Kriegsheimkehr am Heiligabend 1949
Siegfried Augsten kurz nach dem Krieg. Foto: privat
Es war Heiligabend 1949. Der Himmel war schwer beladen mit Schneewolken und es war sehr kalt. Von weit her tönten die Kirchenglocken. Leise Weihnachtsmusik erklang aus den Häusern und es begann zu schneien. Erst ganz zart und wie die Weihnachtsstimmung, so steigerte sich auch der Tanz der Schneeflocken. Das schönste, stimmungsvollste und zauberhafteste Fest des Jahres nahm seinen Anfang. Für uns alle war es nicht nur ein Fest des Friedens, der Freude und des gegenseitigen Beschenkens, sondern auch ein Fest der Liebe, der Besinnung und des Festessens. Doch nur wenige von uns hatten genug zu essen und die Geschenke waren auch dürftig. Doch die Hilfsbereitschaft untereinander war beispielhaft. Jeder half dem anderen, so gut er konnte. Es herrschte eine vorbildliche Gemeinschaft, die sich in der Not jederzeit bewährte.
Sollte es wieder ein Weihnachtsfest ohne unseren lieben Vater werden? Noch nie hatten wir mit ihm zusammen das Weihnachten gefeiert. Fern von unserer geliebten Heimat, dem wunderschönen Sudetenland, war mein Bruder Gisbert inzwischen 10 ½ und ich 7 ½ Jahre alt geworden. Schon vieles hatten wir erlebt. 1946 wurden wir mit unserer lieben Mutter und unseren Großeltern aus einem schmucken und modern eingerichteten Einfamilienhaus in Heinersdorf an der Tafelfichte (Jindrichovice pod Smrkem), im Kreis Friedland in Böhmen (Frydlant v Cechach), ausgewiesen. Anschließend reisten wir kreuz und quer in Vieh- und Güterwaggons durch das zerbombte Deutschland, verweilten in vielen Flüchtlingslagern, bis wir schließlich total erschöpft und hungrig in Görlitz ankamen. Doch plötzlich am Heiligabend 1949 klingelte es an unserer Wohnungstür.
Ich öffnete und ein mir vollkommen fremder Mann stand vor mir. Er stellte sich als mein Vater vor. Die Freude war groß und unerwartet, denn nach sechsjährigem Militärdienst und anschließender russischer und polnischer Gefangenschaft war mein Vater nun endlich wieder zu seiner Familie zurückgekehrt. In der Nähe von Kattowitz (Katowice) wurde er in einem Steinkohlebergwerk 2 ½ Jahre untertage in einer Tiefe von 530 Metern in der Lauragrube in Laurahütte (Siemianowice Slaskie) als Kolonnenarbeiter eingesetzt. Anschließend war er aus gesundheitlichen Gründen zwei Jahre übertrage in der Maxgrube im Ortsteil Michalkowitz (Kopalnia Michal,
Michalkowice) als Tischlermeister tätig.
Da mein Vater ein gutes Verhältnis zur polnischen Lagerleitung und zur polnischen und oberschlesischen Zivilbevölkerung hatte, war es ihm möglich, viele Weihnachtsgeschenke für uns zu organisieren. So zum Beispiel warme Winterpullover, Hausschuhe, farbenprächtige Flanellhemden, Norweger-Handschuhe und andere Textilien. Aber auch zahlreiche Tafeln Schokolade – eine große Delikatesse zur damaligen Zeit, und andere Lebensmittel brachte er aus der Gefangenschaft mit. Wir alle waren anfangs vollkommen sprachlos und überglücklich und konnten es nicht fassen, nach so viel überstandener Not mit so vielen Geschenken überhäuft zu werden. Nun konnte das Weihnachtsfest unbeschwert beginnen. Auch meine Mutter und viele Bekannte, die zuvor ebenso uneigennützig halfen, wurden reichlich beschenkt.
Es wurde ein beispielhaftes Fest der Freude, des Friedens und der Verbundenheit sowie Liebe und Hilfsbereitschaft.