Nach dem Turów-Deal: Guckt Zittau in die Röhre?
Die Kühltürme dampfen weiter. Polen und Tschechien haben sich bilateral geeinigt, Zittau könnte dabei in die Röhre schauen. Foto: Matthias Wehnert
Tschechien und Polen haben sich im Streit um den Tagebau Turów geeinigt. Ist Deutschland und vor allem Zittau jetzt der „weinende Dritte“?
Zittau. Thomas Zenker hatte schon frühzeitig gewarnt. „Die deutsche Seite ist eigentlich Trittbrettfahrerin auf einer tschechischen Klage. Falls sich Tschechien und Polen außergerichtlich einigen, entfällt mit einem Schlag der Druck aus Prag, der von der Reichenberger (Liberec) Bezirksverwaltung mit viel politischer Arbeit hergestellt werden konnte“, erklärte der Zittauer Oberbürgermeister laut Protokoll bei einer Anhörung des Sächsischen Landtages im Dezember 2021. Und so ist es jetzt tatsächlich gekommen: Ende der vergangenen Woche unterzeichneten die Ministerpräsidenten Polens und Tschechiens, Mateusz Morawiecki und Petr Fiala, ein entsprechendes Abkommen. Es sieht vor, dass Polen Tschechien für die durch den Tagebau Turów verursachten Umweltschäden 45 Millionen Euro zahlt sowie bauliche Maßnahmen gegen die Grundwasserabsenkung durchführt. Im Gegenzug zieht Tschechien die vor dem Europäischen Gerichtshof eingereichte Klage gegen Polen zurück.
„Es ist erst einmal erfreulich, dass unsere Nachbarn offenbar eine gütliche Einigung im Streit um den Tagebau Turów erzielen konnten“, erklärt nunmehr der Oberbürgermeister. Jedoch: Die deutsche Seite und damit in erster Linie Zittau hat davon nichts. „Die Zittauer Forderung, der tschechischen Klage beizutreten, wurde von Seiten der Bundesregierung abgelehnt und auch die sächsische Staatsregierung sah die Sorgen und Ängste der Menschen in Zittau nicht als Grund, aktiv einzugreifen“, wiederholt Thomas Zenker den schon mehrfach vorgetragenen Vorwurf, die „große“ Politik würde die Stadt im Dreiländereck allein lassen. In der eingangs erwähnten Anhörung hatte Johannes Möller, Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, wortreich erklärt, wie unüblich es sei, einen anderen Staat vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen und dass Deutschland dies noch nie getan habe. Man müsse prüfen, ob eine solche Maßnahme im „gesamtstaatlichen Interesse“ sei.
Nun, im Falle von Tschechien, hat die Praxis diese Prüfung übernommen.
Und das Ergebnis sieht aus Sicht des Zittauer Oberbürgermeisters so aus: „Das Beispiel der tschechischen Nachbarn zeigt uns gerade, was es bringt, wenn der eigene Staat auch zu härteren juristischen Schritten greift, um seine Bürger vor Risiken jenseits der nationalen Grenzen zu schützen.“ Thomas Zenker setzt seine Hoffnungen nunmehr auf die Europäische Kommission, die der tschechischen Klage – anders als die Bundesrepublik Deutschland – beigetreten war: „Ich hoffe nicht, dass wir nun mitten in Europa zuschauen, wie auf Basis von bilateralen Verhandlungen dank finanzieller Leistungen europäisches Recht nicht mehr ernst genommen wird. Das wäre für Europa und vor allem für die Grenzregionen das falsche Signal.“
Das Kraftwerk erhebt sich über den Dächern des Zittauer Stadtteils Dittelsdorf. Der Streit um die Auswirkungen des zugehörigen Tagebaus hat für Deutschland erst angefangen. Foto: U. Menschner
Unterschiedliche Auffassungen zum Wasser
Schützenhilfe erhält der Zittauer Oberbürgermeister von der Landtagsabgeordneten Antonia Mertsching (Die Linke), auf deren Initiative die eingangs erwähnte Anhörung zustande gekommen war. Sie wirft der sächsischen Staatsregierung nicht nur politisches, sondern auch fachliches Versagen vor: „Die Staatsregierung hält es offenbar nicht für nötig, die Umweltauswirkungen des Tagebaus Turów auf die Zittauer Region umfassend zu überwachen. (...) Sie begründet das damit, dass aufgrund der geologischen Verhältnisse im Raum Zittau die typischen Veränderungen in der Beschaffenheit der oberirdischen Gewässer durch Bergbau nicht zu erwarten seien.“ Mertsching hält diese Aussage für unhaltbar und verweist dafür auf ein Gutachten des Geologen Dr. Ralf Krupp, der sehr wohl Auswirkungen auf die Wasserqualität sieht. Dieser befürchtet unter anderem Verockerungen in der Neiße, wie sie in der Spree schon seit längerem bekannt sind. Es sei mit erhöhten Belastungen vor allem durch Sulfate und Nickel zu rechnen. Die Trinkwassergrenzwerte für Sulfate dürften laut Krupp weitgehend überschritten werden. Allerdings gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen: So sieht Udo Mellentin, Referent im Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, keine Auswirkungen des Tagebaus Turów auf die Wasserqualität im Einzugsgebiet der Neiße auf der deutschen Seite: „Sulfat, Versauerung, Eiseneinträge – das ist alles nicht erkennbar oder weit weg von kritischen Grenzwerten. Man kann dort aus dem aktiven Bergbau derzeit keine Beeinflussung nachweisen“, erklärte er auf der Landtags-Anhörung.
Polnisches Recht wird durchgesetzt
Freilich stellt das Grundwasser nur einen von mehreren Aspekten dar. Ein anderer sind die Bodenabsenkung auf dem Gebiet der Stadt Zittau und die damit verbundenen Gebäude-schäden. Der Zittauer Oberbürgermeister wünscht sich dazu erst einmal eine belastbare Datenlage: „Mir ist sehr daran gelegen, dass wir eine Sicherheit für die Bevölkerung und Investoren darstellen können und dass diese Sicherheit auf Daten beruht, die uns sächsische Behörden bestätigt haben“, wird er im Anhörungsprotokoll zitiert. Dafür sei es erforderlich, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung von Polen so durchgeführt wird, wie es das europäische Recht vorsieht. Zenker setzt nun darauf, dass die Widersprüche und Einwände der Stadt Zittau und verschiedener Organisationen ordnungsgemäß bearbeitet werden: „Das ist auch im polnischen Recht so vorgesehen und glücklicherweise wird dieses auch durchgesetzt“, erklärt er mit Verweis auf das Urteil des Warschauer Verwaltungsgerichtes, das die sofortige Vollstreckbarkeit der Bergbaugenehmigung bis 2044 für unzulässig erklärt hat.