Mit Kahlbaum nach den Sternen greifen

Peter-Nikolai Marakanow zeigte der Redaktion auf dem Kahlbaum-Gelände die Räume von außen wie innen, wo er einst das Schachspiel gelernt hat. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Peter-Nikolai Marakanow hat einen Kreis von Aktiven um sich geschart, der sich dem Erbe des sogenannten Kahlbaum-Areals widmet. Zum siebenjährigen Jubiläum der Initiative gibt es am 16. April einen Infotag.
Görlitz. „Mit Weitsicht und großem Geschick machte Dr. Karl Ludwig Kahlbaum dank moderner Behandlungs- und Rehabilitationsmethoden, Pädagogium und Klinik, die Heilstätte zu einem weltweit bekannten Universalsanatorium“, heißt es auf der Internetseite der Initiative Pro Kahlbaum, die sich Erforschung, Erhalt und Belebung des Wissens um den Mediziner und des nach ihm benannten Areals neben der Dr.-Kahlbaum-Allee in Görlitz verschrieben hat und das Dr.-Kahlbaum-Informations- und Begegnungszentrum in der Querstraße 10 führt.
Das ganze hat einen Schub dadurch bekommen, dass im August letzten Jahres in den weitläufigen und baufälligen einstigen Klinikanlagen der Startschuss für den neuen Campus des Deutschen Zentrums für Astrophysik (DZA) gefallen ist, das hier seinen Sitz nehmen wird und dessen Grünanlagen auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen sollen (der Niederschlesische Kurier berichtete). Im ideellen Sog von dereinst wohl über 1.000 Wissenschaftlern und sonstigen Bediensteten als Nachbarn scheinen viele Jahre Arbeit der Geschichtsfreunde, die Peter-Nikolai Marakanow um sich versammeln konnte, noch einige Früchte tragen zu dürfen.
Das Görlitzer Kahlbaum-Areal wurde 1855 von Dr. Hermann Andreas Reimer als erste Heilanstalt für Epileptiker Deutschlands gegründet. Unter der Leitung von Dr. Karl Ludwig Kahlbaum entwickelte sich die Einrichtung zu einer der renommiertesten psychiatrischen Stätten des 19. Jahrhunderts.
Die Vergangenheit der Reimer-Kahlbaumschen Nervenheilanstalt, der II. Medizinischen Klinik und die Görlitzer Psychiatriegeschichte soll dabei auch wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Dabei wird auch dem dunklen Kapitel der Geschichte gedacht, denn 1943 wurden Kahlbaum-Patienten in die Anstalt Großschweidnitz verlegt, wo viele unter katastrophalen Bedingungen starben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände zunächst als Lungenheilstätte genutzt. 1956 zog die II. Medizinische Klinik des Bezirkskrankenhauses Görlitz – im Volksmund „Zweite Med“ genannt – auf das Gelände. Seit 2004 ist Feierabend.
1959 machte Peter-Nikolai Marakanow seine erste Erfahrung mit dem Areal. Beim Gang über das Gelände zeigt er nach oben: „In diesen Raum bin ich am 23. Dezember 1959 mit Gelbsucht eingeliefert worden. Und am 24. Dezember war meine Mutter hier und hat mir kubanische Apfelsinen gebracht. Sie stand hier unten und ich hab das bloß vom geschlossenen Fenster oben aus gesehen.“ Er hat als Meister am Schachbrett hier auch das Spiel der Könige erlernt. Noch heute betreut der Diplomingenieur für Werkstoffwissenschaften das Schachcafé bei der Arbeiterwohlfahrt. Mit der BSG Motor Görlitz hat er im Kur- und Gesellschaftshaus wenige Schritte weiter manches Turnier gespielt.
Dass das Gelände und Kahlbaumgedenken eine Leidenschaft im Ruhestand wurden geht auf das Jahr 2011 zurück. Zu einem Psychiatrieforum des Klinikums hätte ihn damals Prof. Wolfgang Geierhaus als damaliger Chef der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften und Dr. Wachtarz vom Gesundheitsamt mitgenommen. Es gab einen guten Draht über Marakanows Frau, die öfter über soziale Belange in der Sächsischen Zeitung geschrieben hatte. „Damals bin ich quasi für die Sache wachgeküsst worden“. Die Netzwerkarbeit funktionierte auch, da Marakanow Ideengeber und Motor des Seniorenkompetenzzentrums war. „Damals hat noch keiner über Ehrenamt gesprochen“, sagt er und schmunzelt. Mitstreiter seien teils ehemalige Mitarbeiter vom Kahlbaum-Areal, manche Zeitzeugenbefragungen seien in Altenheimen durchgeführt worden.
Er erinnert sich: „Wir haben versucht, ein paar Leute zu finden, die an Geschichte interessiert waren und da war eben auch Klaus Baum dabei, ein Görlitzer Postkartensammler, der auch einen guten Kontakt zum Kahlbaumforscher, Dr. Frank Thieme, hatte oder die vorletztes Jahr verstorbene Marianne Christian. Die Initiative in Sachen Kahlbaum wurde gegründet und auch Anneliese Karst, die Chefin vom Aktionskreis stieß hinzu.
Marakanow selbst brachte Projekterfahrungen in Fülle ein. „Ich war Fachübersetzer Russisch für Maschinenbau. Mit dem Kombinat Kraftwerksanlagenbau war ich beim Aufbau des Informationssystems Wissenschaft und Technik dabei, dieses war eigentlich das fortschrittlichste in der ganzen DDR. Nach der Wende haben sie mich bei Siemens ’entsorgt’.“ Als Netzwerker baute er das Europahaus am Untermarkt auf. „Unser Hauptschwerpunkt war natürlich die Synagoge.“ Als er auch dort gehen musste folgten Arbeiten für die Sapos GmbH-Tochter Aqua Bay, das Stadtgut „und dann später bei der deutschen privaten Finanzakademie DPFA; wir haben in Weinhübel die Regenbogenschule aufgebaut“. Er habe die heutige Schulleiterin der polnischen Tochter-Vorzeigeschule Katarzyna Hübner aus der polnischen Berufsschule in Köslitz (Kozlice) „rausgeholt“ und lacht bei dieser Wortwahl. Mit dem Bildungszentrum Donner und Partner hat Marakanov unter anderem eine Jakob-Böhme-Ausstellung für sozial beeinträchtigte Menschen gestaltet.
Die Arbeit an der Geschichte habe auch einen hohen geselligen Wert, berichtet er. „Wir treffen uns hier auch im ganz normalen Erzählkaffee. Leute erzählen dann einfach aus ihrem Leben, was immer Anknüpfungspunkte und Ideen mit sich bringt.“ Das findet jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat ab 15.00 Uhr statt. Kontakt zu Peter-Nikolai Marakanow findet man über die E-Mail-Adresse info@kahlbaum-forum-goerlitz.de. Seit vergangenem Jahr triff sich in den Räumen in der Querstraße 10 auch die Selbsthilfegruppe Depression. „Damit wissen auch diese Menschen gleich in welcher Tradition hier gewirkt wird.“
Zum Kahlbaum-Infotag lädt das Dr.-Kahlbaum-Informations- und Begegnungszentrum (KIB) am 16. April von 14.00 bis 17.00 Uhr in die Querstraße 10 ein. Dabei wird auch Karl Ludwig Kahlbaum gedacht, der am 15. April 1899 in Görlitz verstarb. Um 14.00 Uhr geht es zunächst um das Jubiläum, um 14.30 und 16.00 Uhr wird durch die Ausstellung „Leben und Wirken von Dr. Kahlbaum und Einblicke in die Geschichte der Görlitzer Psychiatrie“ geführt. Weitere Programmpunkte sind: 15.15 Uhr – „Kahlbaum in Görlitz“ – Warum widmen wir uns Kahlbaum?; 15.45 Uhr – Orte der Görlitzer Psychiatriegeschichte: ehemalige Kahlbaumsche Anstalt, II. Medizinische Klinik, Zentralhospital, Psychiatrie Jochmannstraße und 16.30 Uhr – Impulse durch Kooperation mit DPFA-Europrymus Zgorzelec. Für den 7. Mai kann man sich zudem einen abendlichen Termin mit mehreren Referaten ab 17.00 Uhr vormerken. Es heißt dann punktgenau zum 200. Geburtstag von Dr. Hermann Andreas Reimer: „Erinnern und Gedenken an Dr. Herrmann Andreas Reimer – sein Leben, Werk und Wirken“ mit dem Motto: „Von der Heilanstalt für Epileptische zum Deutschen Zentrum für Astrophysik DZA“.