Nanu! Ist Rübezahl in den Harz ausgewandert?
Kulturelle Aneignung ist ein Dauerthema auf Essayseiten der Zeitungen geworden – meist bei Bußeritualen zum kolonialen Erbe, Winnetou oder Dreadlocks. Doch ist uns der Spürsinn für Umdeutungen des eigenen kulturellen Erbes abhanden gekommen? Ohne jede historische Einordnung kommt Schlesiens Berggeist des Riesengebirges Rübezahl im Tourismusmarketing im Oberharz auf einmal als „Berggeist aus dem Harz“ daher.
Görlitz / Goslar-Hahnenklee. Da sich Görlitz um Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe bemüht und Reisen an sich bildet, hatte mich der Sommerurlaub in den Harz geführt. Das ’Oberharzer Wasserregal’ als vorindustrielles Wasserwirtschaftssystem im Bergbau hat seinen Sprung der Anerkennung als Welterbe hinter sich – und zwar als Erweiterung der Welterbestätte „Bergwerk Rammelsberg und Altstadt von Goslar“. Die Wanderwege entlang der Gräben führten mich auch nach Hahnenklee, wo als Ferienaktion für Kinder Schätze von Rübezahl – „Berggeist aus dem Harz“ – zu entdecken sind.
Die Touristeninformation in Hahnenklee im Oberharz stellt Rübezahl Kindern als Harzer Berggeist vor. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Diese Merkwürdigkeit führte u.a. zu einer Anfrage der Redaktion an das Schlesische Museum zu Görlitz, wo sich die Aufregung in Grenzen hält. „’Unser’ grenzüberschreitender Freigeist Rübezahl lässt sich wohl nicht auf Schlesien begrenzen“, fasst Dr. Martina Pietsch zusammen und nennt Verbindendes. Zum Beispiel stamme der Begründer der Universität im nahen Clausthal-Zellerfeld aus der dem Bergbau nahestehenden schlesischen Adelsfamilie von Reden und die in Hahnenklee errichtete Stabholzkirche norwegischen Baustils erinnere stark an die Kirche Wang in Riesengebirge, deren Umsetzung dem Engagement Friederike von Redens zu verdanken sei.
Jakub Paczyn-ski, Initiator und Inhaber des Muzeum Karnoskie Tajemnice (Museum der Geheimnisse des Riesengebirges) in Krummhübel (Karpacz), das sich zuvorderst Rübezahl verpflichtet sieht, hatte dem Niederschlesien Kurier einst berichtet: „Nach dem Krieg ist der Berggeist im Riesengebirge leider in Vergessenheit geraten, denn die Polen kultivierten diese Tradition nicht.
Erst in den 90er Jahren kam es zu einer Annäherung und man begann über ihn noch etwas zögerlich zu sprechen. Ich wollte dem Berggeist ein neues Leben schenken. Er ist keiner Nationalität zugeschrieben, ich denke er war seit Jahrhunderten im Riesengebirge zu Hause und sollte dort weiterhin bleiben.“
Die Internetseite harzlife.de fragt so auch fast verwundert im Kontext eines Rübezahlgedenksteins in Braunlage im Harz: „Wie kam denn der Rübezahl in den Oberharz?“ und beantwortet selbst: „Die mit Braunlage patenschaftlich verbundene Heimatgemeinschaft Krummhübel-Brückenberg ließ im Jahre 1996 diesen Gedenkstein (...) aufstellen. Auf ihm ist neben der Inschrift auch die bekannte Sagengestalt aus dem Riesengebirge zu sehen.“
Dass ein Kulturtransfer schon lange vor der Ankunft von vertrieben Schlesiern liegen könnte, ist im Harz selbst heute also gar kein historischer Horizont mehr, obwohl eine interessante Überlieferung ausgerechnet zum Rammelsberg in Goslar führt und zumindest für den Namen der Sagengestalt Rübezahl Pate gestanden haben dürfte. Hans Rübzagel führte den Silberabbau im 13. Jahrhundert. Als fortschrittlicher Unternehmer haftete ihm bald der Vorwurf an, mit dem Teufel zu paktieren. Seine Flucht aus Sorge vor einem Hexerprozess führte ihn ins Riesengebirge.
Sein bergmännischer Hintergrund und seine fachlichen Fähigkeiten befruchteten dort bis ins 16. Jahrhundert die Sagenbildung eines Berggeistes, in die weitere Traditionen einflossen. So vor allem Erzählungen von aus Schwaz in Tirol stammenden und ins Riesengebirge gerufenen Bergarbeitern. Im 16. Jahrhundert war Schwaz eine der größten Siedlungen im Römisch-Deutschen Reich und nach Wien sogar die zweitgrößte im Herrschaftsbereich der Habsburger. Doch was meint die Hahnenklee Tourismus GmbH selbst zum „Kulturtransfer“ 2022? Auf die satirische Frage „Wann hat sich nach Auffassung der Hahnenklee Tourismus GmbH Rübezahl im Riesengebirge ab- und im Harz angemeldet?“ antwortet Geschäftsstellenleiterin Isabel Junior: „Seien Sie gewiss, Rübezahl hat sich nach unserer Auffassung weder im Erzgebirge ab-, noch im Harz angemeldet“, womit nun noch ein weiter Herkunftsort im Raum steht.
Als Anknüpfungspunkt für den Harz beruft sie sich auf das Buch und die Internetseite „Harzer Sagen“, wo eine Kurzgeschichte mit den Worten beginnt: „Der mächtige Berggeist Rübezahl hatte seine Heimat im Riesengebirge. Einmal, vor langer Zeit, machte er sich auf in den Harz, wohl um seinesgleichen einen Besuch abzustatten.“ In dieser Sage ist Rübezahl interessanterweise wieder am Rammelsberg und eine Verquickung mit Hans Rübzagel liegt nahe. Doch gerade hier ist er nun Gast im Harz und nicht in einer vermeintlich ursprünglichen Heimat!
Rübezahl , der „Herr der Berge“ in seiner überlieferten Gestalt ist letztlich erst ein Produkt des Riesengebirges. Isabel Junior betont: „Tatsächlich, und das muss ich als letztlich Verantwortliche (...) einräumen: die Formulierung im Halbsatz „aus dem Harz“ ist doch sehr unglücklich, oder eben ganz klar (wie man sieht) pressewirksam gewählt ;-)“. „Da wir uns (...) niemals anmaßen würden, Kulturgut zu annektieren, werden wir diesen Halbsatz (...) entfernen. So machen wir noch Werbung bei tausenden von Hahnenkleer Gästen für das Erzgebirge, die sich bei ihrem Besuch dort vollumfänglich über Rübezahl informieren können.“ Dies sei eine „Win-Win-Situation“ – also liebe schlesische Erzgebirgler...!