Mit der Gießkanne durch die Oberlausitz
Auch für das Braunkohlekraftwerk in Boxberg ist das Aus besiegelt worden. Foto: Matthias Wehnert
Region. Am Dienstag sind – etwa ein Jahr nach dem politisch beschlossenen Kohleausstieg – 38 von 40 eingereichten kommunalen Projekten zum Strukturwandel in der Oberlausitz ausgewählt worden. Ergebnisse des Gießkannenprinzips für Gelder von etwa 130 Millionen Euro beklagte zuvorderst Weißwassers Oberbürgermeister Torsten Pötzsch, den es aufbringt, dass sein „kernbetroffenes Gebiet“ zusehen müsse, wie auch vom Tagebau weit entfernte Orte in gleicher Weise bedient würden, während sogar die Straßenanbindung Mitteldeutschland-Lausitz („MiLau“) bis Weißwasser nicht zum Zuge kommt.
Schon im Vorfeld der Entscheidung hatte er seinen Unmut kundgetan, dass nach Görlitz für den „Umbau zu einer mobilen Stadt“ über 90 Millionen Euro aus dem Kohletopf fließen sollten. Doch die Anschaffung der neuen Niederflurstraßenbahnen in Görlitz hat es zunächst nun nicht in die Auswahlliste geschafft – gerade weil die Straßenbahn zu offenkundig profitieren sollte. Und so trifft es der Kommentar in der Sächsischen Zeitung gut, wenn es dort heißt: „Ministerpräsident Michael Kretschmer ahnte das Unheil, als er mahnte, die Beschlüsse dürften sich in Berlin, München oder Stuttgart nicht wie kommunale Investitionslisten lesen. Genauso ist es aber gekommen.“
Nutznießer sind nun unter anderem der Görlitzer Tierpark, dessen Ausbau mit fünf Millionen Euro bedacht wird, Quitzdorf durch die Sanierung der Talsperre oder Waldhufen durch Erschließung eines Gewerbegebietes. Das alles ist mit Fantasie aufgrund zumutbarer Pendelei für arbeitslos werdende Menschen noch entfernt als strukturelle Alternative zum „kernbetroffenen Gebiet“ vermittelbar, kaum mehr jedoch das touristisch bedachte Oberland oder weite Teile des paritätisch mit 19 der 38 ausgewählten Projekte bedachten Landkreises Bautzen, wo Fördergelder selbst an die westliche Flanke fließen – wie etwa zum Kulturhaus Bischofswerda.
Dämpfer für wichtiges Verkehrsunterfangen
Ein besonderes Kapitel bei der infrastrukturellen Abfederung kommt indes Verkehrsprojekten zu, die die Erreichbarkeit und Attraktivität der Region als Wirtschaftsstandort an sich betreffen. Und spätestens an dieser Stelle zieht dann die Oberlausitz mit den Kreisen Görlitz und Bautzen doch an einem Strang. Dem Freistaat Sachsen stehen letztlich insgesamt rund zehn Milliarden Euro zur Verfügung, um die Strukturentwicklung im mitteldeutschen und im Lausitzer Revier zu unterstützen. Über die Verteilung von rund 6,5 Milliarden Euro dieser Mittel entscheidet das sogenannte Bund-Länder-Koordinierungsgremium, in dem neben der Bundesregierung auch die Regierungen der vier Kohleländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen vertreten sind.
Auch wenn aufgrund des begrenzten Finanzrahmens und eigener Schwerpunktsetzungen der Bundesressorts nicht alle von Sachsen erhofften Maßnahmen umgesetzt werden können, zeigte sich Ministerpräsident Michael Kretschmer über die Einigung zufrieden: „Die Vorhaben tragen maßgeblich dazu bei, die beiden sächsischen Braunkohleregionen fit zu machen für die Zeit nach dem Kohleausstieg.“ In der Lausitz soll demnach die Bahnlinie Görlitz – Cottbus – Berlin zu einer fernverkehrstauglichen Anbindung ausgebaut und elektrifiziert werden. „Auf der anderen Seite ist es in den Verhandlungen mit dem Bund nicht möglich gewesen, für den Freistaat Sachsen bedeutsame Infrastrukturvorhaben in das Strukturstärkungsgesetz aufzunehmen“, bemängelte Verkehrsminister Martin Dulig. „Insbesondere beim Ausbau der Bundesautobahn A 4 sowie bei der Elektrifizierung der Bahnstrecke Dresden – Bautzen – Görlitz konnte eine Finanzierung über die Mittel zum Kohleausstieg nicht abgesichert werden.“ Deshalb werde der Freistaat unverzüglich in Gespräche mit dem Bund einsteigen, um die Finanzierung dieses Schienenprojektes, mindestens für die Fortführung der nächsten Planungsphasen, zu erreichen. Auch für den Ausbau der A 4 werde sich das Land mit Nachdruck beim Bund einsetzen, versicherte der Minister.
Klärendes Gespräch im Bautzener Landratsamt
Nach Einschätzung des Zweckverbandes Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON) bleibt die Oberlausitz damit weiter abgehängt. Gleichzeitig würden Chancen vertan, denn mit dem Lückenschluss zwischen der Neiße- und der Landeshauptstadt ließen sich Personen und Güter auf die Schiene bringen. Das wiederum führe zu einer Entlastung der inzwischen stark frequentierten Autobahn A 4. Der Verkehrsverbund bezieht sich damit auf eine Verkehrsstudie, die verschiedene Maßnahmen im Personen- und Güterverkehr bewertete. „Fernverkehrsunternehmen werden diese Region nicht anbinden, solange die Strecken weiter ausschließlich im Dieselbetrieb nutzbar sind“, betonte ZVON-Geschäftsführer Hans-Jürgen Pfeiffer. Gleiches lasse sich für den Güterverkehr sagen.
Erst kürzlich hatte ein Sprecher der Deutschen Bahn auf Anfrage gesagt, dass aus Sicht des Unternehmens zunächst zwischen dem Bund als Finanzierungsgeber und dem Freistaat Sachsen die Projektinhalte und die Modalitäten der Finanzierung und Projektumsetzung abgestimmt werden müssten. Die Frage der Projektinhalte sei dabei ebenso wichtig wie die nach den für die Planung und den Bau notwendigen Finanzierungsvereinbarungen. „Sobald die Aufträge für die Projekte an die DB AG erteilt worden sind, werden wir zur Planung und Umsetzung in den Dialog mit den regionalen Stakeholdern gehen. Erst dann lassen sich Fragen zum Zeitplan und zur Kostenhöhe seriös beantworten“, fügte der Bahnmitarbeiter hinzu.
Für diese hochmodernen polnischen Triebwagen – hier bei einem Halt in Kohlfurt (Wegliniec) – ist gezwungenermaßen bislang an der Grenze Schluss. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Das klingt inzwischen wie ein schlechter Scherz, hatte die Landesregierung doch stets betont, dass die Baumaßnahmen zeitnah realisiert würden. Deshalb macht die Basis nun Druck, damit bei den Entscheidungsträgern doch noch ein Umdenken einsetzt - und zwar pro Ausbau der Bahnlinie Görlitz - Dresden. Auch aus diesem Grund hat es zu Wochenbeginn im Bautzener Landratsamt ein kurzfristig einberufenes Treffen mit Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer gegeben.
In dem Zuge wurde festgestellt, dass im Fall besagter Bahnlinie noch in diesem Jahr eine Elektrifizierung auf den Weg gebracht werden soll. Derzeit würden die Kosten abermals gegengecheckt. Da dieser Vorgang zuletzt nach wie vor im Gange gewesen sei, konnte die Maßnahme noch nicht Bestandteil der Bundesliste sein. War alle Aufregung um das Schicksal der Bahnstrecke am Ende umsonst?
Landrat Michael Harig formulierte es so: „Es ist ein gutes Zeichen, dass der Ministerpräsident die kritischen Stimmen aus dem Landkreis ernst nimmt und uns sehr schnell ein Gespräch angeboten hat. Wir nehmen die Staatsregierung beim Wort und erwarten die Entscheidung zur Elektrifizierung der Bahnlinie Görlitz – Dresden noch in diesem Jahr.“ Die Autobahn A 4 hingegen sei im gültigen Bundesverkehrswegeplan enthalten. Es handele sich dabei um eine klassische Aufgabe der Bundesstraßenverwaltung und hätte dem Strukturwandel aus Sicht der Staatsregierung einen zu großen finanziellen Betrag entzogen.
Kommentare zum Artikel "Mit der Gießkanne durch die Oberlausitz"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Wen überrascht das noch?! Die Verteilungskämpfe um die insgesamt 40 Mrd. EUR dauern doch schon eine ganze Weile an. Wie überall entscheiden hier wieder die besten Kontakte, heutzutage "Netzwerke" genannt. ???????????