Ruf nach Kreisverkehr an S 119 wird lauter
Entlang der S 119, die die Stadt Bautzen mit der Gemeinde Neukirch/Lausitz verbindet, befindet sich eine der gefährlichsten Kreuzungen im Landkreis. Von ihr zweigen Straßen nach Doberschau und nach Gaußig ab. Fotos: RK
Es ist der 5. Juni 2017. Ein verhängnisvoller Tag für zwei Menschen, deren Weg sich zur Mittagszeit auf der Staatsstraße S 119 auf fatale Weise kreuzt. In Höhe der Abzweigung nach Gaußig und Doberschau kracht ein vorfahrtsberechtigter Motorradfahrer in einen auf die Hauptstraße einbiegenden Pkw und stirbt. Der Autofahrer landet vor Gericht. Doch das entscheidet zu seinen Gunsten und gibt den Behörden eine Hausaufgabe mit auf den Weg.
Bautzen. „In dubio pro reo“ – so lautet das Urteil des Amtsgerichts Bautzen. Lassen sich Zweifel an der Schuld des Angeklagten nicht beheben, so ist er freizusprechen. Nach diesem Grundsatz des Strafverfahrens hat Richter Dr. Dirk Hertle entschieden. „Da im Ergebnis ein sogenanntes Augenblicksversagen des angeklagten Pkw-Fahrers nicht zweifelsfrei feststellbar war und das Amtsgericht nicht ausschließen konnte, dass der Motorradfahrer mit weit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist und der Angeklagte auch aufgrund der örtlichen Gegebenheiten den herannahenden Motorradfahrer nicht habe erkennen können“, führte er zur Begründung an, die er auch Landrat Michael Harig in einem Offenen Brief mitteilte, um den Landkreis und andere Behörden für den unfallträchtigen Kreuzungsbereich nochmals zu sensibilisieren. Seit nunmehr acht Jahren befasse sich bereits die Polizeidirektion Görlitz mit diesem. Seit 2016 sei an der Stelle ein Kreisverkehr im Gespräch. Bis heute wurde er nicht realisiert. Indes kracht es in dem Tempo-70-Bereich fortwährend weiter. Von 2017 bis 2021 seien vor Ort 20 Verkehrsunfälle registriert worden, heißt es in dem Schreiben. Insgesamt zwei Kradfahrer hätten dabei ihr Leben gelassen. Der angerichtete Gesamtsachschaden liege inzwischen im siebenstelligen Bereich. „Allein 2017 betrug dieser nach Mitteilung der Polizei 1,068 Millionen Euro“, führt Dirk Hertle in seinem Brief aus. Vor all dem Hintergrund pocht der Amtsrichter darauf, die Kreuzung Doberschau – Gaußig zu einem Kreisverkehr umzubauen. „Die bisherigen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung waren und bleiben erfolglos“, ist er sich sicher.
An besagter Kreuzung wird gern einmal schneller gefahren als erlaubt. Gesellt sich dann noch Unaufmerksamkeit hinzu, sind Unfälle vorprogrammiert.
Alexander Fischer, der Bürgermeister der Gemeinde Doberschau-Gaußig, auf deren Hoheitsgebiet sich das jahrelange Drama abspielt, sieht ebenfalls dringenden Handlungsbedarf. „Die Diskussion um den laut Presse und eigenen Erfahrungen zufolge größten Unfallschwerpunkt des Landkreises ist lang. Als Feuerwehrmann, der selbst schon oft an der Kreuzung bei Unfällen zu Hilfe eilte, setze ich mich seit Langem dafür ein, dass hier baulich ein Gefahrenpunkt entschärft wird.“ Eine der Hauptursachen sieht auch er in den zu hohen Geschwindigkeiten, die trotz der aufgestellten Temposchilder an Ort und Stelle gefahren werden. „Eigene, nicht geeichte Messungen der Gemeinde haben dies bestätigt. Zur Geschwindigkeitsreduzierung gibt es aus unserer Sicht eine Lösung – eine bauliche und zwar in Form eines Kreisverkehrs.“ Dafür jedoch müssten gegebenenfalls Bauflächen ermittelt und erworben werden. Parallel sollte die Radwegeführung bedacht werden, betonte Alexander Fischer. „Seitens der Gemeinde würde auf das angrenzende Flurneuordnungsverfahren hingewiesen, dass bei der Bauflächenbereitstellung hilfreich sein könnte.“
Doch inzwischen scheint Bewegung in die Angelegenheit zu kommen. „Die Situation an diesem Unfallschwerpunkt ist dem Landratsamt und auch dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) seit Jahren bekannt“, ließ Landrat Michael Harig in einer Antwort auf den Offenen Brief von Amtsrichter Dirk Hertle wissen. „Ein Umbau der Gefahrenstelle ist zwingend notwendig. Das wird auch im Landesamt so gesehen, das für den Umbau zuständig ist. Im Sinne der Verkehrssicherheit muss eine schnelle Umsetzung das Ziel sein.“
Und ja, in Dresden wird offenbar bereits an einer entsprechenden Maßnahme gefeilt. „Infolge der Erfassung der Kreuzung als Unfallhäufungsstelle durch die Unfallkommission des Landkreises – trotz richtliniengerechter Ausführung – starteten durch das LASuV zeitnah die Planungen für einen Kreisverkehr“, erklärte Behördensprecher Franz Grossmann auf Anfrage des Oberlausitzer Kuriers. Allerdings fügte er hinzu: „Eine Aussage zu einem möglichen Baubeginn kann zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht belastbar getroffen werden. Dies gilt auch für die zu erwartenden Kosten, die sich erst im weiteren Planungsverlauf benennen lassen. Letztlich hängt ein Zeitpunkt für eine Realisierung auch vom Verfahren zur Erlangung des Baurechts ab.“
Doch die Zeit drängt, denn offenbar scheinen den Ordnungshütern bei der Überwachung des Kreuzungsbereiches die Hände gebunden zu sein, wie eine Sprecherin der Polizeidirektion Görlitz einräumte. „Die sächsischen Polizeireviere besitzen zur Geschwindigkeitsmessung Lasermessgeräte LTI, bei denen das Ergebnis ablesbar ist, aber nicht gespeichert wird. Aus diesem Grund finden mit diesem Messgerät ausschließlich Anhaltekontrollen statt, wobei die Anhaltestelle so gewählt werden muss, dass der Betroffene das Messergebnis auf Verlangen einsehen kann. Diese Gegebenheiten sind an der betreffenden Kreuzung nicht gegeben.“ Und weiter: „Mit den derzeit verfügbaren Messgeräten der Verkehrspolizeiinspektion ESO 8.0 und Multanova besteht ebenfalls aus technischer Sicht keine Möglichkeit, in diesem Bereich eine rechtlich verwertbare Messung durchzuführen. Versuche waren nicht erfolgreich.“ Hingegen wäre eine erfolgreiche und beweissichere Messung mit einem anderen Gerät denkbar. Dieses jedoch dürfe zurzeit nicht verwendet werden, „da von Gutachtern technische Messfehler nachgewiesen wurden, wie auch in der Presse ausführlich berichtet wurde“.
Ist das am Ende ein Freibrief für alle, die gern einmal etwas stärker aufs Gaspedal treten? Nicht nur Amtsrichter Dirk Hertle hofft bis zur Errichtung des Kreisverkehrs darauf, dass angesichts der teils schweren Unfälle auf der S 119 die Verkehrsteilnehmer gerade entlang schwierig einsehbarer Straßenbereiche ihren gesunden Menschenverstand einschalten. In der Vergangenheit wurden bereits genug Schäden durch Raserei angerichtet, wie aus dem Offenen Brief hervorgeht. Fest steht auch: Nicht jeder, der im Temporausch in einen Zusammenstoß verwickelt wird, verlässt am Ende den Gerichtssaal als freier Mann.