Liegnitzer Bomben: Bombenstimmung in Horka und Liegnitz
Armin Hübner ist stolz, dass seine Bäckerei heute wieder Liegnitzer Bomben (auf dem Tresen) führt und damit eine alte Tradition wieder aufleben lassen hat. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Viele schlesische Traditionen erlebten 1945 einen Bruch. Dass heute im niederschlesischen Liegnitz in Polen wieder Liegnitzer Bomben zu alter Ehre kommen, daran haben auch Lothar und Armin Hübner aus dem niederschlesischen Horka in Sachsen ihren Anteil.
Etwa auf Höhe von St. Peter und Paul in Liegnitz betrieb Eduard Müller in der zentralen Frauenstraße die Bäckerei, in der die Liegnitzer Bomben erfunden wurden. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Horka/Liegnitz. 100 Kilometer östlich von Görlitz, sitzen in Liegnitz (Legnica), das mit seinen 98.000 Einwohnern beständig an der Grenze zur Großstadt kratzt, die nationalen und ethnischen Minderheiten der Stadt bei der Weihnachtstafel beisammen. Einmal im Jahr ähnelt der Saal der altehrwürdigen Ritterakademie zu Liegnitz einem internationalen Weihnachtsmarkt. An einer fünf Meter langen Tafel sitzen festlich herausgeputzt neben Polen Ukrainer, Russen, Lemken, Armenier, Roma, Griechen, Franzosen sowie Deutsche und feiern Weihnachten. Auch Juden feiern an diesem Tag die christliche Weihnacht mit. Sie alle sprechen Polnisch und leben in der Stadt, die einst für die Görlitzer, Nieskyer, Reichenbacher oder Rothenburger der Sitz ihres Regierungsbezirkes war.
Damian Stefaniak, der mehrere Jahre in Görlitz gelebt und gearbeitet hat, ist von Kind an dabei. Er gehört der deutschen Minderheit an. Sein Großvater, der 2016 verstorbene Gründer und Vorsitzende der Liegnitzer Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen, Jürgen Gretschel, hatte vor 22 Jahren die Idee dazu. Zusammen mit dem Verein „Kobiety Europy“ (Frauen für Europa) stellte er 2000 die erste „Weihnacht der Völker“ auf die Beine. Deutsche waren damals Gastgeber. „Mein Großvater hat gekocht und gebacken, wir haben gezeigt, wie deutsche Protestanten in Liegnitz feiern, was sie essen, was gesungen wird. Dieses Jahr sind unsere Franzosen Gastgeber und präsentieren ihre Weihnachtsbräuche“, so Stefaniak, der nach dem Tod seines Großvaters das Zepter der Organisation der Deutschen in Liegnitz übernommen hatte und zum 30. Gründungsjubiläum erst jüngst den Vorsitz aus der Hand gab. Franzosen in Liegnitz? Dabei handelt es sich vor allem um Familien, die einst aus Polen in den Bergbau im französischen Lothringen ausgewandert waren und nach 1945 mit ihren nun oft französischen Familien zur Neubesiedlung nach Schlesien in den Schoß ihrer Nation wieder eingeladen wurden.
Auch wenn Stefaniaks Terminkalender als Hotelier aus allen Nähten platzt, bei der Weihnacht der Völker am Vierten Adventssonntag dabei zu sein ist für ihn ein Muss. Die Atmosphäre sei einzigartig und „man kann so richtig schlemmen“, sagt er. „Am Ende singen wir ‚Stille Nacht‘ – jeder in der eigenen Sprache“, merkt er an. Es ist ein wichtiger Abend im Veranstaltungskalender der Stadt, an dem auch der Bürgermeister teilnimmt. „Das zeigt, dass unsere Stadt offen ist und jeder kann in Liegnitz einen Platz für sich finden“, so Stefaniak.
Gänsebraten an schlesischen Klößen und Rotkohl – damit kitzeln deutsche Liegnitzer die Gaumen bei der Weihnacht der Völker. Und eines darf natürlich nicht fehlen – die Liegnitzer Bombe. „Es ist schade, dass ich die Bomben in Görlitz einkaufen muss, weil man sie in Liegnitz, außer in unserem Hotel, nirgendwo bekommt“, ärgert sich Stefaniak. Für den Eigenbedarf backt der dreifache Vater dieses Küchlein selbst, das Rezept hat er von Großvater Gretschel überliefert bekommen auch die Geschichte dazu. „Sie ist zwar eine Kalorienbombe, aber ihren Namen hat sie durch ihr Aussehen bekommen. Sie ähnelt tatsächlich einer kleinen Bombe“, sagt er.
Rübezahl hatte seine Finger im Spiel
Erfunden haben soll sie ein Liegnitzer Bäckergeselle. Er bekam die Aufgabe, etwas Außergewöhnliches zu erfinden, ein Produkt, für das Liegnitz berühmt werden sollte. Außerdem stand für den Gesellen die Hand der schönen Bäckermeistertochter auf dem Spiel. Übermüdet vom vielen Grübeln musste er plötzlich an seine Großmutter in Schreiberhau (polnisch: Szklarska Poreba) denken. Sie erzählte ihm oft von Rübezahl und wie dieser Menschen in Not geholfen habe. Der Berggeist des Riesengebirges erschien dem Gesellen im Traum und verriet ihm ein Geheimrezept … Tatsächlich wurde die Liegnitzer Bombe vom Bäckermeister Eduard Müller 1853 erfunden. In seinem Geschäft in der Frauenstraße 64 (heute ulica Najswietszej Marii Panny) verkaufte er sein neues Weihnachtsgebäck. Der tüchtige Kaufmann Franz Mayenburg begann 1884 mit der industriellen Herstellung der Liegnitzer Bomben. Sein Unternehmen produzierte bis zu 10.000 Bomben täglich und diese gingen bald im ganzen Reich weg wie warme Semmel. Aber auch andere Bäcker wie Karl Müller, Bruno Weisbrich oder Alfred Türpitz stellten dieses Weihnachtsgebäck her. Wer vor dem Krieg Liegnitz besuchte, kam nicht umher, die stilvoll verpackten Leckerein als Souvenir mitzunehmen.
Nach Kriegsende wurden sie in Liegnitz nur noch in privaten Haushalten gebacken. Da die Russen 1945 hier ihr militärisches Hauptquartier einrichteten, blieben viele Straßenzüge der Innenstadt ohne polnische Neusiedler. Die Russen bauten teils auf in der Stadt verbliebene deutsche Ortskräfte und schützten diese dadurch, dass ein Haus russisch, das nächste deutsch, dann wieder eines russisch etc. bewohnt war. Liegnitz blieb lange Jahre für die Deutschen in Polen so eine kuriose Ausnahmesituation für ihre neue Diaspora in der eigenen Heimat.
Auch im Hause Gretschel ging das Leben in dieser ungewöhnlichen Nachbarschaft so weiter. „Großvater hatte ein echtes Händchen in der Küche. Als Kind durfte ich zusehen und heute backe ich sie für meine Frau und unsere drei Kinder“, berichtet Damian Stefaniak stolz und ist sich sicher, dass die Tradition mit ihm nicht ausstirbt. Und wer weiß, vielleicht findet sich irgendwann wieder ein Liegnitzer Bäckergeselle, der um die Hand seiner Angebeteten mit Liegnitzer Bomben werben muss. Derzeit wächst im Hause Stefaniak ja Töchterchen Zoe heran …
Traditionssuche in Horka
Dass die schlesische Tradition der Liegnitzer Bomben überhaupt in den Backstuben überlebte, dafür hat die Bäckerei Hübner aus Horka gesorgt, während man in Liegnitz aus Horka über Görlitz die Bomben heute importieren muss.
Uropa Alois Hübner hatte 1924 in Görlitz die erste Bäckerei eröffnet, während diese am 15. Mai 1928 dann in Horka ihren neuen Sitz nahm. Armin Hübner ist damit in vierter Generation Bäcker und sich mit seinem weiterhin in der Backstube mit anfassenden Vater Lothar einig. „Ohne Schlesische Mohnkließla und ohne Mohn- sowie Christstollen gibt es bei uns hier in Schlesien keine Schlesische Weihnacht!“, wobei Armin Hübner zu berichten weiß: „Vom Christstollen wurde in Schlesien einer immer in Leinentüchern aufgehoben, der Ostern wieder herausgeholt wurde.“ Den alten Bräuchen verpflichtet, entstehen in Horka aber nicht nur diese Leckereien oder Neisser Konfekt, dass übrigens aus der Stadt Neisse (Nysa) an der Glatzer Neiße stammt und nicht von der Lausitzer Neiße! Und natürlich überlebte auch der Wunsch nach Liegnitzer Bomben die vier Jahrzehnte der DDR, in der eine Bezugnahme auf Liegnitz ausgeschlossen schien. „Bei uns im Dorf wohnt ein Schuhmachermeister, der aus Sagan (Zagan) stammt und in Erinnerung um diese Leckerei bat. Mein Vater hat insgesamt 35 Rezepte auffinden können und an diesen so lange gefeilt, bis der Schumacher sagte: ’Ja, das ist es.’“ Auch andere Bäcker aus der Niederschlesischen Oberlausitz bieten so heute wieder die Bomben an, die bei vielen im familiären Gedächtnis überdauert hatten, wenn auch nicht mehr jeder den eigentlichen Namen der süßen Bombe auf Pfefferkuchenteigbasis mit Kuvertüre kannte. Heute gehen Bestellungen von Liegnitzer Bomben aus ganz Deutschland nicht in Liegnitz, sondern in Horka ein. „Oft heißt es bei der Bestellung zum Beispiel, dass man sich damit an das Weihnachtspäckchen erinnert, dass die schlesische Oma früher geschickt hat“, berichtet Armin Hübner. Zu den Traditionsbestellungen kommen aber auch immer mehr Neukunden, deren kulinarische Bombenstimmung einfach aus Begeisterung für die wahnsinnig gute Leckerei herrührt.
Kommentare zum Artikel "Liegnitzer Bomben: Bombenstimmung in Horka und Liegnitz"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Bomben. Da denkt man doch zuerst an Sprengmittel. In unserer Familie hatte der (essbare) Stollen immer einen hohen Stellenwert. Noch heute bin ich ein Stollen-Fan und das bis weit in den Sommer.
Hier in meinem hess. Exil - weil in Oberschreiberhau geboren - gibt es leider keine Liegnitzer Bomben mehr. Die anderen liefern "WIR" lieber in die Welt!
Wenn mein Chef, der Herr Rübezahl, es will, so werde ich mir den nächsten Stollen aus Liegnitz besorgen lassen. Allein bei diesem Gedanken läuft mir das Wasser im Munde zusammen.
Schlesien Glück Auf!
Hans-Ulrich Ohagen
Das ist für mich die erste Nachkriegsgeschichte der Bombe. Meine Oma kaufte sie einmal in Liegnitz wo ich 1936 geboren wurde und sie blieb mir unvergessen. Sie ist ein Symbol aus meiner Heimat in der ich bis zur Vertreibung 1946 im russischen Stadtteil lebte. Ich habe alle verfügbaren Rezepte gesammelt und backe jedes Jahr vor Weihnacht. Für mich war sie dem Dresdner Stollen vergleichbar.
Ich verteile sie als Teil meiner Identität unter Familie und Freunden hier in Luxemburg und auch in Frankreich. Es soll ein Beitrag sein zur Vielfalt der europäischen Kulturen mit Blick auf die Weihnacht.
Lieber Peter, zwischen Schlesien und Galizien gibt es viele Gemeinsamkeiten. Vermutlich auch, weil Galiziendeutsche teils aus Schlesien zuwanderten. Allerdings ist das Fasten in der Weihnachtszeit nicht etwas aus der Vergangenheit und auch nicht nur katholisch. Natürlich fasten auch heute viele Christen weiter in der Adventszeit. Die Vorstellung von der Adventszeit als Fastenzeit hat uns nur die heutige Konsumzeit genommen, wo die Vermarktung immer eher mit den Verlockungen einsetzt. In einer Adventszeit ohne Glauben kommt dann eben die große Völlerei raus, welche der Adventszeit eigentlich völlig zuwider läuft.
Zitat: „Vom Christstollen wurde in Schlesien einer immer in Leinentüchern aufgehoben, der Ostern wieder herausgeholt wurde.“
Das war nicht nur in Schlesien so: Meine Oma ist Deutsche aus Galizien (heutige West-Ukraine) und erzählt, dass in ihrer Familie früher immer ein Christstollen bis Ostern aufgehoben wurde, man hat diesen Stollen dann zu Ostern gegessen.
Stollen war früher ein typisches Essen in der Advents-Fastenzeit. Meine Oma war katholisch und die Katholiken haben damals im Advent gefastet: Direkt nach St. Martin (11. November) ging die Fastenzeit bis einschließlich Heiligabend, erst am 1. Weihnachtsfeiertag durfte wieder geschlemmt werden.
Der Stollen war ein Fastenbrot, ganz alte Rezepte enthalten nur Mehl, Wasser, Pflanzenöl und Hefe.
Das traditionelle Stollenrezept meiner Oma enthält Dinkel-Vollkornmehl (weißes Weizenmehl hatte man nicht immer und es war teuer), dieser Stollen schmeckt dann wirklich ähnlich wie Brot (obwohl z. B. auch Zucker, Rosinen, Orangeat und Zitronat drin sind), ist aber sehr sättigend.
Früher auf dem Dorf hatten sie auch nicht immer Rosinen, Orangeat und Zitronat, da wurden dann laut meiner Oma für den Stollen z. B. Elsbeeren statt Rosinen verwendet und Apfel- oder Birnen-Stückchen, getrocknete Kirschen oder Pflaumen-Stückchen oder sogar Karottenstückchen statt Orangeat und Zitronat.
Ich bin gerührt über die Historie der Liegnitzer Bombe. Habe mir heute eine in der Berliner Schlossstraße bei REICHARDT gekauft