Schienenfahrzeughersteller will Jobs in der Lausitz streichen
Auch am Alstom-Standort Bautzen könnten offenbar schon bald mehrere Jobs wegfallen - und das inmitten des Strukturwandels in der Lausitz. Foto: Archiv
Bautzen. Der Schienenfahrzeughersteller Alstom will sich offenbar von mehreren Arbeitskräften an seinen beiden Lausitzer Standorten trennen. Das teilte die IG Metall in einer Medieninformation mit. Am Freitag habe das Unternehmen angekündigt, bis zu 400 Arbeitsplätze allein in Görlitz und bis zu 150 Arbeitsplätze in Bautzen abzubauen. Bundesweit sollen rund 1.300 Beschäftigte ihren Job verlieren. Die Gewerkschaft kündigte ihren Widerstand gegen die Pläne des französischen Konzerns an, der erst in diesem Jahr Bombardier übernommen hatte.
Das Unternehmen selbst ließ im Laufe des Nachmittages auf Anfrage wissen, dass in Bautzen über die nächsten drei Jahre 100 bis 150 Positionen und in Görlitz 300 bis 400 Positionen betroffen seien. „Wir verpflichten uns, die Anpassung an unseren Standorten sozialverträglich und in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern durchzuführen“, betonte Sprecher Jörn Bischoff. Zur Begründung für diesen Schritt führte er aus, dass Alstom in der Bundesrepublik aktuell einen kompakten Transformationsplan starte, „um die operative Effizienz und Produktivität im Einklang mit den lokalen Kapazitäten zu erhöhen“. Außerdem sagte er in dem Zusammenhang: „Damit wollen wir eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur entsprechend den zukünftigen Anforderungen erreichen, die mit der Digitalisierung im Transportwesen einhergehen. Das Wachstum unseres Unternehmens in Deutschland ist verbunden mit der Umverteilung der Kompetenzen für laufende und zukünftige Projekte. Dabei entstehen bis zu 700 neue Stellen in den Bereichen Digitalisierung, Engineering und Software sowie Services. Dies betrifft vornehmlich die Standorte Berlin, Mannheim und Braunschweig. Gleichzeitig wird über einen Zeitraum von drei Jahren eine Anpassung der Positionen in der Fertigung erfolgen, wovon rund 900 bis 1.300 Stellen an den Standorten Hennigsdorf, Bautzen, Görlitz, Salzgitter, Mannheim, Siegen betroffen sind.“
Die Gewerkschaft kann sich für solch eine Nachricht kurz vor dem Fest der Liebe gar nicht erwärmen. „Es ist mehr als respektlos, kurz vor Weihnachten die Kolleginnen und Kollegen mit so schlechten Nachrichten zu erschüttern“, sagte Uwe Garbe, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen. „Gerade in Zeiten des Klimawandels werden die Schienenfahrzeugbauer gebraucht. Um die Mobilitätswende zu schaffen, benötigen wir mehr Züge, mehr Güterverkehr und Zukunftstechnologien für die Bahn. Heute in einer der wichtigsten Branchen für die Zukunft unserer Gesellschaft massiv Arbeitsplätze und Kompetenz abzubauen, ist kurzsichtig und sträflich.“ Von Alstom werde erwartet, gerade jetzt Verantwortung zu übernehmen.
Mit der richtigen Strategie sei Alstom zukunftsfähig und der Erhalt aller Arbeitsplätze möglich, so René Straube, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Alstom und Betriebsratsvorsitzender am Standort Görlitz.„Unsere Autobahnen werden niemals breit genug sein, um die Bedürfnisse in Bezug auf die Beförderung von Personen und Gütern zu bewältigen.“ Es sei fünf vor 12, aber noch nicht zu spät.
„Es tröstet nicht, dass Alstom angekündigt hat, im Rahmen seines Transformationsplans im Bereich Engineering, Digitalisierung, Software und Produktentwicklung in den nächsten zwei bis drei Jahren Stellen aufzubauen“, sagte wiederum Gerd Kaczmarek, Betriebsratsvorsitzender bei Alstom Bautzen. „Deutschland ist nicht nur für seine Entwicklungsfähigkeit bekannt, sondern auch für seine hohe Qualität in der Produktion. Es bringt gerade gar nichts, die Beschäftigten zu verunsichern. Sondern wir brauchen die Kompetenz und Motivation der Kolleginnen und Kollegen, um den Weg in die Zukunft zu gestalten.“
„Wir werden jetzt gemeinsam mit unseren Mitgliedern und den Betriebsräten an den betroffenen Standorten nach zukunftsfähigen Lösungen suchen, um die Standorte in ihrer heutigen Form zu erhalten. Wir werden eine belastbare und nachhaltige Strategie von Alstom einfordern. Wir werden gemeinsam mit Politik und anderen gesellschaftlichen Akteuren für die Zukunft der Werke kämpfen“, meinte Uwe Garbe.
Politik reagiert mit Befremden auf jüngste Entwicklung
„Mit großer Verwunderung und Enttäuschung haben wir von den Plänen zum Stellenabbau in Görlitz und Bautzen erfahren und auch von der Art und Weise der Information an die Belegschaft“, schrieb der Görlitzer Landrat Bernd Lange an die Medien. „Der Abbau bedeutet einen massiven Verlust an Wirtschaftskraft und Fachkompetenz für unsere Region, die eine lange Tradition im Schienenfahrzeugbau hat. Parallel dazu sehen wir uns mit den Auswirkungen des Kohleausstieg konfrontiert. Ich fordere daher den Bund und das Land auf, sich dringend für den Erhalt der beiden Werke und der Arbeitsplätze einzusetzen, auch im Hinblick auf die Belastungen hinsichtlich des Strukturwandels. Wir müssen alles dafür tun, den Menschen vor Ort Zuversicht für die Zukunft zu geben, dazu gehören sichere Arbeitsplätze und neue Impulse. Solch einen Impuls, ein vielversprechendes Schienenprojekt, haben wir dem Freistaat Sachsen bereits vor einem Jahr übergeben. Von ihm erhoffen wir uns eine Strahlkraft für die gesamte Region. Wir gehen davon aus, dass unter den gegebenen Umständen mit Hochdruck an der Umsetzung gearbeitet wird, um die Kompetenz in der Region zu halten.“
„Fest steht: Die Entscheidung muss revidiert werden“, appellierte die SPD-Bundestagsabgeordnete Kathrin Michel an den Schienenfahrzeughersteller. „Es braucht eine Lösung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in meiner Region. So etwas kurz vor Weihnachten anzukündigen, empfinde ich als äußerst unanständig. Auch das ist eine Frage des Respekts vor Ostdeutschland im Allgemeinen und der Lausitz im Besonderen.“
Frank Peschel von der AfD-Landtagsfraktion führte aus: „In erster Linie tun mir die Mitarbeiter leid, die kurz vor Weihnachten die traurige Nachricht erhalten haben. Ich hoffe sehr, dass die Betroffenen schnell neue Jobs finden.“
Indes sicherte Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig den Gewerkschaftern seine Unterstützung zu. „Wenn es Möglichkeiten gibt, wie wir als sächsische Landesregierung helfen und unterstützen können, sind wir sofort bereit dazu“, versicherte der SPD-Politiker. „Wir stehen an der Seite der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des Betriebsrates. Gemeinsam fordern wir Alstom auf, zu seinen Zusagen beim Kauf zu stehen, die Zukunft des Werkes und der Arbeitsplätze zu sichern, anstatt den Aktienkurs durch Einsparmaßnahmen zu stabilisieren. Dieses vergiftete Weihnachtsgeschenk ist völlig inakzeptabel.“
Freistaat und Stadt Bautzen finanzieren millionenschwere Werkszufahrt
Noch vor wenigen Monaten war am Standort Bautzen eine neue Zufahrt für den Schienenfahrzeughersteller errichtet worden, wofür auch der Freistaat Fördermittel gab - und zwar mehr als zwei Millionen Euro. „Einerseits wollen wir alles versuchen, um einen großen Arbeitgeber der Stadt hier zu halten und Arbeitsplätze zu sichern“, sagte in dem Zusammenhang Stadtrat Steffen Tech auf eine Anfrage unserer Zeitung Anfang Oktober. „Andererseits haben wir schon im Zuge des Baus der Schramm-Tangente die Preuschwitzer Straße und den Kreuzungsbereich Preuschwitzer und Fabrikstraße mit erheblichen Mitteln so gestaltet, dass eine An- und Auslieferung über diese Straßen erfolgen kann. Die neue Zuwegung ist nur notwendig geworden, weil Bombardier die Produktion auf seinem Werksgelände neu geordnet hat. Ich hätte mir daher eine Kostenbeteiligung durch das Unternehmen gewünscht.“ Der Alstom-Vorgänger habe die Brückenertüchtigung gefordert, erinnert sich auch Bürgervertreter Mike Hauschild. „Unterschwellig wurde die sonstige Infragestellung des Standortes gestreut. Die Stadträte stimmten der Maßnahme zu. Die Straße zur Brücke musste gleich mit ausgebaut werden. Über eine rege Nutzung der neuen Brücke durch Schwerlasttransporte ist mir seit deren Fertigstellung nichts bekannt.“