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Nagelprobe Asylheim – wer fremdelt eigentlich mit wem?

Nagelprobe Asylheim – wer fremdelt eigentlich mit wem?

HERZ-Stadtrat Lars Kiehle während seiner Ausführungen in der jüngsten Stadtratssitzung im Bürgerhaus Niesky. (Foto: Matthias Wehnert)

Niesky. Ende 2023 hatte der CSU-Bürgermeister des bayerischen Gachenbach, Alfred Lengler, nach negativen Erfahrungen mit Bewohnern der Asylbewerberunterkunft in seiner Gemeinde, diese kurzerhand abreißen lassen und damit eine Zuweisung von oben faktisch gestoppt.

Gar nicht so weit entfernt im überdurchschnittlich von Reichen bewohnten Seeshaupt am Starnberger See vollzieht sich derzeit ebenso ein fundamentaler Sinneswandel. Eine Notunterkunft ist dort geplant, wo bislang die Gewinner aus dem woken München ihre Traumunterkunft in Urlaubsidylle errichteten. Seither haben sich einstige parteipolitische Fronten wundersam aufgelöst. Bisher herumgetragene Überzeugungen gelten nicht mehr.

Deutschland ist einer Zuwanderung müde geworden, deren Umfang Integration und ausgewogene Finanzen kaum mehr erlauben. In Niesky ist das oft wiederholte Besänftigungsmuster zudem unsensibel auf die Spitze getrieben worden. Als Bürgermeisterin Kathrin Uhlemann am 3. Februar 2025 die Stadtratssitzung, in der der Landkreis ein teils gewalttätiges Bewohnerprofil in der auszubauenden Asylbewerberunterkunft einräumte, eröffnete, goss sie dabei nach vorherigen Versäumnissen in der Transparenz ordentlich Öl ins Feuer.

Ihr Ausspruch „Ich will, dass alle zufrieden nach Hause gehen“ konnte aufgrund des bizarren Anspruchs im Grunde nur mit Gelächter kommentiert werden. Nachdem eine Internetpetition gegen den Ausbau deutlich vierstellig viral ging und dann auch noch scheinbar grundlos verschwand, ist Niesky nicht zur Ruhe gekommen.

Einer Demonstration gegen den Ausbau stellte sich – wie immer – ein kleines Häufchen von Menschen entgegen, die nicht für den Ausbau, sondern vielmehr gegen Rechts demonstrierten. Im Nieskyer Stadtrat hat die HERZ-Fraktion Milieuähnlichkeit zur Fraktion Motor in Görlitz. Der Autor dieser Zeilen kam vor Demo und Gegendemo beim Kanzlerbesuch bei Alstom mit HERZ-Chef Harald-Prause-Kosubek ins Gespräch.

Den SPD-Politiker und einige Tage darauf Gegendemonstranten vom Zinzendorfplatz darauf angesprochen, ob er denn mit Fraktionskollegen Lars Kiehle im Reinen sei, räumte Prause-Kosubek ein, quasi kalt erwischt worden zu sein. Noch ehe sich Mitglieder von AfD und CDU zu Wort meldeten, hatte Lars Kiehle das Mikro ergriffen und betont, Niesky wolle bestimmt nicht ähnliche Berühmtheit wie Aschaffenburg erlangen. Auch für ihn könne es keinen Ausbau geben.

Bei einem Besuch in seinem PC-Serviceladen holt zunächst noch ein Kunde einen Drucker ab, ehe das Gespräch startet. Es ist zufälligerweise Karsten Tripke, der gleich noch Blankobögen für die nun gestartete Unterschriftenaktion gegen den Ausbau des Asylheims mit in sein Geschäft nimmt. Lars Kiehle scheut sich hingegen, die Liste im eigenen Laden auszulegen. Möglicherweise laste man ihm als Stadtrat sonst eine Interessenkollision an, begründete er dies.

Eine solche sieht CDU-Fraktionschef Armin Menzel – wie Tripke Autohausbetreiber – nicht. Noch am gleichen Tag gibt er in seinem Geschäft Einblick in die bereits lange Liste derer, die mittlerweile den dritten Anlauf wagen. Nach einer gestoppten Internetpetition und einer Anschlussinternetpetition wird nun mit der Unterschrift zur Vorlage im nächsten Stadtrat im März vom Unterschreibenden auch bestätigt, dass man Einwohner von Niesky oder eines Ortsteils ist. Jetzt könne niemand mehr zetern, dass angeblich haufenweise ortsfremde mitunterzeichnen.

Lars Kiehle zeigt in seinem Geschäft gleich auf frühere Zeitungsberichte und Fotos von seinen Eltern und Schwiegereltern. Er habe am Beispiel der Schwiegereltern und Eltern erlebt, wie das Land heute mit denen umgehe, die den Wohlstand geschaffen haben. Lars Kiehles Ärger speist sich jedoch nicht allein aus dem Umstand, dass für Kinder- und Jugendprojekte oder allgemein für Alte kaum noch Mittel übrig seien, vielmehr folge im Alter das unwürdige Spiel, Lebenswerke an sich zu missachten.

Wenn Alte in Pflege gehen, stürze der ganze Wahnsinn auf die Familien ein. Er habe das zunächst 2021 bei den Schwiegereltern erlebt, wo die Renten für die Erfordernisse natürlich nicht reichten. „Da war auf einmal von einem Eigenbehalt von 10.000 bis 12.000 Euro die Rede, also so viel, wie man Menschen als Vorsorge ihrer eigenen Beerdigung zugesteht“, sprudelt es aus seinen Erinnerungen, die sich mit den eigenen Eltern wiederholen. „Mit dem Sozialamt feilscht man da um jede 20 Euro“ und im Hinblick auf seinen Einwand, welche Leistungen für Menschen, die nie etwas eingezahlt hätten, einfach so fließen, habe er auf dem Amt in Niesky allen Ernstes den Satz gehört: „Von denen können wir uns ja auch nichts wiederholen.“

Was aus der Krämerseele einer öffentlich Bediensteten in sturer Rechtsanwendung formuliert worden sei, habe ihn nachhaltig erschüttert. Für seine Mutter führt er einen Kampf um ein Krankenbett. „Vom Arzt führt der Beantragungsweg über Pontius und Pilatus zu einem eventuellen Zuschuss von der Krankenkasse“, hält er frustriert Erfahrungen fest. Die Krönung dabei sei, dass ein Rausfallschutz beim Ehebett nicht auf der Liste möglicher Leistungen steht und der Spaß im Grunde unsinnigerweise dann mit einem Einzelbett noch einmal von vorne beginne. „Man merkt im Grunde erst richtig an den Alten, was in diesem Land verbockt wurde“, schlussfolgert er.

Bis 2030 prognostiziert das statistische Bundesamt einen Anstieg auf 6,3 Millionen Pflegebedürftige. Aktuell werden 67 Prozent der Betroffenen zu Hause, überwiegend durch Angehörige, begleitet. Wenn man die Leistungen für die Alten in der gesellschaftlichen Debatte jedoch vorrangig anmahne, winke zum Dank ein Übermoral-K.O. „Wer nicht zu faul ist einen Schritt weiter zu denken gilt als rechts“, sagt er wörtlich und er kann dies schon deshalb nicht verstehen, da unter seinen besten Freunde solche von den Philippinen oder Singhalesen sind.

Seine Familie sei nach dem Krieg aus Penzig (Piensk) vertrieben worden. „Wir müssen wieder den schwierigen Lebensgeschichten unserer Eltern oder Großeltern zuhören, damit wir wirkliche Probleme wieder einschätzen können“, empfiehlt er einem Land, „in dem nicht jeder als Influencer und TikTok-Star ohne Leistung zu viel Geld kommen kann.“ Die ganze Geiz-ist-geil-Mentalität nerve ihn zunehmend.

Die Gesellschaft müsse auch lokal wieder lernen sich gegenseitig zu stützen. Es gelte also grundsätzlich auch einmal, vor der eigenen Haustür zu kehren, ehe man sich immer mit den Anderen beschäftige. Das alles finde nicht mehr statt. Und als sei ihm die moralische Schelte egal, betont er noch einmal: „Für Selenskyj und Asyl ist das Geld aber da.“ Nach seiner Einschätzung hätte im Grunde niemand ein Problem zu helfen, sofern die Schwelle zum Ausnutzen nicht überschritten sei.

„Ich führe viele Gespräche mit Kunden – auch über solche Themen und 95 Prozent teilen eine solche Auffassung.“ Zu Herz sei er gekommen, da es sich um keine Partei, sondern ein Bürgerbündnis handele. Die Fraktion hat am 11. Februar einen Appell an den Ministerpräsidenten, den Landrat und die Oberbürgermeisterin verfasst. Darin geht es allerdings vorrangig um ein Sicherheitskonzept zum Heim – Kiehle sieht sich als Mensch mir Herz, wer fremdelt nun mit wem?

Till Scholtz-Knobloch / 24.02.2025

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