Jägermeister stärkt sein zweites Standbein
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen: Erst nachdem sie die Erde geschaufelt hatten, leerten Vorstand Christopher Ratsch, Mehrheitseigentümer Florian Rehm und OB Roland Dantz (v.l.) einen kleinen Jägermeister auf Ex.
Nur von außen durch die geöffnete Tür ist ein Foto vom bereits bestehenden Fasslager bei Jägermeister Kamenz möglich.
Im Kamenzer Jägermeister-Werk darf überall fotografiert werden, nur an einer Stelle nicht: Im Fasslager, wo der Grundstoff für den beliebten Likör in riesigen Eichenfässern heranreift, um später, mit Wasser und Alkohol versetzt, in die bekannten kleinen grünen Glasflaschen abgefüllt zu werden.
Kamenz. Nicht nur das Fotografieren und Filmen ist hier tabu, auch Handys und andere elektronische Geräte müssen vor der Tür bleiben. Und das nicht etwa, weil hier irgendetwas streng geheim bleiben soll, sondern aus rein sicherheitstechnischen Gründen: „Die Luft weist eine sehr hohe Alkoholkonzentration auf, sodass elektrostatische Entladungen fatale Folgen haben könnten“, erklärt Werksleiterin Tina Riemenschneider-Schilling. Nur von außen, durch die geöffnete Tür, lasst sich der imposante Anblick der Fässer, die hier in Reih und Glied stehen, auf Zelluloid (oder heutzutage eher auf Chipkarte) bannen.
80 Fässer, die nach wie vor in Handarbeit gefertigt werden, stehen bislang für die Lagerung zur Verfügung. Jedes einzelne kann bis zu 10.000 Liter Grundstoff aufnehmen. Zu wenig, um den Bedarf des Unternehmens langfristig zu decken: Deshalb hat die Mast-Jägermeister SE (für Societas Europaea, also europäische Gesellschaft) am vergangenen Dienstag den ersten Spatenstich für eine Investition im niedrigen zweistelligen Millionenbereich vollzogen: In einem neuen Fasslager soll Kapazität für bis zu 225 weitere Eichenholzfässer geschaffen werden. Dabei setzt das Familienunternehmen auf Nachhaltigkeit: „Der Neubau wird CO2-neutral, es handelt sich um das nachhaltigste Fasslager Deutschlands mit einer positiven Ökobilanz“, erklärt Vorstandsmitglied Christopher Ratsch. Nachhaltigkeit sei für Jägermeister „nicht nur eine Option, sondern das neue ’Normal“, versichert er.
Dabei hat das Unternehmen, dessen Stammsitz sich in Wolfenbüttel (Niedersachsen) befindet, bereits in der Mitte der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts Sinn für Nachhaltigkeit bewiesen. Damals errichtete Jägermeister sein Werk am Kamenzer Ochsenberg mit viel Holz. Es erhielt unter anderem eine Anerkennung beim Holzbaupreis 1998 der Arbeitsgemeinschaft Holz. Dem jetzt begonnen Projekt ging ein Architekturwettbewerb voraus, den das Büro Code Unique aus Dresden für sich entschied. In einer Beschreibung des Büros wird der Neubau wie folgt charakterisiert: „Das neue Fasslager setzt sich selbstbewusst an die Nordseite des Grundstückes mit einem großzügigen Abstand zum Bestandsgebäude (Abfüllhalle). Der Neubau übernimmt die Ausrichtung des Bestandes und passt sich dessen länglicher Gebäudekubatur an. In Anlehnung an das Unternehmen Jägermeister, wird die Fassade symbolisch mit den 56 Kräutern des Jägermeisters bepflanzt. In den horizontalen Kräuterbeeten der Fassade wächst eine Auswahl an Kräutern, die in unserem Klima heimisch sind. … Die Verkleidung der Kräuterbeete ist nahezu schwarz und orientiert sich an der dunklen Farbe des Likörs.“
Symbolik ist Jägermeister sehr wichtig. In einem Showroom in Kamenz lagern Proben aller 56 Ingredienzien, die dem Produkt zu seinem Kultstatus verholfen haben – von der Safranblüte bis zur Pomeranzenschale. Wie genau sie zusammengemischt und verarbeitet („mazeriert“) werden, bleibt indes streng geheim. Die Herstellung des Jägermeister-Grundstoffes passiert auch nicht in Kamenz, sondern bleibt dem Stammwerk in Wolfenbüttel vorbehalten – auch dies sicherlich ein Akt der Symbolik. Doch auch die Bedeutung von Kamenz für das Gesamtunternehmen, das in mehr als 150 Länder (im Fachjargon „Märkte“) exportiert, kann kaum überschätzt werden: „Wir haben in Deutschland nur zwei Abfüllstandorte: Einen in Wolfenbüttel-Linden und einen in Kamenz. Alle unserer Flaschen kommen ausschließlich aus Deutschland, ein Teil davon von O-I in Bernsdorf. Wir stehen auf zwei Beinen – eines ist hier“, so Vorstand Christopher Ratsch. Und weiter: „Die Unternehmerfamilie Mast plant schon immer mit großem Weitblick. Das hat sie schon 1993 getan, als sie das Grundstück in dieser Größe hier erwarb, und tut es weiterhin. Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie wir auch morgen noch unsere Konsumenten bedienen können, und dazu brauchen wir mehr Kapazität – in Wolfenbüttel wie in Kamenz.“ Die Reifung im Fasslager sei ein „elementarer Bestandteil unseres Herstellungsprozesses. Dafür schaffen wir hier die Rahmenbedingungen.“ Abgeschlossen werden soll das Projekt bis zum ersten Halbjahr 2025.