Milkeler Wölfe auf Kuschelkurs
Immer mehr Wölfe durchstreifen die hiesigen Wälder. Bei Begegnungen mit Menschen setzen sie gewöhnlich zur Flucht an. Foto: Archiv/KK
Region. Was läuft verkehrt beim Wolfsnachwuchs im Milkeler Rudel? Drei knapp fünf Monate alte Welpen sorgen derzeit für helle Aufregung in Fachkreisen. Bei Begegnungen mit Menschen machten die Tiere, wie sonst üblich, keine Anstalten, zur Flucht anzusetzen. Vielmehr muss das in Rietschen ansässige Kontaktbüro „Wölfe in Sachsen“ dieser Tage konstatieren: „Sie näherten sich ihnen teilweise bis auf wenige Meter neugierig an, jedoch ohne dabei aggressiv zu sein. Es ist zwar bekannt, dass Wolfswelpen neugieriger und weniger vorsichtig reagieren als erwachsene Wölfe. Das Verhalten dieser Welpen lässt jedoch vermuten, dass sie sich in den letzten Wochen an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt, eventuell sogar positive Erfahrungen mit ihnen gemacht haben.“
Wölfe auf keinen Fall füttern
Im Umweltministerium klingeln seit diesen Beobachtungen die Alarmglocken. „Künftig ist es wichtig, die gegebenenfalls fehlende Scheu von Wolfswelpen auf keinen Fall zu verstärken“, erklärt Ministeriumssprecher Frank Meyer. „Das heißt, dass sie keine weiteren Begegnungen mit Menschen haben sollten, die sie mit positiven Erfahrungen verbinden. Sie dürfen auf keinen Fall angelockt oder gar gefüttert werden beziehungsweise in der Nähe von Menschen Nahrung finden.“ Niemand sollte auch nur den Versuch unternehmen, sich den Tieren anzunähern, um beispielsweise ein besseres Foto zu schießen. Das könnte den Gewöhnungseffekt weiter verstärken. Daher werde jetzt versucht, den betreffenden Tieren die Scheu beizubringen.
Seitens der Wolfsbeobachter in Rietschen heißt es: „Die einzig effektive Form einer so genannten Vergrämung ist ein Stromzaun, denn dieser fügt den Tieren Schmerz zu.“
Antrag auf Wolfsabschuss wird geprüft
Unterdessen prüft das Ministerium in Dresden noch immer eine vom Landkreis Bautzen erteilte Ausnahmegenehmigung zum möglichen Abschuss von Problemwölfen. „Die Entscheidung des Landrates und die Begründung werden derzeit bei uns fachlich und rechtlich untersucht“, sagt Frank Meyer. Im Visier steht dabei das Rosenthaler Rudel. Dieses wird für etwa 60 Übergriffe auf Nutztiere in den vergangenen vier Jahren verantwortlich gemacht.
Die mörderische Bilanz: 181 getötete oder verletzte Schafe und Ziegen. Enthalten sind Angaben des Bautzener Landratsamtes zufolge auch die zuletzt registrierten Wolfsattacken in Schönau und Cunnewitz, bei denen unter anderem ein fünffacher Litzenzaun mit Flatterband überwunden worden sei.
Landrat Michael Harig: „Mir liegt der Artenschutz – auch der des Wolfes – nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus persönlicher Sicht am Herzen. Gleichwohl muss darauf verwiesen werden, dass eine ungehinderte Ausbreitung der Spezies Wolf zu Konflikten führt, die nicht unerheblich sind. Vor diesem Hintergrund plädiere ich für einen Interessenausgleich im Sinne eines nachhaltigen Artenschutzes und im Interesse der Nutztierhalter im ländlichen Raum. Dieser schließt die im Naturschutzgesetz vorgesehenen Ausnahmen von Zugriffsverboten – wie den von mir aktuell auf den Weg gebrachten Antrag auf Entnahme – grundsätzlich mit ein. Die in Erwägung gezogenen Maßnahmen sind damit kein Akt staatlicher Willkür, sondern stellen ein Handeln nach Recht und Gesetz dar.“
Zutrauliche Tiere vergrämen
Parallel dazu untersuchen vor Ort Biologen des Instituts für Wolfsmonitoring und -forschung in Zusammenarbeit mit dem für die Flächen zuständigen Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft die Situation im Milkeler Territorium, um die Hintergründe und mögliche Ursachen aufzuklären sowie dem unerwünschten Verhalten entgegenzuwirken.
Sophia Liehn vom Kontaktbüro versucht in diesem Zusammenhang zu beruhigen: „Wölfe sehen den Menschen nicht als Beute an. Sie werden im Welpenalter geprägt und leben in Deutschland fast ausschließlich, das heißt zu circa 93 Prozent, von wildlebenden Huftieren.“
Als Beweis führt die Mitarbeiterin eine Untersuchung des Senckenbergmuseums Görlitz an.
Das analysiert die Losung der Wölfe und stellte im Zeitraum von 2001 bis 2015 eine bestimmte Verteilung fest. Demnach fiel den pelzigen Jägern in 52 Prozent der bekannten Fälle Rehwild zum Opfer. Rothirsche (19,8 Prozent), Wildschweine (19,4 Prozent) sowie Damhirsch (1,8 Prozent) standen ebenfalls auf dem Speiseplan. „Es ist also nicht davon auszugehen, dass Wölfe Menschen beziehungsweise Kinder als Beute wahrnehmen.“
Vielmehr sei in den vergangenen Jahrhunderten die Tollwut ursächlich für aggressives Verhalten der Raubtiere gegenüber Menschen gewesen. „Diese gibt es jedoch seit 2008 in Deutschland nicht mehr“, betont Sophia Liehn.
Ihr Tipp für ein souveränes Verhalten, sobald sich die Wege mit Isegrim kreuzen: „Wenn man einem Wolf begegnet und dieser nicht wie es eigentlich zu erwarten ist beim Anblick des Menschen weitergeht, sondern vielleicht stehen bleibt, sollte man sich lautstark bemerkbar machen.“ In die Hände klatschen, rufen oder nach ihm etwas werfen – das sind die Empfehlungen der Fachfrau. „So machen die Tiere die Lernerfahrung, eine entsprechende Distanz zum Menschen zu wahren und dass sie von ihm nichts interessantes zu erwarten haben.“
Auch das Umweltministerium hat einige Ratschläge parat: „Das Spektrum reicht von Bewerfen mit Steinen über einen Beschuss mit Gummigeschossen bis hin zum Einfangen und Besendern. Welche dieser Möglichkeiten in welcher Eskalationsreihenfolge gewählt wird, entscheiden die Experten und die zuständigen Behörden entsprechend dem weiteren Verhalten der Wölfe.“