Prognos-Studie sieht Landkreis Görlitz am Ende
Dunkelblau mit wenig Chancen wie der Kreis Görlitz ganz rechts sind sonst nur Vorpommern, die Altmark, der Südharz oder Städte im Ruhrgebiet. Karte: Prognos AG/Handelsblatt (2022): Zukunftsatlas
Eine neuerliche Wirtschaftsstudie sieht den Landkreis Görlitz wieder einmal weit hinten. Im letzte Woche vorgestellten „Prognos-Zukunftsatlas 2022“ ist der östlichste Kreis der Bundesrepublik an 390. Stelle von den 400 Landkreisen und kreisfreien Städten im Lande. Doch Dr. Olaf Arndt von Prognos berichtet dem Niederschlesischen Kurier, dass einige Aspekte durchaus Mut machen dürfen.
Landkreis Görlitz. Immerhin – wir leben nicht in den Kreisen Vorpommern-Greifswald, Jerichower Land, im Altmarkkreis Salzwedel, in den Landkreisen Nordhausen, Prignitz, Stendal oder Schlusslicht Mansfeld-Südharz und auch nicht in den Städten Gelsenkirchen, Oberhausen oder Pirmasens. Sie alle sind noch hinter dem Kreis Görlitz im „Prognos-Zukunftsatlas 2022“ platziert, doch der Landkreis Görlitz schlittert als Elftletzter im Ranking nur knapp an den Top Ten „von hinten“ vorbei. Seit 2004 wird von Prognos alle drei Jahre die Zukunftsfestigkeit der deutschen Regionen einander gegenübergestellt – anhand ausgewählter makro- und sozioökonomischer Indikatoren und in Form eines bundesweiten Rankings. „Damit ist der Prognos-Zukunftsatlas das einzige deutschlandweite Ranking, das regionale Entwicklungen seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten sichtbar macht“, betont die Studie eingangs über sich selbst.
Je dunkler, desto größer wird die Dynamik des Landkreises eingeschätzt. Karte: Prognos AG/Handelsblatt (2022): Zukunftsatlas
In enger Anlehnung an das Handelsblatt – ebenfalls zur Holtzbrinck-Verlagsgruppe gehörig – hat Gewicht, was Wissenschaftler bei Prognos zusammentragen, zumal auch Ministerien von Bund und Ländern immer wieder Beratung beim Baseler Analyse- und Beratungsunternehmen suchen. Über-schrieben ist das sich aus vielen Facetten zusammensetzende Endergebnis in der oben stehenden Karte, die den Landstrich von Bad Muskau bis zum Zittauer Gebirge unter dem Blickwinkel von Zukunftschancen als „mit sehr hohen Risiken“ behaftet sieht. Dabei galt Görlitz im 19. Jahrhundert als reichste Stadt im Kaiserreich. Heute liegen Boomregionen vor allem in Württemberg, Oberbayern oder am unteren Oberrhein.
Prognos-Vizedirektor und Bereichsleiter am Standort Bremen, Dr. Olaf Arndt, weist im Gespräch mit dem Niederschlesischen Kurier zunächst auf die schlechten demografischen Werte vom Kreis Görlitz hin.
„Diese Werte stechen besonders hervor“, sagt er, habe der Landkreis Görlitz zwischen 2018 und 2021 noch einmal 2,6 Prozent der Bevölkerung verloren. Während die demographische Trendwende noch nicht gelungen sei, habe man von Weißwasser über Görlitz bis Zittau zudem mit einer sehr schwachen soziale Lage zu tun, die sich am hohen Anteil an Bedarfsgemeinschaften und niedriger Kaufkraft ausdrücke.
Olaf Arndt kennt die Kennzeichen jedoch bis in die Details und meint: „Überall sind zarte Pflänzchen der Entwicklung zu sehen“, immerhin steige die Kaufkraft. „Die zarten Verbesserungen hängen damit zusammen, dass in der Wirtschaftsentwicklung – der Basis für alle weiteren Entwicklungen – erste positive Zeichen zu konstatieren sind. Hier zeichnet sich eine Trendumkehr ab, wenn ich mir das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren anschaue. Beim BIP (Bruttoinlandsprodukt – also dem Gesamtwert aller erwirtschafteten Waren und Dienstleistungen) ist der Landkreis Görlitz gegenüber dem letzten Atlas, als man noch auf dem 252. Platz lag, hier auf Rang 149 vorgerückt – mit einem Wachstum von 13,2 Prozent. Wir sehen also, dass die Wirtschaft an Dynamik gewinnt.“
Aber erst wenn dies in einer massiven Beschäftigungsentwicklung durchschlage, könne sich auch die gesamtsoziale Situation verbessern. Ein Dilemma vieler Regionen. „Das Thema Bevölkerung bleibt also in und um Görlitz die große Herausforderung und auf dem Arbeitsmarkt die Nachwuchsfrage. Wir schauen hier unter anderem auf Schulabbrecherquoten oder unbesetzte Ausbildungsstellen. Wenn aber fast jeder 10. Schüler ohne Abschluss bleibt, ist das ein schlechtes Vorzeichen.“
Doch wie ist zu bewerten, dass, die Politik üppige Strukturmittel als Ersatz für den nun auch noch wegbrechenden Braunkohletagebau verteilt? In Weißwasser entsteht mit einer Bundesbehörde ja erst einmal keine echte Wertschöpfung, während die Astrophysik in Görlitz vielleicht eher zündet? Reicht es aus Erfahrungen anderer Standorte, sich auf die Kraft staatlich regulierter Forschungsförderung zu verlassen oder mit welchem anderen Impuls muss man ggf. eine Idee paaren? Häufig fällt auch das Stichwort Wasserstofftechnologie. Da auf diese viele setzen, hat man hier kein Alleinstellungsmerkmal.
Olaf Arndt sieht solche Fragen „richtig formuliert“, findet jedoch schnell viele positive Aspekte: „Die Ansiedlung einer Behörde oder eines Forschungsinstituts würde ich per se nie für schlecht halten, einfach weil Arbeitsplätze entstehen und Investitionen greifen. Solche Ansiedlungen haben jedoch in der Regel recht begrenzte strukturpolitische Wirkungen. Eine Trendumkehr kann erst gelingen, wenn größere Wirtschaftsansiedlungen gelingen, die eingebunden sind in Wertschöpfungsketten und Zuliefererbeziehungen. Das sehen wir derzeit zum Beispiel mit Tesla in Grünheide bei Berlin. Behördenansiedlungen können so etwas natürlich nicht.“
Das wirft die Frage auf, wieso Prognos selbst – mit Ausnahme von Bremen, wo Olaf Arndt angesiedelt ist – nur in großstädtischen Boomregionen vertreten ist. „Nach Bremen sind wir gegangen, eben weil es ’richtig wehgetan hat’. Bremen hat vom Bund damals eine Entschuldung bekommen und durfte Zinsersparnisse, die durch die Entschuldung gewonnen wurden, in die Zukunft investieren. Das finde ich auch weiterhin ein ganz hervorragendes Modell“, meint er. Dann habe der Bund aber gesagt: „Da muss irgendwer uns aber berichten, was die mit dem Geld dort machen.“ So sei Prognos letztlich zum Standort Bremen gekommen, während neben der Zentrale Basel weitere Dependancen in Berlin, Brüssel, Düsseldorf, Freiburg, Hamburg, München und Stuttgart bestehen. Er fügt an: „Als Wirtschaftsunternehmen schauen wir natürlich auch darauf, wo Nachfrage nach Aufträgen besteht. Für die Standorte ist aber auch die verkehrsmäßige Anbindung wichtig“, womit im Osten Berlin seine Logik hat. „Dennoch merken auch wir, wenn wir die selbe Anzeige in Bremen und München schalten, dass wir eine vielfache Anzahl an Bewerbungen im Süden erhalten. Hohen Standortkosten wie Mieten stehe jedoch ein extrem positiv besetztes Image gegenüber. „Und, ein Bewerber geht kein hohes Risiko ein, weil er im näheren Umkreis wiederum viele berufliche Alternativen hat“, gibt Olaf Arndt zu bedenken. Lässt sich also ableiten, dass ein guter Imagewert quasi eine Initialzündung bedeuten kann? „Unbedingt! Ja! Wir haben von Prognos mal eine Studie für eine Halbleiterfirma in Dresden gemacht. Die sagten: ’Wir bekommen immer Führungskräfte, deren erste Ambition es ist, doch wieder dorthin zurückzukehren, von wo sie gekommen sind.’ Es wurde dann eine Imagekampagne gestartet, um überhaupt Menschen zu gewinnen, obwohl Dresden beim Image ja gar nicht einmal negativ dasteht.“
Olaf Arndt sinniert am Beispiel Görlitz: „Ich erzähle also, ich gehe nach Görlitz, dann möchte ich in meinem Umfeld natürlich hören: ’Mensch toll. Was machst Du denn da?’“. Und um dieses ’Toll’ müsse man erst einmal ringen. Er sei vor zwei Jahren im Urlaub im Zittauer Gebirge gewesen und habe „rein optisch gute Eindrücke“ gehabt.
Aus der Erfahrung könne er jedoch berichten, dass manche Regionen bei der Folgeerhebung 30, 40 oder gar 50 Plätze gutgemacht haben. Bei den Dynmikwerten (siehe rechts oben) sieht es so auch bereits etwas besser aus. Vielleicht wohnt also doch dem Tourismus viel mehr Kraft durch vermitteltes Image inne, als man dieses über begrenzte Wertschöpfungskraft eines Pensionopolis im Standortwettbewerb gewinnt.