Mirko Schultze: „Nie Sorgen, dass der Kühlschrank voll ist“
Linken-Leithirsch Mirko Schultze gehört mit seinen 48 Jahren bei den Görlitzer Linken fast schon zum Alten Eisen. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Mit der Suche nach dem Nachfolger für Bürgermeister Michael Wieler sind Allianzen ins Wanken geraten. Benedikt M. Hummel muss abwarten, ob Wieler mit der Positionierung für ihn als seinen Nachfolger zu hoch gepokert hat. Für Mirko Schultze von den Linken hat das ganze Prozedere jedenfalls ein Geschmäckle.
Görlitz. Beim letzten Pressegespräch im Rathaus machte Oberbürgermeister Octavian Ursu ein Geheimnis daraus, wie viele Bewerbungen für die Nachfolge von Bürgermeister Michael Wieler überhaupt im Rathaus eingegangen seien und begründete dies mit dem Datenschutz. Dass immerhin neun Bewerbungen vorliegen, hat in einer Zeit, in der Absprachen selbst aus Bundestagsausschüssen per SMS sofort über NGO’s und Medien an die Öffentlichkeit durchgestochen werden, natürlich längst die Runde gemacht.
„Wenn man natürlich einen Nachfolger sucht, der nicht guckt, welche Leichen im Keller liegen, der nicht guckt, was unter den Teppich gekehrt wurde, der nicht fragt, was man auch effektiver hätte machen können und der nicht guckt, ob man wirklich alles zum Wohle der Stadt oder dann doch eher für den ein oder anderen Bekannten gemacht hat, dann ist natürlich die Art, wie man jetzt einen Nachfolger sucht, relativ günstig“, meint der Linke Görlitzer Spitzenpolitiker Mirko Schultze, ohne dabei „viele Erfolge Michael Wielers“ in Abrede zu stellen. Man habe jetzt eben einen Nachfolger gesucht, den man doch schon jahrelang aufgebaut hat, der als Geschäftsführer in der Gesellschaft tätig ist, die man selbst mal geleitet hat (Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH). Der angesprochene Benedikt M. Hummel habe Michael Wieler schon jetzt seine Position zu verdanken. Die Dankesschuld würde bei der von der Verwaltungsspitze vorgesehenen Inthronisierung Hummels quasi dann noch eine Stufe höher greifen.
Eine solche Feststellung wertet Benedikt M. Hummel gar nicht ab, sie brandmarkt vielmehr Wielers Vorgehen, der mit offener Unterstützung für seinen Kandidaten Hummel am Stadtrat vorbeiagiert hat. Mirko Schultze hält fest: „Michael Wieler vertraut darauf, dass Wegbegleitung einen Benefit hat. Es ist auch legitim, dass man darum bemüht ist, in der Geschichtsschreibung gut dazustehen.“
Dabei ist die Karriere Wielers in Görlitz vermutlich gar nicht beendet, er könnte möglicherweise an der Spitze einer Berzdorfer-See-Gesellschaft stehen. „Er hat noch die ein oder andere Idee vor“ und es sei für ihn nicht schlecht, wenn man jemanden als Bürgermeister habe, „mit dem man schon mal gesprochen hat“, so Schultze. Dieser ergänzt, man hätte für „den höchsten Posten, den wir in Görlitz außerhalb von Wahlen zu vergeben haben“, bundesweit Werbung machen müssen, „um die besten anzusprechen: Boah! Das ist eine interessante Stadt im Strukturwandel.“
Ausgerechnet erst am Tage des Redaktionsschlusses am Mittwoch tagte der mit einer Vorauswahl betraute Verwaltungsausschuss. Doch unabhängig davon ist eines gewiss: Gegen übliche Bündnisse teilen Linke, Motor/Grüne und AfD ein Unbehagen, dass man bei vier Bewerbern – unter anderem Hummel – eine Auswahl präsentiert bekomme, die Hummel gezielt freie Bahn geben könnte. Juristisch ist das Verfahren nicht präzise festgelegt. Mike Altmann (Motor) betont gegenüber dem Niederschlesischen Kurier, dass Leipzig eine solche Wahl eleganter hinbekommen habe und man nun juristische Kommentierungen interpretieren müsse. Lutz Jankus (AfD) übt ebenso Kritik, bleibt jedoch wegen der Verschwiegenheitspflicht aus dem Ausschuss ebenfalls vage.
Für Mirko Schultze stellte sich jedenfalls am Dienstag gegenüber dem NSK die Frage: „Stellen sich jetzt vier vor, sind die anderen dann raus aus dem Rennen und wenn ja aufgrund welcher Legitimation?“ Am Ende muss der Stadtrat im Einvernehmen mit dem OB und nicht der Verwaltungsausschuss eine Entscheidung treffen und Schultze fragt: „Reicht es zu sagen, ihr hättet euch ja alle die Bewerbungsunterlagen angucken können? Das Verfahren als solches ist juristisch vielleicht nicht anfechtbar, aber es zeigt, dass das Interesse für die Stadt das Beste herauszuholen nicht Grundlage des Entscheidungsverfahrens war.“ Offen sei auch, was passiere, wenn ein nicht Ausgewählter die Entscheidungsfindung juristisch anfechte. Genau das ist nun eingetreten wie gut unterrichtete Kreise der Redaktion bestätigen.
Nach Ansicht seiner Fraktion, so Schultze, hätten alle Bewerber alle formalen Kriterien erfüllt. „Es gibt mehr als einen sehr guten Bewerber – auch aus der Mitte der Verwaltung.“ Das könne man als einen Vorteil verstehen, während jedoch „jemand der von außen eine Vision mitbringt“, ebenso hochinteressant sein könne. „Für uns ist die Entscheidung noch nicht gefallen“, so Schultze, der über Benedikt M. Hummel sagt: „Ich sehe ihn nicht als Bürgermeister.“
Stichwort Personal. Da die Görlitzer Linke im Vorstand kürzlich eine auffällige Verjüngung erlebt hat, wollte der NSK wissen: Heißt das, der Draht zu den Alten in der Partei funktioniert nicht mehr, denn scheinbar haben manche Alte die Lust verloren? Mirko Schultze fegt den Einwand mit der Mode beiseite, Entscheidungen in die Hand Jüngerer zu legen, liege daran, dass es um Entscheidungen gehe, die die Jungen in ihrem Leben noch betreffen würden. „Junge Leute hatten bei uns immer ihren Platz“.
Im Strukturwandel gehört dazu natürlich der öffentliche Personenverkehr, zu dem die Landtagsfraktionen dieser Tage einen 12-Punkte-Katalog vorlegte, in der man die Oberlausitz als „Modellregion“ sieht.
Auf den skeptischen Blick des Redakteurs, eine dünn besiedelte Region könnte mit dem großen Schlagwort von der ’Modellregion’ überfordert sein, kontert Schultze: „Beißen Sie sich nicht am Namen fest. Es geht ja eben nicht um die Optimierung bestehender Modelle“. Man müsse Modelle finden, bei der eine Familie mit drei Autos auch zu der Erkenntnis kommen könne, dass eines vielleicht ausreicht. Das wäre denkbar, wenn attraktivere Bahnachsen erreichbar seien. Das eigentliche Ausrufungszeichen im Papier war jedoch der starke Ruf nach der Eisenbahnteststrecke Tetis bei Niesky. Ist die denn wirklich so beliebt unter den Mitgliedern der Partei?: „Sie ist nicht beliebt, sondern notwendig“, meint Schultze mit hierbei defensiv verschränkten Armen. Andere Teststrecken seien ausgelastet, der Waggonbau gehöre zur Tradition, die sich hier mit Fortschritt verbinden lasse, „aber Dresden verschleppt die Sache gerade, das Wirtschaftsministerium versagt“, sucht der Landtagsabgeordnete die Offensive.
Etwas anders stellt es sich bei seinem politischen Steckenpferd, dem Zivilschutz dar. „Der war ja drei Jahrzehnte lang nicht mehr en vogue, nun empfiehlt Bundesinnenministerin Fraeser schon, den sonst verachteten ’Preppern’ nachzueifern und Vorräte anzulegen“, stellt der NSK fest. Mirko Schultze schmunzelt und gesteht ein, dass im Kontext des Krieges in der Ukraine der Beigeschmack einer Verunsicherung im Raum läge. Viele hätten sich jedoch zu lange auf Warn-Handy-Apps zurückgezogen. „Der Abbau von Sirenen und Notstrom war falsch und es ist auch nicht die Frage, ob ein Blackout kommt, sondern wann. Das sagen uns Experten“, wirbt der Abgeordnete für dieses Politikfeld. Im Ernstfall müsse es ja ohne Panik weitergehen können.
Also könnten die vermeintlichen Ränder links und rechts doch hier und da zusammenfinden?, bietet die Redaktion eine Brücke an und verweist auf linke Vordenker wie Tariq Ali, der davon spricht, dass die eigentliche Gefahr und ungezügelter Neoliberalismus von einer neuen „extremen Mitte“ ausgehe oder auf den Gesinungsgenossen und emerierten Psychologie-Professor der Uni Kiel Rainer Mausfeld, der eine Umwandlung der Demokratie in einen autoritären Sicherheitsstaat mit psychologischen Techniken des „Meinungs- und Empörungsmanagements“ diagnostiziert. Doch auf solche Gedankenspiele möchte sich Mirko Schultze nicht einlassen. Bewusst oder unbewusst nimmt er eine Anleihe bei Erich Honecker und sagt. „Feuer und Wasser sind unvereinbar.“ Es gehe darum, welche gesellschaftlichen Kräfte Nationalstaaten überwinden wollten, ob sie am tradierten Bild der 50er Jahr von Frau, Mann, Kind, Familie festhalten oder der Selbstverwirklichung Raum geben. „Der Feind meines Feindes ist eben doch nicht automatisch mein Freund“, sagt er.
Auch auf die Lokalpolitik heruntergebrochen gelte das. Während gut unterrichtete Kreise im gemeinsamen Ringen gegen das Lancieren des einen Kandidaten für die Wieler-Nachfolge zwischen der Linken, Motor/Bündnisgrünen und AfD ein Indiz sehen, dass Realpolitik doch zum produktiven Gespräch zwingt, bleibt der gelernte Baufacharbeiter Mirko Schultze zumindest nach außen ganz grundsätzlich. Auch wenn die AfD rechnerisch nicht ignorierbar sei: „Wir spekulieren nicht auf die Taktik der AfD.“ Ihr Verhalten werde bestimmt nicht einkalkuliert. Vielmehr wundere er sich, wie oft die CDU nicht geschlossen hinter Ursu stehe und dessen Unterstützung eher von den Bürgern für Görlitz (BfG) komme.
Seine eigene Parteizukunft sieht der einstige Irokesenschnittträger trotz selbst mitiniziierter Verjüngung gelassen. „Ich sehe mich zu nichts gezwungen, lasse aber auch nicht aus Verzweiflung los“, pustet er durch. Er sei sich eines wertvollen Privilegs bewusst: „Ich musste mich nie sorgen, dass bei mir der Kühlschrank voll ist“, bekennt der Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens. Entscheidend sei in der Politik: „Die Teamleistung muss am Ende stimmen.“