Ist die Lessingstadt jetzt völlig Dada?
Eine ganz besondere Attraktion im neu eröffneten DADA-Zentrum stellt der bei der Firma Heidsieck hergestellte „Kamenzer Tiegel“ – hier bedient durch Kurator Johannes Schwabe – dar.
Kamenz. Wenn es um Kunst und Kultur in Kamenz geht, dann wandern die Gedanken sofort zum berühmtesten Sohn der Stadt, die zu seinen Ehren ja auch den Beinamen Lessingstadt trägt. Als nächstes fällt einem Baselitz ein, der weltweit zu den gefragtesten zeitgenössischen Künstlern zählt und seinen Geburtsort, heute ein Stadtteil von Kamenz, in seinem Künstlernamen verewigt hat. Und schließlich bildet auch die für eine Stadt dieser Größenordnung außergewöhnlich reiche sakrale Kunst einen Anziehungspunkt mit weit reichender Ausstrahlung.
Ist das nicht genug Kultur für eine Stadt mit knapp 17.000 Einwohnern?, könnte man fragen. Die Antwort lautet ganz klar: nein. „Wir sind immer neugierig auf und interessiert an neuen Kunst-Angeboten“, erklärt der Kamenzer Oberbürgermeister Roland Dantz. Und so stieß das 2019 erstmals geäußerte Ansinnen, in den Erdgeschossräumen der (damals noch unsanierten) Alten Posthalterei Zwingerstraße 20 ein „DADA-Zentrum“ einzurichten, von Anfang an auf offene Ohren. Dabei trafen zwei Anliegen in geradezu perfekter Weise aufeinander, von denen jedes die Lösung des jeweils anderen in sich trug: „Da war eine Gruppe von MailArt-Künstlern aus dem Umfeld von Dresden, die eine dauerhafte Bleibe für ihre Kunstwerke suchten. Und es gab den Wunsch der neuen Eigentümerin des Hauses Zwingerstraße 20, der Stiftung Pro Gemeinsinn, die Erdgeschossräume für künstlerische Zwecke zu öffnen“, erklärt Roland Dantz. Beide fanden in der mit der Sanierung der Alten Posthalterei betrauten Architektin Ina Hofmann aus Schwepnitz eine Vermittlerin, die 2019 in dieser Angelegenheit beim Oberbürgermeister vorsprach.
Heute nun ist die Alte Posthalterei vorbildlich saniert und beherbergt in ihrem Obergeschoss Büro- und Schulungsräume der Stiftung Pro Gemeinsinn.
Und im Erdgeschoss erfolgte vor wenigen Tagen tatsächlich die Eröffnung des „DADA-Zentrums“, das den Weg durch die städtischen Gremien erfolgreich gemeistert hat. Trägerin ist die Stadt Kamenz selbst, die einen entsprechenden Mietvertrag mit der Eigentümerin abgeschlossen hat. Darüber freuen sich besonders die beteiligten MailArt-Künstler Petra Lorenz, Frank Voigt und Volker Lenkeit. Hatten sie doch bei der Suche nach einer „Bleibe“ zuvor schon eine wahre Odyssee hinter sich. „Nicht jeder kann mit dieser Art von Kunst etwas anfangen“, erklärt Frank Voigt mit einem wissenden Lächeln. Bei der MailArt handelt es sich um eine Spielform der DADA-Kunst, die ja gemeinhin als „Ablehnung der hergebrachten Kunstformen“ definiert wird. Die beteiligten Künstler schicken sich gegenseitig Kunstwerke per Post und ergänzen diese, sodass daraus Collagen entstehen. Diese entziehen sich zumeist der Interpretation, wirken aber rein visuell überwältigend auf den Betrachter. „Einen ganz wichtigen Bestandteil des Gesamtkunstwerks bilden die Poststempel“, erklärt Frank Voigt. Manchmal werden Briefe an nicht existierende Adressen geschickt, um mit der Rücksendung einen Poststempel des betreffenden Ortes zu ergattern. Der aus Dresden stammende Frank Voigt betrieb bereits zu DDR-Zeiten MailArt und erinnert sich daran, dass der Staat damals nicht so richtig wusste, wie er damit umgehen soll: „Einerseits galt diese Kunstform in den kapitalistischen Ländern als subversiv und gesellschaftskritisch. Andererseits spielte sich vieles im Verborgenen ab und war auch mit Kontakten in das westliche Ausland verbunden.“
Mit Volker Lenkeit – ebenfalls aus Dresden – und der in Schwäbisch Gmünd geborenen Petra Lorenz fand er über Facebook gleich Gesinnte, mit denen sich ein reger „Brief“verkehr entwickelte. Auf diese Weise entstand eine Vielzahl gemeinsamer Arbeiten, von denen sich nun mehr als 300 auf Basis einer Schenkung im Besitz der Städtischen Sammlungen Kamenz befinden. „Wir können immer nur einen Teil davon gleichzeitig zeigen und werden daher wechselnde Ausstellungen gestalten“, erklärt deren Leiterin Dr. Sylke Kaufmann. Doch damit nicht genug: In einem Nebenraum hat die Stadt Kamenz eine Druckerwerkstatt eingerichtet, in der sich auch ein bei der hiesigen Firma Heidsieck hergestellter „Kamenzer Tiegel“ befindet. Hier sollen – ebenso wie in der von der Stiftung Pro Gemeinsinn betriebenen Kreativwerkstatt – künstlerische Angebote für alle Altersgruppen unterbreitet werden. „Mit dem DADA-Zentrum haben wir nun eine weitere Kultureinrichtung im Herzen von Kamenz, die die bereits vorhandenen Angebote hervorragend ergänzt“, betont Oberbürgermeister Roland Dantz. Und beantwortet damit auch die eingangs gestellte – und ohnehin nur rhetorisch gemeinte – Frage.