Lechner: Deinege will die Wahrheit nicht!
OB Deinege ist jetzt gegen den jüngsten Stadtratsbeschluss in Widerspruch gegangen, in dem festgestellt wird, dass der betreffende Beschlusstext des Stadtrates aus dem Jahre 1998 nicht vollumfänglich vollzogen wurde – ohne den Analytikvertrag. Foto: NSK
Kunnersdorf. Nach der Zustimmung der Stadträte zur Petition von Matthias Lechner, festzustellen, dass der Beschlusstext zum Deponie-Verkauf 1998 nicht vollumfänglich vollzogen wurde, ist OB Siegfried Deinege in Widerspruch gegangen: Der jetzt gefasste Beschluss sei rechtswidrig. Redakteur Frank-Uwe Michel fragte bei Matthias Lechner nach, was er von der jüngsten Entwicklung hält.
Was geht Ihnen beim Widerspruch von Siegfried Deinege durch den Sinn? Immerhin war 2008 auch der damalige OB Paulick permanent gegen Stadtratsbeschlüsse in Widerspruch gegangen, die den Stadtreinigungsskandal betrafen?
Matthias Lechner: Meine erste Reaktion, als ich am 27. Oktober sah, dass Oberbürgermeister Deinege gegen die nach vielen Jahren endlich durch 25 Stadträte festgestellte Wahrheit stimmt, war: Das ist ein Affront gegen die Mehrheit des Stadtrates und ein Angriff auf seine Glaubwürdigkeit, ein Schlag gegen die Demokratie wegen Nichtanerkennung von Wahrheiten, und aus meiner Sicht eine Verletzung des Amtseides. Wenn Oberbürgermeister Deinege inzwischen durch seinen Widerspruch zum Stadtratsbeschluss die eindeutigen Ergebnisse der jahrelangen Prüfung des Sachverhaltes durch den ad hoc Ausschuss 2008, durch den Petitionsausschuss 2016 und nicht zuletzt durch meine intensiven Recherchen seit 2007 anhand des Sitzungsmitschnittes vom 16. Juli 1998 und aller zur Verfügung stehenden Dokumente als unwahr abtun will, ist er fehl auf diesem Platz.
Ein Oberbürgermeister, der – wie meine persönlichen Erfahrungen zeigen – nicht im Geringsten bereit ist, sich der Wahrheit zu öffnen, nicht mal erbetene Gespräche ermöglicht, auf anwaltliche Schreiben in dieser Sache nicht antwortet, handelt nicht im Interesse der Bürger. Dieses Verhalten kann das Hauptorgan Stadtrat so nicht hinnehmen. Hier sollten sich CDU und die Bürger für Görlitz Gedanken machen, wie sie diesen Zustand verändern können. Erfahrungen von 1998 haben sie ja.
In seiner Begründung für den Widerspruch führt OB Deinege aus, dass die ehemaligen Aufsichtsräte der Stadtreinigung den Vertrag mit dem Labor Knechtel langfristig verlängert hätten, obwohl die zu analysierende Deponie Kunnersdorf verkauft werden sollte. Ist der Fehler des Ganzen nicht vielmehr darin zu suchen, dass der Vertrag nicht mit verkauft wurde, obwohl das der Stadtrat damals so beschlossen hatte? OB Deinege geht also bewusst von einer falschen Grundlage aus, oder?
Lechner: Falsche Grundlage wäre zu einfach formuliert. Mein Eindruck: Er will die Wahrheit nicht eingestehen. Oberstes Prinzip von Stadtratsbeschlüssen ist Klarheit und Wahrheit. Was nicht ausdrücklich im Beschlusstext steht, ist nicht beschlossen. Punkt! Da gibt es auch im Nachhinein keinen Interpretationsspielraum. Die Herausnahme des Vertrages ist nicht beschlossen worden. Übrigens wurde laut Zeugenaussage von Herrn Holthaus vor Gericht erklärt, dass dieser Vertrag dem RAVON gar nicht zum Kauf durch die Stadt angeboten wurde. Die Stadtspitze hat den Schaden also freiwillig in Kauf genommen. Die Vertragsverlängerung, die heute noch in den Köpfen herum geistert, konnte in der Tat rein faktisch niemals der Schadensauslöser sein. Das kann jeder gesunde Menschenverstand nachprüfen. Man wollte aber von der Vertragsherausnahme ablenken. Auch vor den Gerichten hat sich die Stadt nicht zu ihrer Verantwortung bekannt. Das führte zu einer falschen Grundlage.
OB Deinege zieht sich in seinem Widerspruch auf gesetzliche Regelungen zurück, die den Stadtratsbeschluss vom 27. Oktober 2016 als rechtswidrig deklarieren und den Inhalt der Petition auf etwas Unmögliches zielen lassen. Obwohl die Sachlage anhand der vorhandenen Akten und Tondokumente doch klar ist, soll das den Aufsichtsräten und dem Geschäftsführer widerfahrene Unrecht offenbar zementiert werden. Wie sehen Sie das?
Lechner: Der Oberbürgermeister drückt sich mit allen – auch unwahren – Mitteln vor einem Schuldeingeständnis der Stadt. Es gibt keine gesetzliche Regelung, die die Feststellung der Wahrheit verbietet. Die Faktenlage ist klar, die Beweismittel sind eindeutig, aber er behauptet, das stimmt alles nicht. Ja, das Unrecht soll zementiert werden! Völlige Zweifel an der Urteilsfähigkeit von Herrn Deinege kommen mit der von Ihnen zitierten Behauptung in seinem Widerspruch auf, der Inhalt meiner Petition ziele auf etwas Unmögliches ab. Für den Oberbürgermeister ist also die Feststellung der Wahrheit, ob der Beschluss zum Verkauf der Deponie richtig vollzogen wurde, etwas „Unmögliches“!
Ich möchte noch einen Aspekt anführen, der wiederum vom OB und der Rechtsaufsicht völlig ausgeblendet wird, aber das Unrecht verdeutlicht. Der damalige Geschäftsführer wurde durch den Stadtrat angewiesen, den Verkaufsvertrag zur Deponie zu unterzeichnen. Heute wissen wir, dass der Geschäftsführer arglistig unter Missbrauch von Treu und Glauben getäuscht wurde, durch die Aussage beim Notar, dass die Unterschrift unter den Verkaufsvertrag keine Folgen für ihn und den Aufsichtsrat hat, da er ja auf Weisung der Eigentümerin Stadt unterschreibt.
Jetzt frage ich die Görlitzer: Hätten Sie eine Unterschrift geleistet, wenn die Folge daraus bekannt gewesen wäre – 370.000 Euro persönlichen Schaden zu erleiden? Nie im Leben, behaupte ich! Hätte der Geschäftsführer das gewusst, hätte er niemals den Verkaufsvertrag unterschrieben, damit wäre der Deponieverkauf geplatzt, hätte es keine Klagen und Vernichtung von Existenzen gegeben, keine Zahlung von horrenden Summen durch sechs Görlitzer Bürger und deren Familien. Und wir brauchten jetzt kein Interview zu diesem ganzen Skandal führen. Und dieses Unrecht will Oberbürgermeister Deinege nicht heilen?!
Am 24. November soll der Stadtrat über den Widerspruch befinden. Wie würde sich der Skandal Ihrer Meinung nach weiterentwickeln, wenn die Stadträte dem Widerspruch stattgeben bzw. ihn ablehnen?
Lechner: Eine unabdingbare Voraussetzung für die wiederholte richtige Entscheidung des Stadtrates, dass der Beschluss 916/98 nicht richtig vollzogen wurde ist, dass er vollumfänglich über die gesamte Thematik informiert wird. Darauf hat er ein Recht. Nach meiner Beobachtung stelle ich fest, dass niemand der Wissensträger im Stadtrat willens ist, die ganze Wahrheit vorzutragen. Deshalb habe ich in einer E-Mail an den Büroleiter des OB, Herrn Blümke, meine Anhörung gefordert. Es kann nicht sein, dass Stadträte das Plenum zur Abstimmung verlassen, nur weil sie nicht richtig oder ausreichend informiert werden. Jetzt bin ich gespannt, ob meine Anhörung als Petent erfolgen wird.
Ich gehe davon aus, dass die 25 Stadträte, die meiner Petition zugestimmt haben, bei ihrer Meinung bleiben und sich durch den Oberbürgermeister nicht ins Boxhorn jagen lassen. Anderenfalls würden sie ihren Kolleginnen und Kollegen in den Ausschüssen ihr Misstrauen ausdrücken.
Der Schluss des Widerspruches von OB Deinege ist übrigens ganz verrückt. Dort sagt er: Der Stadtrat kann meiner Petition (also der Wahrheit) erneut zustimmen wenn er gleichzeitig beschließt, dass die Stadt nichts an dem Vergleich ändert. Es geht ihm also ganz klar darum, ja nicht zu entschädigen. Er gibt aber gleichzeitig zu, dass der Verkauf nicht beschlussgemäß erfolgte.
Für die Allgemeinheit in verständlicher Sprache ausgedrückt heißt das sinngemäß: Der Dieb gibt den Diebstahl nur zu, wenn er das Diebesgut nicht zurückgeben muss!
Wenn dieser Skandal nicht aufgelöst wird, ist die Demokratie in der Görlitzer Politik total am Boden dadurch, dass es nicht gelungen ist, Unrecht aufzuarbeiten. Dann können OB und Stadtrat demnächst zu Hause bleiben oder einer verlässt seinen Posten. Und es gäbe für das politische Görlitz zukünftig deutschlandweit einen Negativ-Werbeslogan: „Hier wird Ihnen nicht geholfen!“