Probewohnen: Die Altstadt ist einen Umzug wert!
Prof. Robert Knippschild hat die dritte Runde des Probewohnens wissenschaftlich begleitet. Foto: um
Der dritte Durchlauf des Probewohnens in Görlitz ist Geschichte. Inzwischen liegt auch die wissenschaftliche Auswertung vor. Fazit der Experten: Vor allem Großstädter zieht es in eine vergleichsweise „gemütliche“ mittelgroße Stadt wie Görlitz. Was natürlich auch Gründe hat.
Görlitz. Nach Wohnungen in der Innenstadt in den beiden ersten Durchgängen des Probewohnens wollten die Initiatoren von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft KommWohnen, der Stadtverwaltung und dem Interdisziplinären Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau (IZS) wissen, wie die Akzeptanz der Interessenten bei Wohnungen in der historischen Altstadt ist. Und sie wurden nicht enttäuscht – was die Resonanz, aber auch die Aussagen zur Qualität des Standortes betrifft. Mehr als 300 Bewerber wollten eine Woche lang in eine der drei Wohnungen in der Schwarzen Straße ziehen und herausfinden, ob ein dauerhafter Umzug in die Neißestadt eine für sie überlegenswerte Alternative ist. Von den schließlich 199 Probewohnern füllten 195 die Fragebögen aus. Satte 78 Prozent könnten sich ihr künftiges Leben in Görlitz vorstellen. „Eine bemerkenswerte Zustimmung“, findet IZS-Chef Prof. Robert Knippschild. Und er stellt zwei besonders positiv bewertete Punkte heraus: „Görlitz kann vor allem mit seinen weichen Standortfaktoren punkten, mit dem baukulturellen Erbe, mit den vielen Grünflächen, mit dem inzwischen sehr eingängigen Namen Görliwood. Und es kann die auch bei anderen Mittelstädten vorhandenen Vorteile auf sich vereinen: günstige Immobilienpreise, die vorhandene soziale, kulturelle und Bildungsinfrastruktur.“ Nicht zu vergessen sei die von vielen Probewohnern als positiv eingeschätzte Nähe zu Polen und die Verflechtung mit Zgorzelec. „Im Ergebnis aller Aussagen und mit dem Wissen, wo die Interessenten her kommen, kann man sagen: Görlitz ist durchaus eine Alternative für gestresste Großstädter“, resümiert Knippschild.
Was vor allem auf die Altstadt zutrifft. Sowohl der bauhistorische Gebäudebestand als auch die Sauberkeit, das Sicherheitsempfinden und das Angebot an Gaststätten wurden äußerst positiv bewertet. Ebenso der bauliche Zustand der Gebäude, die Gestaltung von Parks und Grünanlagen sowie die Angebote bei Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Auch die drei zur Verfügung stehenden Wohnungen selbst trafen offenbar überwiegend den Geschmack der Interessenten – vor allem was Größe, Beheizbarkeit, Raumhöhe und Wohnqualität betrifft. Negativ beurteilt wurden dagegen die mangelnde Barrierefreiheit, die Hellhörigkeit und Raumaufteilung. Auch fehlende Balkone und Duschen wurden bemängelt.
Für die KommWohnen GmbH bringt die wissenschaftliche Auswertung des Probewohnens wichtige Erkenntnisse für die Zukunft. „Barrierefreiheit, Balkone, aber auch Stellplätze sind Dinge, denen wir uns stellen. Deren Verbesserung aber nicht allein von uns abhängt. Bei den Balkonen befinden wir uns zum Beispiel im Spannungsfeld mit dem Denkmalschutz.“ Dass das Wohnen in der historischen Altstadt begehrt ist – davon will die städtische Wohnungsbaugesellschaft noch stärker profitieren. Deshalb wird bereits in diesem Jahr ein Lückenbau in diesem beliebten Stadtteil errichtet.
Laut Stadtplaner Hartmut Wilke sind die Ergebnisse des Probewohnens sehr hilfreich für die gesamte Stadtentwicklung: „Wir stellen die Planungen immer wieder auf den Prüfstand und fragen uns, ob die Stadt tatsächlich lebenswert ist, ob unser Blickwinkel der richtige ist? Da ist es gut, wenn man solche Hinweise bekommt.“ Allerdings sei es erfreulich, dass so viele Dinge positiv wahrgenommen worden seien. Auch die gewollte Nähe zur polnischen Schwesternstadt habe ihn angenehm überrascht. „Wir sollten also durchaus überlegen, wie wir Görlitz und Zgorzelec zusammen weiterentwickeln können.“
Nach den wichtigen Erkenntnissen der drei Runden Probewohnen wird es wohl demnächst eine vierte Auflage geben. Dann vielleicht aber mit Wohnungen aus anderen Stadtteilen. So bieten sich Biesnitz, die Südstadt und Weinhübel für ein derartiges Projekt an.