„Nichts kann mich davon abbringen“
Helene Dolgener aus Cunnersdorf träumt seit der 5. Klasse davon, eine Zeit lang in den USA zu leben. Wenn alles klappt, ist es bald soweit.
Lydia Jost aus Elstra war bereits in den Vereinigten Staaten und gibt ihre Erfahrungen gern an ihre „Nachfolgerin“ weiter.
Das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ büßt selbst in Zeiten wie diesen seine Magnetwirkung nicht ein. Zwei junge Frauen berichten: Eine, was sie in die USA zieht, und eine, was sie dort erlebt hat.
Kamenz. Täglich neue Corona-Höchstzahlen. Immer wieder Fälle von Polizeigewalt gegen farbige Menschen, Schießereien, Amokläufe. Und im Stundentakt neue verrückte Einfälle eines Präsidenten, der überall hin gehört, nur nicht ins Weiße Haus. Die Nachrichten aus den Vereinigten Staaten von Amerika lösen seit geraumer Zeit nur noch einen Reflex aus: Man möchte sich die Augen und Ohren zuhalten. Was, um alles in der Welt, zieht einen jungen Menschen in diesen Tagen aus dem vergleichsweise sicheren und beschaulichen Sachsen in die USA?
Die Erfüllung eines Lebenstraumes
Helene Dolgener lächelt. Für die 17-Jährige aus Cunnersdorf stellt sich diese Frage nicht. „Seit der 5. Klasse ist es mein Traum, eine Zeitlang in den Vereinigten Staaten zu leben. Und nichts kann mich davon abbringen.“ Präsidenten kommen und gehen, ein Lebenstraum aber bleibt. Und so fiebert Helene dem 5. Januar 2021 entgegen, jenem Tag, an dem der Flieger abhebt, der sie über den „großen Teich“ bringen soll. Eigentlich hätte sie schon längst „drüben“ sein sollen, doch die Umstände haben den Zeitplan für ihr Austauschjahr durcheinander gebracht. Umso größer ist die Vorfreude auf das, was Helene im Land ihrer Träume erwarten mag. „Ich freue mich auf den anderen Lifestyle, darauf, viele verschiedene Kulturen kennen zu lernen. Ich bin ein großer Sprachenliebhaber und hoffe, in eine Region zu kommen, in der nicht nur Englisch gesprochen wird.“ Wohin genau es sie in den „Staaten“ verschlägt, weiß Helene Dolgener noch nicht. Wird es der „Big Apple“, New York, die Stadt, die niemals schläft (um die gängigsten Klischees aufzuzählen)? Oder wird es eine Kleinstadt in Oklahoma? Wird es gar der Sonnenstaat Florida? „Am liebsten wäre mir die Westküste“, verrät Helene.
Die Unklarheit, in welchem Bundesstaat die Gastfamilie lebt, macht sicher einen Teil des Reizes des vom Deutschen Bundestag vermittelten Austauschprogrammes aus. Voraussichtlich erst im Dezember erfährt Helene, wohin genau es sie verschlägt. Doch im Prinzip ist das nebensächlich: „Ich will offener werden, neue Freunde finden, meine Gastfamilie kennen lernen, mein Englisch verbessern“, zählt sie auf, was sie sich alles für ihren Aufenthalt in den USA vorgenommen hat.
Bleibende Freundschaften geknüpft
Bei Lydia Jost war es Richmond. Die ebenfalls 17-jährige Elstraerin hat bereits hinter sich, was Helene Dolgener noch bevorsteht. Für sie begann die Reise am 7. August 2019 und endete vorfristig im März 2020. „Wir wurden alle wegen Corona nach Hause geschickt. Ich wäre gern noch länger geblieben und war ziemlich traurig“, berichtet sie. Richmond – das ist die Hauptstadt des Bundesstaates Virginia. Mit etwas mehr als 200.000 Einwohnern für US-amerikanische Verhältnisse keine Metropole, aber auch keine Kleinstadt mehr. Eine Stadt mit einem gewissen historischen Flair, wo Patrick Henry, einer der Gründerväter der USA, 1755 den Ausspruch prägte: „Gebt mir Freiheit oder gebt mir den Tod“, was als Fanal des Unabhängigkeitskrieges gilt. Eine Stadt, in der die Widersprüche und Brüche der US-Gesellschaft spürbar sind, wenn auch sicher nicht so deutlich wie in den Millionenstädten. „Das Thema ’Black Lives Matter’ hat durchaus eine Rolle gespielt. Die wohlhabenden Weißen leben in den Suburbs (Vorstädten, Anm. d. Red.). Ich habe eine Schule besucht, an der viele dunkelhäutige Schüler lernten. In einer benachbarten Schule gab es auch mal eine Schießerei.“ Doch dies war keineswegs der wichtigste Eindruck, den Lydia mit nach Hause genommen hat. „Es überwiegen die schönen Erfahrungen. Die Harmonie mit meiner Gastfamilie. Die neuen Freunde, die ich gewonnen habe und mit denen ich weiterhin in Kontakt stehe.“ Wobei das mit den Freunden in den USA gar nicht so einfach ist: „Die Menschen sind zwar zunächst viel offener und freundlicher als in Deutschland. Doch vieles davon ist oberflächlich. Um wirklich anzukommen, muss man auf die Leute zugehen, selbst die Initiative ergreifen. Irgendwann klappt das.“ Dies ist eine Erfahrung, die Lydia auch Helene Dolgener mitgibt – die beiden haben sich schon mehrmals getroffen und ausgetauscht. Lydia, die sich nach ihrer Rückkehr zwei Wochen lang freiwillig in Quarantäne begeben hatte, findet im Nachhinein, dass es die richtige Entscheidung war, den Aufenthalt so frühzeitig abzubrechen: „Sonst wäre ich wahrscheinlich gar nicht mehr nach Hause gekommen.“ Helene hat der Austausch mit Lydia darin bestärkt, sich ihren Lebenstraum zu erfüllen: „Nur eine Schießerei – das brauche ich nicht.“
Zum Thema: Das Parlamentarische Patenschaftsprogramm (PPP) ist ein vom Deutschen Bundestag und vom US-Kongress gemeinsam initiiertes Austauschprogramm, das deutschen und amerikanischen Jugendlichen einen einjährigen Aufenthalt im jeweils anderen Land ermöglicht. Bundestagsabgeordnete können dafür eine Patenschaft übernehmen. Im Falle von Helene Dolgener und Lydia Jost ist dies der FDP-Abgeordnete Torsten Herbst. Interessierte Schülerinnen und Schüler können sich beim Deutschen Bundestag für die Teilnahme bewerben. Nähere Informationen gibt es unter www.bundestag.de/ppp.