Direkt zum Inhalt springen
Info & Kommentare

Politik und Gesellschaft im Osten weichgespült

Politik und Gesellschaft im Osten weichgespült

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Theaterauditorium zwischen Lukas Rietzschel (links) und Intendant Daniel Morgenroth (rechts von ihm) Foto: Matthias Wehnert

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte letzten Sonntag Görlitz und informierte sich über die Samuel W’s im Osten Deutschlands.

Görlitz.
Der Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier letzten Sonntag in Görlitz ordnete sich in mehrere Tage Aufenthalt in der ostdeutschen Provinz ein und war angekündigt bei „zivilgesellschaftliche(n) Initiativen, Unternehmen sowie Forschungs- und Kultureinrichtungen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen“. Das ganze erschien gut durchchoreographiert. Ein Besuch im thüringischen Saalfeld führte zu einem Weltmarktführer bei Saugbaggern. Seht her, der Osten darf hier und da auch im Konzert der großen Unternehmen mitspielen...

Mitspielen, das taten Ehrenamtliche und Jugendliche im Zukunftsladen Saalfeld ebenso. Weil sich allerdings in der Agrarwirtschaft zuletzt allerlei Ungemach breitgemacht hatte, geht es tags darauf auch aufs Land. Bei der Fürstenwalder Agrarprodukte GmbH und dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Brandenburg muss sich die Botschaft auf Klimaanpassungen in der Region konzentrieren. Mit „Smart Farming“ kann die Republik letztlich noch grüner werden.

Die Rolle von Görlitz im Besuchsprogramm vorab zu erfassen, warf ebenso keine großen Grübeleien auf. Im Mittelpunkt an der Lausitzer Neiße stand der Besuch des Gerhart-Hauptmann-Theaters. Das Protokoll: „Bildtermin, anschließend Eintrag in das Goldene Buch, Bildtermin, anschließend Austausch mit Besucherinnen und Besuchern, Termin für Wort- und Bildmedien.“

Der östlichste aller Ost-Programmpunkte darf sich mit der entglittenen Deutungshoheit Berlins hier beschäftigen. Der Wiederherstellung der Norm widmet sich das Theaterstück aus Interviewsequenzen von Lukas Rietzschel „Das beispielhafte Leben des Samuel W.“ Dieses hatte am 20. Januar im Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau Premiere gefeiert. Das Theater bekundete damals hierzu: „So ziemlich jeder ist gelegentlich frustriert von politischen Entscheidungen und fragt sich, ob ,die da oben’ eigentlich wissen, worauf es wirklich ankommt.

Wie Menschen mit diesem Frust umgehen, ist ganz unterschiedlich: Der eine lässt am Stammtisch oder daheim verbal Dampf ab, der nächste geht auf Demos und unterzeichnet Petitionen, ein anderer wird zum Protestwähler und wieder andere suchen vielleicht den Dialog“ – sprich: es gibt da eben auch eine ganze Reihe völlig Dialogunfähiger.
Der auch von der Landespolitik zuletzt wegen seiner offenen Gegnerschaft gegenüber der Opposition gefeierte Romancier und Theaterautor mit SPD-Parteibuch Lukas Rietzschel hatte also ein Stück über einen Mann geschrieben, der ebenfalls unzufrieden ist und beschließt, selbst etwas zu verändern: Er geht in die Politik. Doch was will er? 

Das beispielhafte Leben des Samuel W. setzt sich aus 100 Gesprächen zusammen, die der aus Räckelwitz bei Kamenz stammende und in Görlitz lebende Autor zwischen Januar und September 2022 unter anderem in Görlitz geführt hatte. Lukas Rietzschel zeichnet das Leben eines Politikers nach, der in der DDR geboren ist, in einer Gegend mit Braunkohlegruben, mit Ruß und Dreck, mit Menschen, die darüber nachdenken, ob sie ihre Heimat verlassen müssen, weil es sich woanders besser lebt. Und dann ist da dieser Samuel W., der nicht auftritt und doch immer anwesend ist, der Politiker wird und einer nach Herleitung des Literaten radikalen Partei beitritt, „obwohl er doch hier oder etwa, weil er hier aufgewachsen ist?“, wie es in der Ankündigung despektierlich hieß.

Erst jüngst hatte das Theater stolz vermeldet: „Das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau gibt bekannt, dass die Produktion Das beispielhafte Leben des Samuel W. zu den Autor:innentheatertagen in Berlin eingeladen wurde (...). Das Auftragswerk von Lukas Rietzschel in der Inszenierung von Ingo Putz war enorm erfolgreich beim Publikum wie bei der Kritik. Die Zeit sprach von einem großartigen, lustigen und beunruhigenden Theaterabend, die Süddeutsche Zeitung nannte die Inszenierung aufschlussreich, unterhaltsam und beklemmend.“ Die Einladung, so betonte Intendant Daniel Morgenroth seinerzeit, „ist aber auch eine Auszeichnung für die Leistungsfähigkeit unseres Hauses, die zeigt, dass großes Theater auch in der Provinz stattfindet und wie wichtig ferner ein lebendiges, produzierendes Theater in unserer Region ist.“
Während die Presse hier ganz volksnah nur vom Balkon fotografieren darf, begrüßt der Bundespräsident unter anderem Generalvikar Kurzweil im Theater. Nach dessen Vorstellung fragte Steinmeier: „Wirklich, ist das Ihr Name?“ und meint: „Ja mit dem Namen kann man ja nur Theologe werden“.

Dass der Osten fit für neue Zeiten sein darf, ist tags darauf die Botschaft bei Gesprächen mit Unternehmensleitung, Betriebsrat, Auszubildenden und Mitarbeitern eines Spülmittelproduzenten in Zittau.

Till Scholtz-Knobloch / 18.05.2024

Schlagworte zum Artikel

Was sagen Sie zu dem Thema?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Die Mail-Adresse wird nur für Rückfragen verwendet und spätestens nach 14 Tagen gelöscht.

Mit dem Absenden Ihres Kommentars willigen Sie ein, dass der angegebene Name, Ihre Email-Adresse und die IP-Adresse, die Ihrem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, von uns im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar gespeichert werden. Die Email-Adresse und die IP-Adresse werden natürlich nicht veröffentlicht oder weiter gegeben. Weitere Informationen zum Datenschutz bei alles-lausitz.de finden Sie hier. Bitte lesen Sie unsere Netiquette.

Weitere aktuelle Artikel