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Rente weg – für das Landleben bestraft

Rente weg – für das Landleben bestraft

Eva-Maria Brussig erhält Hilfe auf dem Hof von Jens Pursche. Sie stehen an der Stelle, von der keine Zufahrt zum Hof mehr erlaubt wird – ein Verkauf erscheint fast aussichtslos. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Weil Eva-Maria Brussig an der Landwirtschaft festhielt, ist heute ihre Altersvorsorge dahin. Ein Anschlusszwang an das Abwassersystem, obwohl ein Anschluss für sie und ihren Mann gar nicht nötig war, fraß nach jahrelanger Stundung nun ihre Ersparnisse auf, um eine Zwangsvollstreckung zu vermeiden. Den Hofverkauf verhindern andere Widrigkeiten, die es so ebenfalls nur auf dem Land gibt.

Kunnersdorf.
Das Leben von Eva-Maria Brussig hat schon merkwürdige Wendungen genommen. Sie wurde vor 77 Jahren im Niedersächsischen Einbeck geboren. Ihr Vater bewirtschaftete vor Breslau einen Hof und kam durch die Vertreibung in den Westen. Seine Versuche, einen Bauernhof in Niedersachsen übernehmen zu können scheiterten jedoch, so dass er letztlich über einen Bekannten den ungewöhnlichen Weg wenigstens in die Nähe seiner Heimat fand. Es ging in die Oberlausitz und mithin die DDR. Zunächst gelangte die Familie damals nach Nieder Seifersdorf.

Nach Kunnersdorf kam Eva-Maria Brussig mit ihrem Mann jedoch 1969 von Groß Krauscha. 1973 bauten sie ihr Haus und wurden Eltern dreier Kinder. Ihr Arbeitgeber war gleich nebenan die LPG.

Der Milchviehbetrieb, in dem sie als Melkerin tätig war, verfügte über eine Sickergrube. Die LPG hatte Nutzungsrechte auf dem großen Hof, der jedoch – im Gegensatz zum väterlichen Hof Eva-Maria Brussigs in Schlesien – nicht enteignet wurde. 1954 ging der Vater aus der Kunnersdorfer Eignerfamilie nach Westdeutschland – ohne Frau und Kinder. Diese wuchsen beim Bruder in Ebersbach auf.

Zur Wende 1990 stand Eva-Maria Brussig mit ihrem Mann dann vor der Frage, ob es das für sie in der Landwirtschaft nun gewesen sein soll. Wie ihr Vater blieb auch sie dem alten Broterwerb treu, so dass in Kunnersdorf mit Brussigs eine Landwirtschaft übrig blieb. Das Paar nahm für den Kauf des Hofes 1991 einen Kredit über 300.000 DM auf. „Seit 1991 sind wir dann als in der Landwirtschaft Selbstständige nie mehr im Urlaub gewesen“, merkt sie fast beiläufig an. 64 Hektar Wiesen hin zur B 115 wurden gepachtet und erlaubten stets auch Abkürzungen für landwirtschaftliche Fahrzeuge, die die Enge im Dorf so nicht erlaubt. 60 Kühe mit ihrem Nachwuchs hielten die beiden vornehmlich auf Trab. Später waren es noch 20 Mutterkühe mit ihren etwa 15 Kälbern pro Jahrgang. 

Nachdem ihr Mann vor fünf Jahren verstarb, hielt sie zunächst noch „aus Sentimentatität“ eine Kuh. Geblieben sind neben wenigen Kaninchen noch 70 Hühner, mit denen sie für ein paar Groschen das nähere Umfeld mit Eiern versorgt.
Beim Erhalt des großen, weitgehend ungenutzten Areals des Hofes hilft ihr immerhin der Kunnersdorfer Jens Pursche fast täglich. Er arbeitet selbst auf einem Hof in Girbigsdorf und sieht die gute Tat als seine Pflicht aus alter Verbundenheit an. Er war hier einst in der Milchviehhaltung angestellt und seine Mutter Kindermädchen für die drei Sprösslinge auf dem Hof. Zudem kann Jens Pursche natürlich nachempfinden, wie entbehrungsreich die Arbeit in der Landwirtschaft geworden ist. Not schweißt zusammen.

Nicht mehr abwehren ließ sich ein Schmutzwasserbeitrag für den Hof, der 2007 auf über 34.000 Euro taxiert wurde. Die riesigen Wälzer mit anwaltlichen und behördlichem Schlagabtausch lassen kaum nachvollziehen, wieso der Abwasserzweckverband „Weißer Schöps“ einen Beitrag auf Quadratmeterbasis festsetzte, der trotz geminderter Höhe im Grunde immer fiktiver Natur war, da nur das Privathaus nebenan tatsächlich auch angeschlossen war.

Da Vorschriften eben Vorschriften sind, kamen nach langer Stundung auf diese Last letztlich doch die befürchteten Mahnungen. Über 22.000 Euro, die Eva-Maria Brussig nun doch gezahlt hat, waren eigentlich ihre Altersvorsorge.
Das alles ist bitter genug und zeugt vom geringen Ansehen, das Politik und Gesellschaft dem Dienste an der Produktion unser aller Nahrung abseits geförderter Großbetriebe übrigließen. Doch der Hof ließ sich bisher weder verkaufen, noch konnte überhaupt ein echter Interessent angelockt werden.

Die Kinder der Alteigentümer erbten nämlich die einst gepachteten Ländereien zur B 115 hin. Wieso diese nun die einstige Wegeerlaubnis vom Hof zur B 115 nicht gestatten, ist Eva-Maria Brussig unklar. Bei der Frage der Redaktion, ob vielleicht eigene unverarbeitete Geschichte mit Verlust des Hofes eine Rolle spielen, quittiert sie mit einem ratlosen Achselzucken. Auch ein Nachbar zur anderen Seite hin, will Wegerechte nicht einräumen. Will man die große Liegenschaft jedoch zum Beispiel zum Kauf für einen Gewerbebetrieb schmackhaft machen, ist dies ohne vertretbare Zufahrt nicht möglich. Millimetergenaues Rangieren mit Transportern oder Lastern durch den engen Weg von der Dorfseite sind aktuell nahezu ein KO-Kriterium. Und so bleibt Eva-Maria Brussig nach einem entbehrungsreichem Arbeitsleben in der Landwirtschaft weiterhin die Last der dauerhaften Unterhaltung. Wenn die Knie nicht mehr mitmachen, könnte sie zwar bei einer Tochter in Krauscha leben. Doch auch dann bleibt das Eigentum in Kunnersdorf als Last. Und das dann auch ohne die Hühner, die wie eine Lebenserinnerung sind.

Till Scholtz-Knobloch / 06.07.2024

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Kommentare zum Artikel "Rente weg – für das Landleben bestraft"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Rosalie schrieb am

    In Italien gehen die Menschen mit 60 Lebensjahren in Rente und bekommen dann etwas mehr wie 90% ihres letzen Nettogehaltes als Rente gezahlt. In Frankreich muß bis zum Alter von 62 gearbeitet werden und die Rente ist dann 68% des Nettogehaltes. Im "reichen" Deutschland müssen die Menschen "noch" bis zum 67 Lebensjahr arbeiten und sie bekommen 48% ihres letzten Nettogehaltes dann als Rente ausgezahlt. Gut, wenn man im gehobenen und öffentlichen Dienst angestellt oder verbeamtet ist (z.Zt hat Sachsen 98000 Angestellte in Behörden, Verwaltungen etc., die nichts produzieren) sieht alles etwas anders aus, aber der Großteil der produktiv Arbeitenden muß so lange durchhalten, um die besagte volle Rente zu erhalten. Wenn eine Bäuerin nun ihr ganzes Leben schwer gearbeitet hat und mit ihrer Arbeit dafür gesorgt hat, das Andere etwas auf ihrem Teller und in Ihrem Brotkorb hatten und diese Bäuerin von einem Verband der seine große Abwasseranlage refinanzieren muss, zwanghaft zur Kasse gebeten wird, muß die Frage erlaubt sein, warum kein menschliches Arrangement gefunden wird, um diese schwierige finanzielle Lage zu besänftigen, um dass die Bäuerin dann aus ihrer Misere rauskommt. Ach so reden auf normaler Ebene ist ja heute nicht mehr modern, es müssen dann immer Drohbriefe sein, denn der "Gesetzgeber" hat ja alles geregelt.

  2. Mario Süße schrieb am

    Es ist traurig was wir mit den Leuten machen die uns diesen Wohlstand ermöglicht haben. Es wird immer schlimmer mit den Leuten umgegangen die diese Gesellschaft am Leben erhalten. Bürokratie hat noch niemanden satt gemacht. Wir schweben auf Wolke sieben. Es wird Zeit vom hohem Ross abzusteigen.

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