Kreba-Neudorf macht aus Not der Ukrainer eine Tugend
Nach der anstrengenden Flucht kann Katarina mit ihren Kindern wieder Leben lernen. Im Schlosspark neben ihrer neuen Unterkunft kommen sie erstmals wieder zur Ruhe. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Lehrerehepaar Evgenij (mit dem kleinen Sachar) und Angela (mit Milena) aus Saporoschje – links Sohn Bogdan. Foto: Klaudia Kandzia
Flüchtlinge zieht es zuvorderst in die Städte, doch die Last dauerhafter Unterbringen ist eben auch solidarisch zu verteilen. Die kleine Gemeinde Kreba-Neudorf ist mit ihren 860 Einwohnern vorgeprescht und hat quasi über Nacht 34 Ukrainer aufgenommen. Proportional wäre das so, als wenn Dresden 22.000 Flüchtlinge aufgenommen hätte. Der Niederschlesische Kurier hat sich das „Wunder von Kreba-Neudorf“ angeschaut.
Kreba-Neudorf. Es ist still am frühen Vormittag im Schlosspark von Kreba-Neudorf. Vögel zwitschern und von weit weg hört man Kettensägen von Waldarbeitern. Vor dem Gemeindeamt, dem einstigen Wirtschaftsgebäude des Schlosses, haben zwei Jugendliche ihre Fahrräder abgestellt. Sie schleppen Pakete und Taschen in das Gebäude. Es sind Sachspenden für ukrainische Flüchtlinge.
„Hier sind erst mal nur Kleidung und Hygieneartikel. In der Schule werden Bettdecken und Kopfkissen, Bettwäsche gelagert“, sagt Nadin Pohlank. Die junge Mutter und ehrenamtlich Tätige freut sich dabei über jede Hilfe, vor allem seitens der Ukrainer selbst, die nach anstrengenden Tagen der Flucht froh sind, zugleich auch etwas Struktur in ihr Leben zu bekommen. „Die Verständigung klappt mit Google-Übersetzer, Händen und Füßen“, sagt sie, aber es wird gerade ein Kommunikationssystem eingerichtet. Wenn medizinische Hilfe benötigt wird, gibt es eine spezielle Telefonnummer. „Eine Mutti in Elternzeit, die tagsüber erreichbar ist, stellt sich von 8.00 bis 18.00 Uhr zur Verfügung. Ich muss heute noch jemanden kontaktieren, er arbeitet in der Pflege und hat Freunde und Bekannte aus der Ukraine, die in Deutschland leben und helfen wollen. Die gehen im Schichtdienst arbeiten und stehen auch nachts zur Verfügung“.
Im Schloss, das heute weitgehend als Schule fungiert, fanden drei Familien Unterkunft. Durch deutsch-polnische Projektgelder waren hier schon länger Übernachtungsräume, Duschen und ein Begegnungsraum geschaffen worden. In der Schulküche bereitet sich Katarina gerade einen Kaffee zu. Sie floh mit ihren drei Kinder aus Kiew und sagt: „Seit dem 13. März sind wir hier. Wir genießen die Ruhe, die Sicherheit, haben Betreuung, Essen, die Menschen sind freundlich, kümmern sich um uns.“
Katarina ist geschieden, ihre Eltern leben nicht mehr. Sie hätte jedoch das Wichtigste bei sich, sagt sie: „Meine Kinder sind bei mir und ich konnte sogar meinen kleinen Hund mitnehmen.“ In Kiew habe sie als Köchin in einem Restaurant gearbeitet und freut sich, dass sie jetzt auch in Kreba wieder kochen darf und dass ihre größeren Söhne bald Unterricht bekommen werden. Das verspricht Bürgermeister Dirk Naumburger. Das einfach Machen in seiner Gemeinde trotzt zugleich politischem Getöse. So hatte das ukrainische Bildungsministerium gefordert, ukrainische Schüler sollten eigenständigen Unterricht außerhalb bestehender Strukturen erhalten. Man fürchte um die nationale Identität ukrainischer Kinder; zudem schwangen Zweifel an der Qualität des heutigen deutschen Schulunterrichts an sich mit.
Dirk Naumburger hat hingegen schnell einen Klassenraum mit digitaler Tafel herrichten lassen. Nächste Woche soll es losgehen. Er hatte vorgesorgt und ließ bereits bei der Busabholung von Flüchtlingen an der polnisch-ukrainischen Grenze gezielt nach Lehrern suchen – mit Erfolg.
„Wir haben nun eine Familie hier, wo der Vati Physiklehrer ist, die Mutti Ukrainischlehrerin. Die haben drei Kinder. Und die wollen wir so schnell wie möglich in diese Strukturen einbinden.“ Naumburgers Ziel: „Wenn wir Leute herholen, dann geht es auch darum, sie langfristig hier wohnen zu lassen, zu integrieren, sie Teil der Dorfgemeinschaft werden zu lassen.“ Nachdem das Sorbische im Ort faktisch ausgestorben ist, könnte nun ein anderes slawisches Idiom den Ort mitprägen. Der Bürgermeister sieht eine Integration dabei auch als ein Element gegen die allgemeine Landflucht und rechnet vor: „Der Freistaat rechnet damit, dass 80.000 Menschen aufgenommen werden müssen. Heruntergebrochen auf unsere Gemeinde hieße das bei einer gleichmäßigen Verteilung, dass wir 30 Menschen aufzunehmen hätten. Diese Zahl haben wir schon jetzt locker erreicht. Bei 40 oder 50 würde es die Manpower und die finanziellen Mittel deutlich überstrapazieren.“
Der Landkreis habe sich ja richtigerweise für eine dezentrale Unterbringung ausgesprochen. Kreba-Neudorf macht es anderen nun einfach vor! Die Unterbringung könnte, so Naumburger, nicht in den Städten erfolgen, „sondern wir werden im ländlichen Raum die Hauptlast tragen. Da muss finanziell die entsprechende Ausstattung folgen, leider ist es in Deutschland so: man trifft sich, man berät, man setzt Arbeitsstäbe ein, die dann nach Wochen zu dem Ergebnis kommen, die Gemeinden brauchen tatsächlich Geld. Diese Zeit ist für die Gemeinden eine Katastrophe, denn wir finanzieren vor und bekommen das Geld irgendwann wieder.“ Und so fehlen auch aktuell Zusagen.
Dass Kreba-Neudorf überhaupt so rasant aus den Startlöchern kam ist auch der glücklichen Fügung zu verdanken, dass zwei von acht jungen Leuten, die schon vor dem Krieg enge familiäre Verbindungen zum Ort hatten, beim Bustransport von Bautzen an die ukrainische Grenze mitgefahren waren. Sie übernahmen die Aufgaben, gezielt nach Lehrern Ausschau zu halten. Diese acht jungen Leute waren am 23. Februar auf einer Kurzreise in Berlin, wurden dort vom Krieg überrascht und waren ohne Flucht bereits dort, wo andere erst hinstrebten. „Einige von ihnen sind in der IT-Branche tätig und können von hieraus weiter arbeiten. Wir haben im Schlosspark das W-Lan bis in die Unterkunft gelegt“, berichtet Dirk Naumburger. Die jungen Leute seien Städter und wollten anfangs weiter nach Dresden. „Aber sie haben gemerkt, wir haben schöne Natur, Infrastruktur; sie haben schon ein Gefühl, wie wir hier im Dorf ticken, dass wir sehr viel gemeinsam machen. Ich glaube, dass sie länger bleiben, wenn man sie einbindet. Wir können das sehr negative Ereignis – den Krieg – abfedern, indem wir den Menschen die Möglichkeit geben zu leben, statt nur einen Aufenthalt zu schaffen. Wir haben im Ort noch viele ältere, die aus Schlesien vertrieben wurden und auch hier gestrandet sind. Mit solchen Erfahrungen, kann man vieles besser nachvollziehen.“
Gegenüber 2015 sieht Naumburger aber deutliche Unterschiede: „Damals kamen Menschen, die uns aus einer anderen Kultur stammend fremd waren. Es kamen junge Männer, die in ihrem Kulturkreis eine andere Rolle der Frau gesehen und persönlichen Ansprüche hatten. Das erleben wir jetzt überhaupt nicht.“ Und so sei auch die Bereitschaft zu helfen deutlich höher als 2015. Der Bürgermeister ist Fußballtrainer bei der SG Kreba-Neudorf und möchte nun die ukrainischen Kinder mit in das Training nehmen, damit sie einen geregelten Tagesablauf haben“.
Wer der Gemeinde bei der Integration helfen möchte kann unter „Ukrainehilfe“ spenden. Die Kontoverbindung lautet: IBAN DE16 8505 0100 0041 0008 46. Ab 20 Euro stellt die Gemeine eine Spendenquittung aus.