Ist die Friedrich-Engels-Straße in Görlitz noch zeitgemäß?
Björn Akstinat hat mit seinem Bruder Zitate von Marx und Engels aufgespürt und mit Harry Rowohlt, Gregor Gysi und Anna Thalbach eine CD daraus erstellt. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Björn Akstinat hat mit seinem Bruder Zitate von Marx und Engels aufgespürt und mit Harry Rowohlt, Gregor Gysi und Anna Thalbach eine CD daraus erstellt. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Nach der friedlichen Revolution entledigte sich Niesky im Stadtzentrum seiner Friedrich-Engels-Straße, der heutigen Ödernitzer Straße. Anders in Görlitz: Die Friedrich-Engels-Straße in Weinhübel heißt so auch noch kurz nach dessen 200. Geburtstag am 28. November 2020. Ist ihr Name noch zeitgemäß?
Görlitz. Ein großer Supermarkt, die Defa-Regenbogen-Grundschule oder die Görlitzer Werkstätten liegen an der Görlitzer Friedrich-Engels-Straße. Dennoch ist diese keine Durchgangsstraße. Dank vielgenutzer Einrichtungen ist sie jedoch eben auch keine Nebenstraße ohne Gewicht.
Und das in einer Zeit, in der der Bildersturm schon an harmlosen Mohrenstraßen und -apotheken rüttelt, an politischen Größen der Kaiserzeit oder selbst an Martin Luther. Dabei hat Karl Marx’ Gefährte Friedrich Engels, einer der umstrittensten und zugleich berühmtesten Männer der politischen Geschichte, uns manche Haltungen überliefert, bei denen heute ein Ausschluss aus allen Parteien zu erwarten wäre. So schrieb der am 20. November 1820 in Barmen (heute Wuppertal) geborene Vordenker des Kommunismus: „Die polnischen Juden, diese schmutzigste aller Rassen ...“ Deutschtümelei, ja Kriegstreiberei würden seine Anhänger heute wittern, wenn sie aus anderem Munde seine Aussage von 1841 vernehmen würden: „Es ist eine fixe Idee bei den Franzosen, dass der Rhein ihr Eigentum sei, aber die einzige des deutschen Volkes würdige Antwort auf diese anmaßende Forderung ist ’Heraus mit dem Elsass und Lothringen!’“.
Das gesellschaftliche Todesurteil wäre spätestens seine Einschätzung aus dem Jahre 1869 über homosexuelle Politiker: „Die Päderasten fangen an sich zu zählen und finden, dass sie eine Macht im Staate bilden. ‚Krieg den Mösen, Friede den Arschlöchern’ wird es jetzt heißen. Es ist nur ein Glück, dass wir persönlich zu alt sind, als dass wir noch beim Sieg dieser Partei fürchten müssten, den Siegern körperlich Tribut zahlen zu müssen.“
Solche Zitate haben die Berliner Publizistenbrüder Akstinat dem Vergessen entrissen, als sie 2009 mit Harry Rowohlt, Gregor Gysi und Anna Thalbach die Hörbuch-CD „Marx & Engels intim“ herausgaben.
Björn Akstinat verrät dem Niederschlesischen Kurier: „Da Gregor Gysi gleich die Brisanz des Hörbuch- und Buchinhalts erkannte, sagte er nach der Anfrage des Verlags recht schnell zu. Er wollte verhindern, dass ein anderer Politpromi engagiert wird. Wenn er selbst beim Hörbuch mitspricht, so meinte er, könne er noch ein wenig Einfluss auf die Präsentation der schockierenden Originalaussagen von Marx und Engels nehmen.“
Kein leichtes Unterfangen, nahmen Marx und Engels in ihrem fast lebenslangen Briefwechsel doch kein Blatt vor den Mund. Simon und Björn Akstinat haben in Archiven sowie Bibliotheken im In- und Ausland verblüffende Passagen aufgespürt, da nach dem Hörbuch vor einem Jahrzehnt nun auch in Buchform nachgelesen werden können.
Die Görlitzer Buchhänderin Carola Preuß von der Comenius-Buchhandlung beteuert, dass die CD schon häufig auf Geschenktischen gelegen hätte. „Ich finde die Zusammenstellung hervorragend und hab die CD schon so oft empfohlen, die ist in und um Görlitz in vielen Haushalten zuhause. Wohl auch, da ja viele Leser von der familiären Herkunft von Gysis Ahnen aus Görlitz wissen.“
Bei einer Diskussion im Görlitzer Theater wusste Gysi vor einigen Jahren sogar schelmisch zu berichten, dass sich „eine Politikerin, die mir gewiss nicht nahe steht“, ihm berichtet habe, die CD auf der Urlaubsreise mehrfach gehört zu haben und sich vor Lachen nicht hätte halten können. Das Publikum verstand die Andeutung und erkannte in der Politikerin wohl richtig die Kanzlerin.
Im Juli 2009 war die CD sogar auf Platz 1 der Hörbuchbestenliste. Björn Akstinat berichtet: „Mein Bruder hatte im Rahmen eines anderen Buchprojektes einige bislang kaum bekannte Aussprüche von Karl Marx entdeckt. Als wir dann bei weiteren Recherchen auf immer mehr schockierende Aussagen bzw. Schriftstücke von Marx und Engels stießen, beschlossen wir, daraus zunächst ein Hörbuch und später ein Buch zu machen.“
Wie denkt Björn Akstinat zehn Jahre später in Zeiten eines neuen Bildersturms über Engels? Müsste man nicht konsequent sein und Marx vom Podest in Chemnitz holen oder in Görlitz die Friedrich-Engels-Straße umzubenennen? „Wenn man in Deutschland Denkmäler abreißen und Straßen umbenennen will, dann müsste man bei denen, die Marx und Engels gewidmet sind, zuerst anfangen. Die beiden erfüllen alle Kriterien der ’Bilderstürmer’. Sie waren Rassisten, Antisemiten und Nationalisten. Ihre Menschenfeindlichkeit machte auch vor der eigenen Verwandtschaft nicht halt.“ So hoffte Engels 1852 mit Marx auf den Tod eines reichen Verwandten, damit man an dessen Geld herankommt und äußerte diesbezüglich: „Zu der Nachricht von der Krankheit des alten Braunschweiger Erbschaftsverhinderers gratuliere ich und hoffe, dass die Katastrophe (sein Tod) endlich eintreten wird.“ Akstinat weiter: „Menschenfreundlich taten sie nur, wenn es ihnen Vorteile brachte. Gerade östlich der Neiße, in Polen, dürfte es keine einzige Engels-Straße oder -Gedenkstätte geben, wenn man bedenkt, was Friedrich Engels am 23. Mai 1851 geschrieben hat: „Je mehr ich über die Geschichte nachdenke, desto klarer wird es mir, dass die Polen eine erledigte Nation sind, die nur so lange als Mittel zu brauchen sind, bis Russland selbst in die agrarische Revolution hineingerissen ist. Von dem Moment an hat Polen absolut keine Daseinsberechtigung mehr. Die Polen haben nie etwas anderes in der Geschichte getan, als tapfere, krakeelsüchtige Dummheiten gespielt. Auch nicht ein einziger Moment ist anzugeben, wo Polen den Fortschritt mit Erfolg repräsentierte oder irgendetwas von historischer Bedeutung tat.”
Gregor Gysi am Grab seiner Görlitzer Vorfahren mit NSK-Redakteur Till Scholtz-Knobloch Foto: Matthias Wehnert
Gibt es überhaupt eine Seite, die Björn Akstiant nach dem umfangreichen Studium Engels’ an ihm positiv abgewinnen kann? Der Niederschlesische Kurier fragte Akstinat, ob er glaube, Engels hätte seine Ideen zwischen 1949 und 1990 in der DDR wiedergefunden. Björn Akstinat meint: „Na, er hat es zu Weltruhm gebracht. Das ist schon bewundernswert. Als verwöhnter Fabrikantensohn, der die kapitalistischen Annehmlichkeiten sehr liebte, hätte es Engels wahrscheinlich nicht lange in der DDR ausgehalten. Dort sind seine Ideen wie überall auf der Welt, wo sie ausprobiert wurden, gescheitert.“
Dass Görlitz an einer Friedrich-Engels-Straße festhält kann man damit begründen, dass Engels die Geschichte geprägt hat und man vor Geschichte nicht fliehen sollte. Dies meint zumindest ein Passant in Weinhübel, als er sieht, dass der Niederschlesische Kurier ein Foto des Straßenschildes Friedrich-Engels-Straße schießt. Er meint: „Zieht man aber dieses Argument, dann muss sich auch jeder andere denkbare Versuch einer Umbenennung verbieten“. Alles andere wäre sonst letztlich eine Art einer Relativierung.
Kommentare zum Artikel "Ist die Friedrich-Engels-Straße in Görlitz noch zeitgemäß?"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Sehr geehrter Herr Till Scholtz-Knobloch,
danke für Ihren mutigen Artikel! Schon lange wollte ich Ihnen für Ihre mutige und faire Berichterstattung danken! Leider fehlte mir bis jetzt immer die dafür notwendige Zeit.
Ein Bekannter ermutigte mich, Ihnen direkt ein paar Zeilen zu schreiben.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie sich mit Ihren Artikeln nicht nur Freunde gemacht haben, widersprechen doch Ihre Artikel der Berichterstattung der „Qualitätsmedien“. Sie können sich gewiss sein, Ihre Artikel kommen bei einem Großteil der Leser sehr gut an!
Ein weiterer Aspekt, den ich an Ihnen schätze, Sie können auch Fehler zugeben, wie das Beispiel zu Ihrem Artikel über die Görlitzer Synagoge sehr gut gezeigt hat.
Bitte machen Sie weiter so!
Karsten Weiß