Kleingärten haben endlich wieder Zulauf
Virginie Kreuzmann (links) hat im April einen Kleingarten an der Liebighöhe übernommen und zeigt der Vorsitzenden der Sparte Hannelore Wenzel erste Fortschritte. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Noch vor kurzem schien die Schreberbewegung auf dem absteigenden Ast zu sein. Doch mit der Pandemie verliert der eigene Garten sein kleinbürgerliches Image und ist wieder zu einem Sehnsuchtsort der Deutschen geworden. Bei den 108 Sparten im Niederschlesischen Kleingärtnerverband spürt man den Wandel.
Görlitz. Hannelore Wenzel hat dem Kleingartenverein „Liebighöhe“ e.V. neben dem Görlitzer Waggonbau neuen Schwung eingehaucht. Sie wollte als neue Vorsitzende der allgemeinen Zunahme leerstehender Gärten entgegenwirken, warb in der Gartenkolonie durch Klinkenputzen für ein neues Gemeinschaftsgefühl und suchte auch nach neuen Mitgliedern außerhalb der eigenen Reihen. Doch nach Jahren eines schleichenden Rückgangs kamen nun auf einmal auch ganz von allein neue Interessenten.
Das erfreuliche dabei: Der unerwartete Trend ist gerade jüngeren Semestern zu verdanken. Zum Beispiel ist unter den neuen Pächtern das Pärchen Maik und Steffi mit ihrem vierjährigen Spross Linus. „Wir sind ohnehin nicht so die Urlaubsfahrer, bleiben bei Ausflügen meist in der Region und wandern z.B. gerne im Zittauer Gebirge“, sagt der aus Zittau stammende Maik, während er gerade eine Stützmauer für eine neue Holzterrasse an der Laube mauert. Auch wenn die junge Familie Gemüse und Obst anbauen möchte und den steilen Weg hoch zur Laube in eine blühende Passage verwandeln will, soll natürlich auch Raum für die Entspannung nach getaner Arbeit sein. Immerhin zieht es Maik und Steffi nach der Arbeit ohne Umweg über die Stadtwohnung gleich in den Garten. Sie klopft derweil selbst gegossene Pflastersteine aus der Gussform. „Weil ich eine sitzende Tätigkeit ausübe, habe ich zunehmend Probleme mit dem Rücken bekommen“, sagt Steffi. „Der Ausgleich durch die Gartenarbeit ist eine gute Entspannung für mich und Linus erlebt hier seine ersten Lebensjahre ganz im Grünen“, nennt die aus Brandenburg stammende junge Frau als Motive für ihre Entscheidung zum Kleingarten.
Vom frischen Wind durch neue Anrainer in einem noch kürzlich verwilderten Garten profitieren auch die Nachbarn. „Uwe ist körperlich eingeschränkt, Roland Rentner. Da sind junge Leute ein Segen“, meint Hannelore Wenzel.
In der Nachbarschaft kommt das meiste von allein. „Wir sind nett und wurden angesprochen“, sieht Maik den Einstieg in die grüne Oase entspannt und freut sich, dass ein Teil der Wunschpflanzen im Garten bereits durch Ableger aus der Gartensparte gesichert ist.
„Kleingärtner duzen sich im allgemeinen untereinander, wer will kann aber auch in Ruhe gelassen werden“, wirft Hannelore Wenzel ein. Natürlich gibt es in einer Anlage wie dieser auch Nachbarschaftsstreit z.B. aufgrund abendlicher lauter Musik, Rauchen oder weil jemand den Rasen des Nachbarn nicht kurz genug gemäht sieht“, sagt sie, aber im Grundsatz wisse doch jeder, dass es eine Zukunft auch nur mit Nachwuchs geben kann. Hannelore Wenzel möchte daher auch das Problem der etwa 20 freien unter den insgesamt 163 Gärten angehen, die aktuell aufgrund verfallener Lauben oder Verwilderung nicht unmittelbar in die Verpachtung gehen könnten. Da viele Hände ein schnelles Ende bringen, sind Gemeinschaftseinsätze vom Zeitumfang überschaubar und im übrigen sogar ein gutes Instrument für die Integration neuer Mitglieder.
Steffi und Maik haben sich bewusst für einen verwilderten Garten und damit Aufbauarbeit entschieden. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Während Steffi beim Googeln nach einem freien Garten an der Liebighöhe Glück hatte, sind ohne größeren Einsatz derzeit nur noch zwei Gärten bezugsfertig. Hannelore Wenzel sagt: „2020 haben wir bereits über 20 Gärten verpachtet, die Entwicklung war auf einmal rasant. Wir müssen jetzt also auch an die Gärten ran, die uns besondere Sorgen machen“.
Während Steffi und Maik gerade die Herausforderung einer kompletten Neugestaltung gesucht hatten, hat Virginie Kreuzmann ihren Wunschgarten im April im guten Zustand übernommen. Das war vielleicht auch so etwas wie eine Konzession, denn ihr Lebensabschnittsgefährte habe eigentlich nicht so recht gewollt. „Jetzt ist er aber mit dem Garten bereits sehr glücklich“, sagt die resolute Frau im T-Shirt mit der Aufschrift „Hexe und stolz drauf“. Hannelore Wenzel schaut sich bei einem Plausch bei ihr um und erläutert: „Der Vorpächter hat ein Haus geerbt und wollte daher aus dem Garten raus“. Die aus Demitz-Thumitz stammende Virginie Kreuzmann ist aus Löbau zugezogen, ihre Eltern hatten einen eigenen Garten und auch am Haus hatte sie 15 Jahre lang Gartenarbeiten zu erledigen. Aber auch für sie gilt, dass die Bewegung ein echter Ausgleich für ihre Tätigkeit bei Birkenstock ist. „Hier ist alles bereits in Schuss und bei ihr wird das auch laufen“, meint Hannelore Wenzel. Letztlich gibt es, um in den Genuss einer günstigen Pacht zu kommen, zu beachten, dass man als Kleingärtner mindestens auf einem Drittel der Fläche Obst und Gemüse bzw. zu einem geringfügigen Teil auch Kräuter anbauen muss, damit die Kolonie eine Anerkennung als solche im Schutze der öffentlichen Förderung erhalten kann. Darauf weist der Vorsitzende des am Klosterplatz 13 in Görlitz residierenden Niederschlesischen Kleingärtnerverbandes e. V. Frank Reimann hin.
Am Klosterplatz laufen die Fäden von 84 Sparten in Görlitz, 16 in Niesky, zwei in Rothenburg und Schönau-Berzdorf sowie je einer in Kaltwasser, Uhsmannsdorf, Reichenbach und Ostritz zusammen, womit Görlitz und Niesky allein 100 der 108 Schrebergartenkolonien stellen.
Mit dem Verband wolle er vor allem darum werben, dass Eigentümer der Pachtgelände – das muss nicht immer die Stadt sein – erkennen, dass sie mit Investitionen auch das Funktionieren der Anlage beeinflussen, so Reimann.
An der Liebighöhe hat man sich auf die Zeichen der Zeit gut eingestellt. Am 18. Juli und am 22. August gibt es hier die nächsten Pächtersprechstunden zwischen 10.00 und 12.00 Uhr geben, doch ob nach dem Run derzeit Pachtangebote unterbreitet werden können ist fraglich.