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Kunst interpretiert 950 Jahre Geschichte

Kunst interpretiert 950 Jahre Geschichte

V.l.n.r. Prof. Christian Sery, Prof. Barbara Wille und Susanne Greinke betätigten sich als Jury-Mitglieder und wählten Kunst für den innerstädtischen Raum von Görlitz aus. Foto: Matthias Wehnert

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An der Frauenkirche soll ein fiktives Fenster (rechts) an die friedliche Revolution vor 30 Jahren erinnern. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Am 8. Oktober hat eine Jury Kunstwerke ausgewählt, die 2021/22 meist innerstädtische Plätze von Görlitz beleben sollen. Nach der Premiere der „Görlitzer ART“ 2016 ist das Stadtjubiläum ein neuerlicher Anlass für diese Schau. Was erwartet uns im Stadtbild?

Görlitz. Einwohnern und Touristen ist noch gut die innerstädtische Ausstellung Görlitzer ART in Erinnerung, die quasi die Kulturhauptstadt Breslau 2016 flankierte. Die Installation des überdimensionierten „&“-Zeichens von Krzysztof Furtas auf dem Wilhelmsplatz oder die sich zu fragil präsentierende „Maske“ von Marianne Wesolowska-Eggimann im Kreisel Bahnhofstraße/Salomonstraße erregten manche Gemüter, brachten aber – und das soll Kunst letztlich wohl erreichen – Menschen ins Gespräch. Anlässlich des 950-jährigen Jubiläums der Ersterwähnung von Görlitz wird es 2021/22 nun eine zweite Auflage der „Görlitzer ART“ geben. Kooperationspartner im Projekt ist diesmal nicht Breslau, sondern die Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden, mit der ein Teilnahmewettbewerb, der sich an Künstler und Absolventen der Hochschule wandte, durchgeführt wurde.
„Was ich ganz besonders toll fand: Es war zu sehen, wie intensiv der Dialog der einzelnen Künstler mit diesem Ort passiert ist und was das Ergebnis davon war“, freut sich Prof. Barbara Wille von der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Ihr Kollege, der aus Linz an der Donau stammende Prof. Christian Sery betont in weicher österreichischer Sprachmelodie, „dass die Vielfältigkeit in der Lehre auch hier sichtbar wird. Es ist umso schöner für uns, dies in dieser Vielfältigkeit und Qualität wiederzufinden das macht uns als Professoren wieder stolz“.

Stadtrundgänge und Führungen zu den Ausstellungsorten haben die Künstler inspiriert: „Uns ist es wichtig, dass man – wenn man sich ein bisschen Zeit lässt – alles fußläufig erschließen kann. Zu jedem Ort gibt es etwas zu sagen. Das Paradebeispiel ist der Platz der friedlichen Revolution (AdR.: So die neue Benennung des Platzes zwischen Frauenkirche und Postplatz seit dem 3. Oktober 2020).

Es gibt Kontexte, die wir den Künstlern mitgegeben haben, ansonsten haben wir völlig frei gelassen, wie sie sich äußern. Die inhaltliche Klammer ist Görlitz mit seinem Stadtraum, den historischen und realen Bezügen“, so Dr. Michael Wieler, Bürgermeister für Kultur, Bauen, Stadtentwicklung, Ordnung und Sicherheit.

„Es sind alles Werke, die ein ganzes Jahr im Stadtraum stehen sollen, die eine gewisse Haltbarkeit, auch eine gewisse Vandalismushaltbarkeit haben müssen, die bautechnisch abgenommen werden müssen. Es gibt viele Fragen, wo Genehmigungen eingeholt werden müssen, wo man gar nicht mal an Kunst denkt, sondern an ganz viele kleine Probleme“, so Dr. Wieler, der wie Kai Wenzel vom Kulturhistorischen Museum als Jurymitglied besonders auf die Görlitzer Perspektive achtete.
Unter den ausgewählten neun bis zehn Objekten (in einem Fall ist es eine Umsetzung eigentumsrechtlich erst zu prüfen) gibt es auch eines, das mehr Aktion als materiell ist. „Es soll einfach ein Stück Gras von der deutschen Seite auf die polnische transportiert und eingepflanzt werden sowie umgekehrt. Wie sich diese Stücke akklimatisieren soll ein Film als Teil des Projekts dokumentieren“, erklärt Wieler.

Andere Objekte entstehen an der Freitreppe an der Sattigstraße, auf dem Sechsstädteplatz, dem Otto-Buchwitz-Platz, dem Konsulplatz, im Garten neben der Volkshochschule sowie natürlich auf den zentralen Plätzen der Stadt. Ganz zentral und zugleich gewollt unscheinbar sieht ein Beitrag am neu benannten Platz der friedlichen Revolution direkt an der Frauenkirche ein fiktives Fenster vor. Es handelt sich um ein in Görlitz fünf Jahre nach der Wende fotografiertes baufälliges Fenster, in dem zwei Plakate aufrufen: „Mehr Demokratie wagen“ und „Mut zu neuen Mehrheiten“. Indem der Betrachter hoch an der Kirche diese Aussagen schwer entziffern kann, wird hier scheinbar der Blick geschärft. Und Interpretationsspielraum gibt es damit gerade im Stadtzentrum im Übermaß. „Demokratie wagen“ könnte in Zeiten immer enger werdender Diskussionskorridore fast schon eine Botschaft wie 1989 entwickeln.
Ein eher lauter Gegenpol ist ein Werk bei dem ein Megaphon an einem Mast Botschaften auf einem Platz verbreitet. Doch welchen Inhalts werden diese letztlich sein? Und welcher Standort wird’s denn?

Jeder Künstler bekommt für sein ausgewähltes Kunstobjekt ein Honorar von 2.000 Euro. „Das ist im Prinzip ein symbolischer Wert, die Künstler können ferner Materialkosten bis zu 9.000 Euro geltend machen“, erklärt Bettina Thiemig, Projektkoordinatorin Kultur bei der Stadt. Per Stadtratsbeschluss sind 75.000 Euro für das Projekt bewilligt, es wurden jedoch auch Fördermittelanträge bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters, bei der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen sowie Kulturraumfördermittel beantragt worden. Die Stadt setzt zudem natürlich auf ihre klassischen Sponsoren wie die Stadtwerke, Kommwohnen oder die Sparkasse.
 

Till Scholtz-Knobloch / 19.10.2020

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