. Der stationäre Einzelhandel verharrt aber vielfach im Status der 90er Jahre. Ich rede von der „Nabelschau im Handel“ und stelle die Frage: „Würden Sie in Ihrem Geschäft mit Freude einkaufen“?
Der stationäre Handel kann und muss vom Online-Handel lernen, der agil ist und sich den Trends stellt. Der stationäre Handel muss sich aber auch auf seine historischen Stärken besinnen – die emotionale Bindung des Kunden. Der Kunde wählt den Händler vor Ort wegen seiner Spontaneität, Inspiration und wegen des echten haptischen Produkterlebens. Und er muss sich an den Bedürfnissen der Kunden orientieren: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.
Müssen weitere gemeinschaftliche, ja durchaus funktionierende Erlebniseinkäufe, wie zum Beispiel der Osterhasentag in Löbau oder das Lichterfest in Zittau, organisiert bzw. ins Leben gerufen werden? Oder nutzt sich das dann eher ab?
Matthias Schwarzbach: Die Werbegemeinschaft „Zittau – lebendige Stadt“ e.V. und die Stadtverwaltung organisieren richtigerweise zusätzliche Highlights in der Innenstadt, um Besucher anzulocken und um sich durch das historische Flair und die Individualität der Geschäfte von den autoorientierten Einkaufslagen abzugrenzen. Sie schaffen für den Kunden einen Mehrwert – das zusätzliche Erlebnis. Das ist voll und ganz richtig und im Trend. Löbau tut das auch mit besonderen Tagen in der Innenstadt.
In den Städten Löbau und Zittau laufen die Bestrebungen darauf hinaus, einen Citymanager einzuführen, um damit dem Einzelhandel neue Impulse zu verleihen. Was halten bzw. versprechen Sie sich davon?
Matthias Schwarzbach: Wir haben als IHK selbst dieses Thema in Zittau noch einmal aufgegriffen und der Werbegemeinschaft in ihrem Bemühen zur Institutionalisierung des Citymanagements den Rücken gestärkt. Viele der bisherigen Aktivitäten mit Mehrwerten erfolgen im ehrenamtlichen Engagement. Das ist aber endlich. Will man das Innenstadtleben beflügeln, bedarf es strategischer und operativer Gestaltung von Prozessen und Projekten. Hierfür benötigt man einen „zentralen Kümmerer“, einen Brückenbauer, einen Interessenvertreter – einen Citymanager, egal wie wir diese Person nennen wollen. Wichtig ist aber, dass das ehrenamtliche Engagement danach nicht nachlassen darf. Der Citymanager ist das Sahnehäubchen und führt mit seinem Tun zum Erfolg, wozu im Ehrenamt manchmal auf den letzten Metern die Kraft nicht mehr reicht.
Welche Bedeutung haben heute zum Beispiel noch Service, persönliche Kundenbeziehungen und eine fachgerechte, kompetente Beratung im Einzelhandel?
Matthias Schwarzbach: Der Kunde wählt den Händler vor Ort wegen seiner persönlichen Bindung und wegen des echten haptischen Produkterlebens. Er sucht oftmals eine gute Beratung, den Service und das Einkaufserlebnis. Dem stationären Einzelhändler muss es gelingen, für seine Produkte Inhalte zu schaffen, die dem Nutzer Mehrwerte bieten. Er muss auf Regionalität und emotionale Storys setzen, um Kunden zu binden. Dann wird sich auch der Erfolg einstellen.
Der Online-Handel im Internet tritt immer mehr in den Wettbewerb zum stationären Einzelhandel. Welche Schlüsse müssen die ortsansässigen Geschäftsleute daraus ziehen?
Matthias Schwarzbach: Ich bin fest davon überzeugt, dass zukünftig – stärker als bisher – die Vorteile des stationären Handels mit den Vorteilen der Online-Welt verbunden werden müssen: im Internet bestellen und im Geschäft abholen, nach Hause gelieferte Waren im Geschäft zurückgeben oder im Internet prüfen, ob bestimmte Produkte im Geschäft im Bestand sind. Die Kunden wollen in Zukunft wissen, ob ein Artikel bei seinem Händler des Vertrauens verfügbar ist, bevor sie das Haus verlassen. Viele junge Menschen misstrauen Unternehmen, die sie auf gängigen Informationsportalen nicht finden. Jeder fünfte Jugendliche unter 30 Jahren gab bei einer Untersuchung an, hier dann nicht zu kaufen Das trifft sicher nicht für alle Handelssparten zu, aber für viele.
Besteht die Gefahr, dass die Innenstädte in der Region veröden, weil zunehmend immer mehr Geschäfte schließen müssen?
Matthias Schwarzbach: Ganz klar: Diese Sorge treibt mich als studierter Städtebauer um. Handel und Stadt sind dabei quasi Partner. Handel ist wichtige Voraussetzung für Urbanität und eine vitale Stadt. Deshalb unterstützen wir als Kammer auch die Einzelhändler.
Inwieweit kann die IHK den Einzelhändlern in der Region in Sachen florierender Handel helfen?
Matthias Schwarzbach: Ich denke, wir sensibilisieren unsere Mitglieder in der Sache. Wir geben Impulse zum nachhaltigen Handeln und machen Mut. Dazu bedienen wir uns oftmals ausgesprochener Fachleute. Fakt ist: Ein „weiter so wie bisher“ ist zu kurz gesprungen – ebenso wie den Kopf in den Sand zu stecken.
Nehmen die Händler in der Region diesen Service der IHK gut an?
Matthias Schwarzbach: An dieser Stelle ist mir die Qualität – also die nachhaltige Wirkung unserer Angebote bei den Zielgruppen – wichtiger als die Quantität. Ich bin davon überzeugt, dass wir gute Angebote und gute Veranstaltungen im IHK-Team Zittau anbieten. Das zeigen uns immer wieder Reaktionen der Teilnehmer nach den Veranstaltungen. Wer die Angebote also nicht nutzt, schadet sich selbst. Wissen Sie, mich kennen im Altlandkreis unheimlich viele Menschen. Manche entschuldigen sich bei mir wegen ihres Fehlens. Ich sage immer, dass es mir für den- oder diejenige Leid tut, dass sie die Veranstaltung verpasst hat. Wir machen das als IHK nicht für uns, sondern für unsere Mitglieder und zwar gern und mit Herz.
Wie wichtig ist ein florierender Einzelhandel für die Innenstädte in der Region?
Matthias Schwarzbach: Eine Stadt braucht den Handel und große Teile des Handels sind auf funktionierende Städte angewiesen. Beide stehen in unmittelbarer Wechselbeziehung. Ziel all unserer Bemühungen muss sein, die Innenstädte und Ortszentren mit ihren Versorgungsfunktionen als Standorte des Einzelhandels zu sichern und zu erhalten. Gut funktionierender Innenstadthandel bewirkt Passantenfrequenz und Nutzungsmischung – eine wichtige Voraussetzung für eine vitale Stadt. Ich wünsche mir, dass unsere Städte lebenswert bleiben, mit einem positiven Image belegt sind und die Einzelhändler sich als Markenbotschafter und Multiplikatoren unserer Innenstädte begreifen. Sie sind der Fingerabdruck der Stadt. Einzelhandelsunternehmen tragen erheblich zur Unverwechselbarkeit und Attraktivität unserer Städte bei.