Oberlausitzer Straßenbahn auf Testfahrt in Dresden
Der Prototyp mit der Betriebsnummer 2901 auf einer Testfahrt in der Gleisschleife Wallstraße. Deutlich sieht man die Verbreiterung oberhalb der Drehgestelle. Foto: DVB AG
Wenn man in Görlitz von Straßenbahnen spricht, ist es die Frage, ob man den ortsansässigen Verkehrsbetrieb, oder den Bau solcher Fahrzeuge im Waggonbau meint. Sehr viele Verbindungen zwischen beiden gibt es nicht, die überwiegende Anzahl der an der Neiße eingesetzten Fahrzeuge wurde anderenorts hergestellt. Überhaupt war der Straßenbahnbau nie der Hauptzweig der Schienenfahrzeugproduktion in Görlitz. Doch ab Juli trumpften die Görlitzer Fahrzeuge im Liniendienst auf.
Görlitz / Bautzen / Dresden. Ebenso ist der Trambau für die sächsische Landeshauptstadt sehr überschaubar, aber seit zwei Jahren wieder in den Focus gerückt. Die ersten zehn Triebwagen wurden 1896 an die Elbe geliefert. 1954 konnte man aus vorhandenen Teilen zwei der legendären Großen Hechtwagen aufbauen.
Die neue Straßenbahn mit der Bezeichng NGT DX DD, die in den Alstom- Standorten Görlitz und Bautzen hergestellt worden ist, absolviert gegenwärtig in Dresden ein umfangreiches Testprogramm. Da es sich um ein neu entwickeltes Modell handelt, muss alles getestet und nach der BOStrab – der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen – zugelassen werden. Neben den allgemeinen Funktionskriterien spielen dabei auch die speziellen Anforderungen der Dresdner Verkehrsbetriebe eine Rolle. Im vorliegenden Fall sind das beispielsweise starke Steigungen und Gefälle im Streckennetz. Das neue Modell basiert auf den Ausschreibungskriterien aus Dresden, nutzt aber auch die Entwicklungsgrundsätze der Serie „Flexity Classic“, die in Bautzen schon seit 1999 hergestellt wird.
Neu ist dieses Mal die größere Breite von 2,65 m, die aber erst kurz über den Drehgestellen durch eine Auswölbung im Wagenkasten erreicht wird. Bisher waren die Bahnen maximal 2,30 m breit. Im Innenraum entsteht dadurch mehr Platz – so ist eine Sitzanordnung 2+2 möglich. Bestehende Haltestellenanlagen müssen aber trotzdem größtenteils nicht umgebaut werden. Dagegen erfordert die größere Breite einen weiteren Gleismittenabstand, damit sich Bahnen gefahrlos begegnen können. In dieser Hinsicht ist man in Dresden mit mehr als zwei Dritteln des Netzes schon recht weit, einige Abschnitte müssen aber noch umgebaut werden.
Die „Flexity Classic“ von DWA / Bombardier / Alstom sind so etwas wie eine große Straßenbahnfamilie. Deren einzelne Vertreter sind unterschiedlich lang und breit, aber immer (mehrgliedrig) klassische Drehgestellwagen. Das sorgt für einen guten Fahrkomfort, der viel höher ist als bei Bahnen mit starren Achsen. Details im Fahrzeugaufbau und Design können variieren. Neben Deutschland verkehren sie auch in Australien, Polen und Schweden.
Mit ganz besonderer Spannung war der 20. Dezember 2021 erwartet worden, an diesem Tag sollte die neue Bahn zum ersten Mal im Streckennetz auf Tour gehen. Der Betriebshof Gorbitz liegt linkselbisch auf halber Hanghöhe, die Strecke weiter bergauf nach Pennrich ist die jüngste Neubaustrecke der Dresdner Straßenbahn und wurde 2008 eingeweiht. Pennrich ist der höchstgelegene Punkt des Gleisnetzes, abschnittsweise sind 60 km/h Geschwindigkeit erlaubt. So konnten sowohl Fahr- als auch Bremsverhalten unter die Lupe genommen werden. Um ein voll besetztes Fahrzeug zu simulieren, waren Eisengewichte und Sandsäcke mit an Bord. Das ist bei solchen Tests üblich. Außerdem ging es aber auch darum, ob die Bahn mit ihren neuartigen Abmessungen durch alle Kurven und Haltestellen passt, auch hier gab es keine Probleme. Das Fahr- und Bremsverhalten wurde mit einem hohen Aufwand an Kabeln, Anschlüssen und Rechnern dokumentiert. Die optische Unversehrtheit der Bahn einfach mit Aussteigen und einem „Augenblick“. Vier Wochen später fand der Test auf der Strecke mit der absolut größten Steigung zum Weißen Hirsch hinauf statt, auch der verlief ohne Beanstandungen.
Parallel zu den Testfahrten und dem Zulassungsverfahren werden natürlich auch Fahrerschulungen durchgeführt. Pandemiebedingt haben sich die zeitlichen Abläufe zum Teil etwas verschoben. Im Januar 2020 konnten die Dresdner schon einmal in der neuen Bahn „Probesitzen“: Im Verkehrsmuseum Dresden wurde zunächst ein Holzmodell des vordersten Zugteils in originaler Größe ausgestellt. Zahlreiche Anregungen von Fahrpersonal und Fahrgästen fanden so noch im Projekt Berücksichtigung. Besonderes Augenmerk wird auch auf die Nutzbarkeit für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste gelegt.
Bereits im August 2019 war der Rohbau des ersten Wagenkastens in Görlitz begonnen worden, im Dezember 2020 war er fertiggestellt. Der Innenausbau erfolgte danach im Werk Bautzen und am 17. September 2021 die Anlieferung nach Dresden. Abschließende Komplettierungen und Einstellungsarbeiten, die ersten Proberunden im Betriebshof führten schließlich zur beschriebenen Testfahrt am 20. Dezember 2021. Mittlerweile sind drei Fahrzeuge ausgeliefert, der erste Einsatz im Liniendienst ist nach derzeitigem Stand schon für den Juli vorgesehen.
Insgesamt umfasst der Lieferauftrag 30 Fahrzeuge, darunter werden neun Zweirichtungswagen sein. Jede Bahn ist 43 Meter lang und kann 290 Fahrgäste befördern. Die Dresdner Straßenbahn leistet sich die neue Flotte in ihrem 150. Jubiläumsjahr und bis Ende 2023 soll die Lieferung abgeschlossen sein. Schon jetzt kann man ihnen gute Fahrt wünschen.
Auch in Görlitz wartet man mit Spannung auf neue Straßenbahnen. Die Streckenverhältnisse sind hier aber doch anders als an der Elbe. So kommt es, dass man sich mit zwei anderen Verkehrsbetrieben zusammengetan hat, um eine gemeinsame Entwicklung zu initiieren: Auch wenn Görlitz schon Schrägen aufweist – die Verkehrsbetriebe in Leipzig und Zwickau betreiben ebenfalls ein Streckennetz, das hauptsächlich in der Ebene bleibt und Dresdner Maßstäbe nicht erreicht.
Kommentare zum Artikel "Oberlausitzer Straßenbahn auf Testfahrt in Dresden"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Ein Linieneinsatz ab Juli wird wohl nichts. Die DVB gehen jetzt von frühestens Herbst 2022 aus.