Ruck durch Reichenbach – Mischen ist possible!
Bürgermeisterin Carina Dittrich (links), hinter ihr Bianka Senger von der Stadtverwaltung, Filmemacher Jürgen Dettling und Marcel Schinzel Foto: Till Scholtz-Knobloch
Reichenbach startet ein Projekt, mit dem die Beteiligung der Bürger und das Zusammenspiel bestehender Vereine verbessert werden soll. Solche Projekte gibt es landauf – landab eigentlich viele. Doch in Reichenbach steckt dahinter eine vielleicht schicksalhafte Fügung, die in ihrer Ungewöhnlichkeit Potenzial hat zu zünden.
Reichenbach/OL. Kaum trat Reichenbachs Bürgermeisterin Carina Dittrich im Rahmen einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Projektes „Mischen possible“ am Mittwoch im Reichenbacher Via-Regia-Haus vor das Mikrofon, da ging ein emotionaler Schub durch sie. Eigentlich klang es wie ein Resümee ihrer gesamten Tätigkeit. 2015 seien die Kinder groß und auf einmal in Leipzig gewesen als sie zur Wahl antrat, „weil ich hier geboren bin.“ Doch das tägliche Klein-Klein in den vielen Aufgaben habe an ihr gezehrt und die Lethargie liege in einer Kleinstadt in der Oberlausitz, die weiterhin gerade von jungen Leuten verlassen wird, im Grunde wie ein Lebensgefühl über allem. Sie stellte fest: „Eine Verbesserung hat sich einfach nicht eingestellt, doch woran liegt das?“
Mehr und mehr sei sie zu der Erkenntnis gekommen, dass nicht der Wille fehle, sondern ein Teil der Probleme auch hausgemacht sei, weil die Konstruktion oft nicht stimme. Und natürlich auch die zündende Idee einmal neu zu denken, kann man hinzufügen. Denn die Chance, alle Reichenbacher Akteure des gesellschaftlichen Lebens zusammenzuführen ist ganz unverhofft von Außen gekommen.
Jürgen Dettling, der für den Südwestrundfunk (SWR) viele Filme geschaffen hat, stieß eher zufällig auf Reichenbach, als er im Vergleich der Nachwendegesellschaften eine Kleinstadt im Westen und eine im Osten im Porträt gegenüberstellen wollte. Und da Dettling aus dem Dreiländereck Deutschland / Schweiz / Frankreich stammt, wurde er im Dreiländereck Deutschland / Tschechien / Polen“ besonders neugierig. In Reichenbach sei er auf junge Leute gestoßen, die berichteten: „Es gibt viele Vereine, aber wir machen nichts miteinander.“
Diese eigentlich banale Analyse habe ihn nicht losgelassen. In Reichenbach gründete er den Black Dog e.V., in dem Jugendliche über professionelle Filmprojekte die Gelegenheit haben, sich und ihr Lebensumfeld zu reflektieren. Wenn nun mit dem Projekt „Mischen possible“ (possible = möglich) an die Wurzel gegangen wird, ein Miteinander über alle Generationen initiieren zu wollen, „dann geht es nicht um ein organisiertes Tratschen bei einer Bockwurst, sondern um Beteiligung an der Zukunft, in der sich auch die Jugend wohlfühlt“, so Jürgen Dettling.
Bürgermeisterin Carina Dittrich hatte genau den Akteur, der zunächst von Außen beobachtet hatte, um sich mit Neugier und Sympathie auf eine Idee in der Fremde zu stürzen. Sie nennt ein Beispiel, wieso ganz oft schon Kleinigkeiten Veränderungen mit sich bringen könnten: „Wenn der Sportverein eine Veranstaltung anmeldet, dann fallen keine Gema-Gebühren an; wieso sollte man das z.B. in Zusammenarbeit mit dem Karnevalsverein nicht nutzen? Solche Dinge erfährt man jedoch nur, wenn sich Akteure kennen und im Gespräch sind. So soll ein Wesensmerkmal des Projektes auch die „rotierende Verantwortung“ sein, in der sich die Aufgabenverteilung nach Eigenart der jeweiligen Veranstaltung stets neu bestimmt. Letztlich sei das Prinzip, es so wie immer zu machen, ganz häufig der Grund andere Wege gar nicht erst zu sehen.
Jürgen Dettling sieht gute Ansätze. Er habe in der Region Menschen kennengelernt, die geerdet und aufrichtig das tun würden, was zu tun ist. Im Westen Deutschland habe er es öfter mit dem großen Bluff zu tun gehabt. Umgekehrt ergebe sich im Osten jedoch der Nachteil, dass Menschen die Öffentlichkeit scheuen und erst im Nachgang oft sagen würden „Ja, wenn sie mich gefragt hätten…“.
Der Prozess, den Reichenbach nun geht, soll transparenter sein. Dafür sorgt Jürgen Dettling auch dadurch, dass auch dieses Projekt mit der Kamera begleitet wird. Technische Unterstützung gibt ihm mit Marcel Schinzel (29) vom Vorstand des Jugendvereins Mengelsdorf auch ein junger Mensch, der für den Optimismus unter jungen Menschen steht. Bürgermeisterin Dittrich rechnet hoch: „Jedes Jahr machen etwa 50 Jugendliche in Reichenbach ihren Schulabschluss und fünf davon gehen in die sich immer weiter ausdehnende Altenpflege einer überalternden Region“. Doch was passiere mit den übrigen 45, wenn Handwerker oft sagen würden: „Ich mache noch alleine bis zur Rente weiter, dann ist eh Schluss“?. Auch bei der Begeisterung für die Region müsse man sich mehr von Außen anstecken lassen. „Urlauber schwärmen immer wieder über unsere Region, wir selbst sehen es oft gar nicht“. Es fehlt oft einfach der Ruck, zu dem nun Akteure der Stadt angestoßen werden sollen. Jürgen Dettling fasst zusammen: „Warum wir so kess behaupten, ‚Mischen Possible’ sei etwas ganz Besonderes? Es bringt Akteure und Menschen der Stadtgesellschaft mit ihren Ortsteilen zusammen, die sonst nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben.“
Die Projekttermine im Einzelnen
31. Juli, ab 16.00 Uhr „Jugend mit Zukunft“ beim Feuerwehrhaus Mengelsdorf, Dorfstraße 124
20. August, ab 17.00 Uhr „Ernährung und Landwirtschaft“, Marktplatz Reichenbach/Via-Regia-Haus
27. August, ab 15.30 Uhr „Natur und Umwelt“, Marktplatz Reichenbach/Via-Regia-Haus
18. September, ab 14.00 Uhr „Ein Kessel Buntes/Kunst und Kultur“ Schützenplatz Reichenbach/Oberschule
1. Oktober, ab 16.00 Uhr „All Inklusiv“ Martinstift Sohand, Dorfstraße 229
16. Oktober, ab 16.00 Uhr „Zusatzveranstaltung mit Filmpremiere“ Ort wird noch bekanntgegeben
29. Oktober, ab 16.00 Uhr „Wohin des Weges? Offenes Symposium“ Via-Regia-Haus Reichenbach am Marktplatz