Oliver Rettig rettet die alten Beschriftungen
Oliver Rettig bei seiner selbstauferlegten Kulturarbeit, hier an einer historischen Wegmarkierung kurz vor Naumburg am Quais (Nowogrodziec) – „Nach Tschirne“ (Czerna). Foto: Till Scholtz-Knobloch
Ein ungewöhnliches Hobby betreibt der Görlitzer Oliver Rettig. Mit seinem Enduro-Motocross-Motorrad sucht er entlegene Denkmäler auf und gibt ihnen alten Glanz und alte Inschriften zurück.
Region. Schon auf dem Balkon von Oliver Rettig unweit des Bahnhofes in der Görlitzer Südstadt prangt ein altes deutsches Bahnhofsschild von Marklissa (Lesna) bei Lauban (Luban). Das besondere Faible für historische Bahnrelikte hat er von seinem Vater Wilfried Rettig geerbt, der durch viele Bahnpublikationen zu einer Legende in der Region geworden ist.
Jüngst stieß Oliver Rettig auf ein weiteres Bahnhofsschild aus der Gegend, das seinen Dienst längst getan hat und ebenfalls einen Ortsnamen trägt, der in dieser Form heute eher unbekannt ist. „Wehrkirch“ ist mittlerweile wieder glänzend auf dem Schild aus Horka, das von 1936 bis 1947 diesen Namen trug, zu lesen, nachdem es Rettig in seiner Garage aufgearbeitet hat. „Mit 50-prozentiger Natronlauge und Kunststoffschleifblock ist schon ein beachtliches Ergebnis zu erzielen. Das tut dem historischen Gesamtbild keinen Abbruch, denn Patina ist auch nach Entfernung der jahrzehntealten Schmutzschicht ausreichend vorhanden“, sagt Oliver Rettig. „Ich habe allerdings noch die Löcher mit GFK-Spachtel verfüllt und anschließend mit Emaillefarbe die Abplatzungen nachgezogen“, ergänzt der handwerklich geschickte Görlitzer. Dabei kommt es ihm auch nicht darauf an, bei sich Wertvolles zu horten, denn letztlich ist es ihm am liebsten, wenn sich im historischen Umfeld ein Platz für ein Dokument vergangener Zeit findet.
Gestoßen ist er auf das Schild aus Wehrkirch/Horka in der Heimat seines Vaters im Vogtland. Oliver Rettig wusste, dass ein solches Schild in einem alten Güterwagen der Görlitzer Kreisbahn gelagert war. Das Ende des Vereins in Königshain begleitete Rettig auch dadurch, dass er in den 90er-Jahren half, den alten Wasserkran in Königshain zu demontieren, ehe dieser nach Rothenburg zurückkehrte. Der Güterwagen mit dem Schild „Wehrkirch“ gelangte indes nach Schönheide im Vogtland an den Förderverein Historische Westsächsische Eisenbahnen e.V. Dieser bekundete auf Rettigs Anfrage nun, kein Interesse an dem guten Stück zu haben.
Daheim nahm Oliver Rettig die Aufarbeitung des alten Bahnhofsschildes von Horka (Wehrkirch) vor. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Rettig fuhr hin, suchte erfolgreich und brachte das Schild zurück in die Niederschlesiche Oberlausitz. Ein Zusammenhang zur Eisenbahn ist für ihn aber gar nicht notwendig. Er sei mit seiner Enduro und einem Topf Farbe besonders östlich der Neiße unterwegs. In Deutschland möchte er dem Denkmalschutz eher nicht in die Parade fahren, in Polen stelle sich das anders dar. „Im Grunde schaue ich auf all das, wo bislang niemand nach 1945 irgendetwas getan hat. Ich gehe einfach davon aus, dass der polnische Denkmalschutz eher beeindruckt wäre, mit welch hoher Qualität und Gespür für den historischen Bestand ich zu Werke gehe“, sagt er und freut sich, dass er manche renovierte Relikte bei Google Earth wiederfand, nachdem er den einstigen Zustand erst wiederhergestellt hatte.
Oliver Rettig führt mich nach Katholisch Hennersdorf (Henrykow Lubanski), wo die Preußen in den Schlesische Kriegen 1745 Sachsen besiegten. Auch hier zieht er Farbe nach. Nach dem Überraschungsangriff bei Hennersdorf kam für den preußischen Befehlshaber der Name „Zieten aus dem Busch“ in Umlauf, der den Stein ziert. Hier und da wird Rettig mittlerweile sogar wiedererkannt. Er hat viele persönliche Kontakte auf polnischer Seite geknüpft – im Selbststudium hat er dabei ein erstaunlich gutes Sprachgefühl im Polnischen aufgebaut, das ihm manche Türen öffnet. Überhaupt kommt ihm die polnische Improvisationsseele sehr entgegen, die nicht lange nach Formalien fragt. Die letzten drei Jahre habe sich eigentlich nie etwas an seiner Arbeit auf polnischer Seite geändert, bekundet er schmunzelnd. Er sei ja mit der Enduro ohnehin querfeldein unterwegs. Auch in Nordböhmen steuert er häufig Relikte alter Zeiten an.
Richtig wütend wird er aber noch einmal an der eigenen Haustür in der Görlitzer Südstadt. Neben dem alten Wasserturm in der Sattigstraße zeigt er auf das historische Verwaltungsgebäude der Bahn. Er habe beobachten können, als wohl im Auftrag der Bahn auf dem Dach die Schornsteine abgeschlagen wurden. „Das mag man formal vielleicht damit begründen, Sicherung vor herunterstürzenden Teilen zu geben. Eigentlich dienen solche Aktionen aber wohl eher geplantem Verfall.“ Wenn erst einmal Wasser das Gebäude von innen zerstört habe, könne die Bahn ja die für sie lästige Hinterlassenschaft einfach beseitigen. „Ich verstehe nicht, dass der Denkmalschutz auf so etwas nicht anspringt“, klagt er.