Mit der Straßenbahn bis zum Klinikum!
Der Straßenbahnanschluss des Städtischen Klinkums ist Andreas Trillmich eine Herzensangelegenheit. Doch die Agenda der Aufgaben ist viel umfangreicher. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Die Görlitzer Verkehrsbetriebe (GVB) planen den Austausch ihrer Fahrkartenautomaten. Foto: Uwe Menschner
Görlitz. Die Görlitzer Verkehrsbetriebe (GVB) planen auch den Austausch ihrer Fahrkartenautomaten. Diese sind laut der entsprechenden Ausschreibung „über 20 Jahre alt und entsprechen nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik.“ Aufgabe der GVB sei es daher, 25 neue mobile und 23 stationäre Automaten zu beschaffen. Der Kostenumfang wird auf circa 1,3 Millionen Euro geschätzt. Die stationären Automaten sollen über eine Sprechverbindung und über die Möglichkeit, einen Dialog mit dem Nutzer zu führen, ausgestattet sein. Zudem wird auch eine Videoüberwachung sowie die Nachrüstbarkeit von kontaktlosen Schreib- und Leseeinheiten gefordert. Bis zum März 2021 soll der Auftrag abgeschlossen sein.
Seit einem Jahr ist Andreas Trillmich Geschäftsführer der Görlitzer Verkehrsbetriebe. Mit der Anschaffung neuer Niederflurstraßenbahnen steht die erste Mammutaufgabe an. Doch Andreas Trillmich ist zudem bereits in die Offensive gegangen, indem er auf eine Prüfung des Ausbaus des Streckennetzes drängt, das einer Europastadt würdig ist. Till Scholtz-Knobloch interviewte Andreas Trillmich an seinem Arbeitsplatz.
Herr Trillmich, wer sich in Görlitz näher mit der dem Schienenverkehr beschäftigt weiß, dass Sie Ihren Beruf leben. So sieht man sie z.B. ganz privat auch auf Modellbahnveranstaltungen. Sind Sie jemand, der auch mit der Bahn in den Urlaub fährt oder ist das Netz in Deutschland mittlerweile so schlecht, dass man sich das auch als Mann vom Fach verkneift?
Andreas Trillmich: Für berufliche Wege nutze ich auch die Bahn, wenn es passt. Nach Dresden beispielsweise ist das mit dem Trilex ideal. In den Urlaub fahre ich schon wegen des Gepäcks für eine vierköpfige Familie eher mit dem Auto. Auf Modellbahnveranstaltungen gehe ich mit meinem achtjährigen Sohn natürlich sehr gern. Ich bin aber nicht derjenige, der im Urlaub Eisenbahnfahrzeuge fotografiert oder ganz bestimmte Strecken abfährt. Ich nutze den Urlaub eher, um mit meiner Familie mal abzuschalten.
Sie kamen von der Länderbahn, die heute über 1.000 Mitarbeiter auf zahlreichen Eisenbahnstrecken hat.
Ist Ihre Rückkehr nach Görlitz zum beschaulichen Bus- und Straßenbahnnetz ein bewusstes Zurück zu den Wurzeln? Sie sind ja in Görlitz geboren.
Andreas Trillmich: Ich habe seit 2009 immer größere Einheiten geführt. Das war eine tolle Erfahrung. Was mir jedoch gefehlt hat – und das ist nicht wertend gemeint – man verliert dabei auch zunehmend den Bezug zur Praxis. Man kennt die Kollegen oft nur noch vom Namen. Das operative Geschäft sieht man eher aus der Ferne, da man sich doch mehr mit Zahlen und Strategien beschäftigt. Ich habe sehr gern bei der Länderbahn gearbeitet, aber bei der GVB mit ihren etwa 90 Mitarbeitern ist das nun doch mehr ein Geschäft zum Anfassen.
Ich werde immer wieder gefragt, ob es jetzt schön ist, wieder mehr bei meiner Familie zu sein. Es gab mehrere Gründe, warum ich mich als Geschäftsführer der GVB beworben habe und natürlich stand dabei die Familie ganz weit vorn. Wichtig war für mich aber auch die Perspektive des Unternehmens, denn ich bin vom Typ her kein klassischer Verwalter von Aufgaben. Wir stehen inmitten der Beschaffung neuer Stadtbahnwagen, es müssen erhebliche Investitionen in die Barrierefreiheit der Infrastruktur getätigt werden und vielleicht schaffen wir es, dass die Straßenbahn künftig das Klinikum anfährt. Für mich als Görlitzer ist es eine ganz besonders reizvolle Aufgabe, die Zukunft des ÖPNV in dieser Stadt aktiv mitgestalten zu können. Und für den Ingenieur in mir zudem auch eine technische Herausforderung. Ich denke, man bekommt nicht oft die Möglichkeit, solch spannende Aufgaben quasi vor der eigenen Haustür wahrzunehmen.
Bei der Größe der Stadt ist eine Straßenbahn keine Selbstverständlichkeit…
Andreas Trillmich: Wir sind sicher nicht Leipzig oder Dresden. Man kann aber auch die Frage stellen, warum Halberstadt eine Straßenbahn hat. Ich kenne die Statistiken, nach denen sich eine Straßenbahn erst ab 100.000 Einwohnern lohnen würde. Aber Statistik ist nicht alles. Görlitz verfügt bereits über eine Straßenbahn und mit Zgorzelec haben wir schon mal rund 88.000 Einwohner. Eine Straßenbahn ist für mich zudem auch ein Stück Lebensqualität einer Stadt. Görlitz hat in der Oberlausitz den attraktivsten Stadtverkehr und die Straßenbahn spielt dabei eine entscheidende Rolle. Mit ihr fahren wir weniger Kilometer als mit dem Bus, haben jedoch deutlich mehr Fahrgäste. Der Bus muss sich natürlich die Infrastruktur nicht selbst erwirtschaften, was ihm einen Kostenvorteil verschafft. Aber wir haben bereits eine Straßenbahn-Infrastruktur und auch der Rückbau würde sehr viel Geld kosten. Und nicht zuletzt bietet auch die umweltpolitische Diskussion der klimafreundlichen Straßenbahn ganz neue Entwicklungsmöglichkeiten.
Die Stadt Görlitz hat sich klar zur Straßenbahn bekannt. Über den Betrauungsakt haben wir den Arbeitsauftrag erhalten, acht barrierefreie Stadtbahnwagen zu beschaffen. Zudem müssen wir in die Infrastruktur investieren. Dabei rede ich jetzt noch gar nicht mal von einer Erweiterung, sondern zunächst davon, das ÖPNV-Angebot in dieser Stadt barrierefrei zu machen. Darüber hinaus befassen wir uns aber auch mit einer möglichen Netzerweiterung zum Klinikum.
Wie weit sind dazu die Gedankenmodelle?
Andreas Trillmich: Warum bin ich in dieser Sache Ende letzten Jahres offensiv im ZVON-Journal an die Öffentlichkeit getreten? Ich mache kein Geheimnis daraus, dass für mich die Anbindung des Klinikums an die Straßenbahn eine Herzensangelegenheit ist. Und wir sprechen hier über den zweiten Bauabschnitt einer schon einmal geplanten Trasse. Was wir erreichen wollen, ist eine Neubewertung der Planungsansätze von damals, auf deren Grundlage unsere Stadträte entscheiden können. Dafür wurde ein Ingenieurbüro beauftragt, was uns unterstützen soll. Ob die Umsetzung der Investition drei oder acht Jahre dauert, kann zurzeit niemand sicher vorhersagen. Umso wichtiger ist es, nunmehr eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen. Persönlich denke ich, dass wenn eine Straßenbahnerweiterung sinnvoll ist, dann dort. Wir sprechen hier im besten Fall über rund 600-700 m Strecke und könnten damit ein städtisches Unternehmen mit rund 1.300 Mitarbeitern und großen Besucherströmen anbinden. Das würde sicherlich auch zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit unserer Straßenbahn beitragen können.
Natürlich fände ich auch eine Streckenerweiterung über die Neiße klasse und es wäre für mich auch ein wichtiger Schritt beim weiteren Zusammenwachsen der Europastadt Görlitz/Zgorzelec. Dafür bedarf es jedoch zunächst grundsätzlicher Entscheidungen deutscher und polnischer Kommunalpolitiker. Als Verkehrsunternehmen konzentrieren wir uns insofern zunächst auf die mögliche Streckenerweiterung zum Klinikum.
Und die kleinen Schritte zuvor?
Andreas Trillmich: Erste Schritte könnten für mich eine attraktive Buslinie über die Grenze und ein gemeinsamer Europastadttarif sein. Solange ein Fahrgast sich extra Fahrscheine für die Buslinie P und den Görlitzer ÖPNV kaufen muss, haben wir nicht wirklich einen gemeinsamen Stadtverkehr.
Zumindest nur auf die deutsche Seite bezogen: Haben wir nicht schon genug Tarife, die oft gar für Verunsicherung sorgen?
Andreas Trillmich: Klar, auch ich finde das Tarifsystem in Deutschland mitunter recht kompliziert, gerade wenn man neue Fahrgäste gewinnen will. Wir versuchen manchmal, für jeden Anwendungsfall eine tarifliche Lösung zu finden. Das ist einerseits ehrenwert, führt andererseits aber auch zu einer hohen Komplexität, die mitunter nur schwer zu vermitteln ist. Als ich 2002 die Lausitzbahn mit aufbauen konnte, haben wir damals die Entscheidung getroffen, auf Fahrscheinautomaten in den Zügen zu verzichten. Wir setzten in jedem Zug auf einen Kundenbetreuer, der zugleich Fahrkarten verkaufte. Der Fahrgast musste also nur noch sein Reiseziel kennen, den günstigsten Fahrausweis bekam er im Zug ohne Aufpreis. Für mich war das der richtige Ansatz. Nun kann man das natürlich nicht 1:1 auf den heutigen Stadtverkehr übertragen. Aber ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft über digitale Vertriebskanäle Möglichkeiten haben werden, die Nutzung des ÖPNV gerade für neue Kunden zu erleichtern. Mit der Beschaffung neuer Fahrausweisautomaten, die wir gerade vornehmen, werden zumindest schon mal technische Voraussetzungen hierfür geschaffen.
Ganz oben auf der Agenda steht derzeit die Anschaffung von neuen Niederflur-Straßenbahnen. Wie weit ist die Sache und mit welchen technischen Innovationen neben der Barrierefreiheit können die Kunden rechnen? Bereits mit einem führerlosen Betrieb?
Andreas Trillmich: Wir haben die zunächst einfach klingende Aufgabe, acht Niederflur-Stadtbahnwagen zu beschaffen. Aber welche Platzkapazitäten werden benötigt? Wie breit und wie lang sollen die Fahrzeuge sein? Welche Materialien sollen verbaut werden und welche Instandhaltungskosten entstehen während des Einsatzes? Anhand der vielen aufkommenden Fragen erkennt man sehr schnell die hohe Komplexität einer solchen Beschaffung. Und man weiß auch sehr schnell, dass acht Fahrzeuge für die Industrie ein sehr kleines Los sind. Eine gemeinsame Ausschreibung mit Zwickau war deshalb naheliegend, weil auch dort Meterspurfahrzeuge benötigt werden. Mit deren sechs kommen wir bereits auf vierzehn. Der große Durchbruch kam erst mit den Leipziger Verkehrsbetrieben, die selbst eine Stadtbahnausschreibung vorzubereiten hatten. Natürlich hinterfragt man zunächst den Sinn einer gemeinsamen Ausschreibung, wo doch Leipzig eine andere Spurweite hat. Aber wir haben es geschafft, eine sehr hohe Übereinstimmung von technischen Anforderungen zwischen den drei Unternehmen zu erzielen, sodass eine gemeinsame Ausschreibung sehr sinnvoll ist. Die Leipziger bringen zudem ein großes Know-How mit, denn das ist nicht ihre erste Straßenbahnausschreibung. Für uns also ein echter Glücksgriff, denn es wäre für uns allein sehr viel schwerer gewesen, eine solch komplexe Ausschreibung zu stemmen. Immerhin 1.300 Einzelkriterien galt es zu bewerten. Insofern kann ich den Leipziger Kollegen nur immer wieder für Ihre Unterstützung danken.
Die Ausschreibung stellt aber trotz der Unterstützung einen enormen Kraftakt für meine Kollegen und mich dar, wo wir doch gerade im ersten Betriebsjahr noch ganz andere Themen auf der Agenda haben. Wir sind uns jedoch bewusst, dass es vor dem Hintergrund der langen Vorlaufzeiten bis zur Auslieferung der Fahrzeuge und der berechtigten Erwartungshaltung unserer Fahrgäste gilt, keine Zeit zu verlieren.
Was Ihre Frage nach dem fahrerlosen Betrieb betrifft: Wenn wir heute Straßenbahnen ausschreiben, kommen die in vier bis fünf Jahren auf die Gleise. Sie sollen dann circa 30 Jahre laufen. Da muss man sich schon die Frage stellen, welche Standards in fünf, in zehn oder gar in 20 Jahren bestehen. Und was wollen unsere Kunden in einigen Jahren? Bei der rasanten Entwicklung kann man nicht wirklich 20 Jahre im Voraus denken. Wir haben aber den Anspruch, möglichst weit vorauszudenken, um absehbare Entwicklungen durch die Fahrzeugkonstruktion nicht zu verbauen. So auch zum autonomen Fahren, auch wenn das noch Zukunftsmusik ist.
Die neuen Fahrzeuge sind also anfangs nicht für autonomes Fahren vorgesehen?
Andreas Trillmich: Uns ist natürlich klar, dass wir keine autonom fahrenden Straßenbahnen ausschreiben können. Aber wir sind davon überzeugt, dass dies im Lebenszyklus der Fahrzeuge technischer Standard werden wird. Auch wenn die Straßenbahn schon mal kein Problem mit der Spurführung hätten, so ist für ein autonomes Fahren eine wesentlich höhere Komplexität an Anforderungen zu bewältigen. Ob das 2030 oder 2035 kommen wird, ist nicht die Frage. Aber man sollte beispielsweise wissen, wie und wo man die Wagen bei Bedarf technisch anpassen kann und gewisse Dinge bereits beim Bau berücksichtigen. Im Ergebnis wollen wir hoch wirtschaftliche Fahrzeuge, die Raum für spätere Entwicklungen geben.
An der Landeskrone bleibt mit neuen Fahrzeugen das Wenden im Dreieck erhalten?
Andreas Trillmich: Ja, das funktioniert betrieblich und technisch zuverlässig und auch die neuen Stadtbahnwagen können vom hinteren Führerstand aus bedient werden. Zweirichtungsfahrzeuge sind deutlich teurer und werfen neue Probleme auf. Wir haben bis auf Biesnitz überall Wendeschleifen und würden eine solche sicher auch am Klinikum bauen. Es besteht also kein wirtschaftlicher Sinn, in Zweirichtungsfahrzeuge zu investieren.
Die alte Wendeschleife an der Virchowstraße könnte nicht als Endhaltestelle reaktiviert werden?
Andreas Trillmich: Wo auch immer die mögliche Linie zum Klinikum endet: die Wendeschleife an der Virchowstraße, wie sie jetzt dort liegt, wäre so nicht nutzbar. Die Bahnsteiglänge würde für die längeren Stadtbahnwagen nicht ausreichen und auch die Gleisgeometrie müsste insgesamt angepasst werden.
Was ändert sich demnächst für die Kunden neben den Fahrplananpassungen eventuell noch?
Andreas Trillmich: Zum 15. Dezember passen wir den Fahrplan nochmal an. Im Ergebnis werden die Anschlüsse zum und vom Eisenbahnverkehr verbessert und zudem konnten wir einige Hinweise unserer Fahrgäste berücksichtigen. Wir wollen zudem unser neues Kundenzentrum am Demianiplatz möglichst im 1. Quartal 2020 eröffnen. Momentan befinden wir uns gemeinsam mit den Stadtwerken in der Bauplanung. Wir weihen jedoch erst ein, wenn alles fertig ist, beispielsweise besteht auch ein barrierefreier Zugang. Anfang des kommenden Jahres wollen wir zudem einen Fahrgastbeirat installieren, um ein direktes Feedback von unseren Kunden zu erhalten. Wir suchen hierfür „echte Fahrgäste“, die unsere Stärken und Schwächen aufgrund ihrer täglichen Erfahrungen wirklich kennen. Darin sollen unterschiedliche Nutzergruppen vertreten sein, so auch Senioren, Schüler und ein polnischer Fahrgastvertreter.