Schlesien war mit der Bahn spitze im Aufbruch
Die Laubaner Tachentuchindustrie sorgte dafür, dass sich die Welt die Nase putzen konnte. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Görlitz/Region. Vor einigen Jahren kam ich in Breslau mit Teilnehmern eines Deutschsprachkurses in deren Unterrichtspause ins Gespräch. Es gab eine völlig überraschende Erkenntnis. Über die Hälfte der männlichen Teilnehmer gab an, sie würden den Kurs belegen, um die Entwicklung der Eisenbahn in Niederschlesien zu verstehen.
In ihrer Kindheit in Polen wuchsen sie mit Lokomotiven auf, die aus der Reichsbahnzeit stammten, sie wussten, dass ihr eigener Ort erst aufblühte, als die Bahn das Land erschloss oder sie trafen sich in ihrer Jugend am alten Wasserturm, dessen architektonisch preußische Wurzel sich nicht leugnen ließ. Das alles endlich zu verstehen trieb sie dazu, nun auch alte Dokumente zu diesen Themen lesen zu können. Der eine mag den anderen mit in den Kurs gezogen haben, doch das Motiv hörte ich bei Begegnungen in Niederschlesien über die Jahre immer wieder. Die Eisenbahn scheint ein Schlüssel zu sein, das Deutsche in der Heimat verstehen zu wollen und eine Sympathie aufzubauen.
Erstmalig Kurator im Schlesischen Museum war Alexander Szalapski – hier beim Interview. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Unausgesprochen an dieser Arbeit wirkt nun auch das Schlesische Museum zu Görlitz, in dem am 16. September die Ausstellung „Niederschlesien im Aufbruch“ eröffnet wurde. Die Ausstellung erzählt über, aber nicht im eigentlichen Sinne von der Schlesischen Gebirgsbahn von Görlitz über Lauban (Luban) und Hirschberg (Jelenia Gora) nach Waldenburg (Walbrzych). Zwar wird der Strecke beleuchtet und es gibt Modelle der schweren E-Lokomotiven zu sehen, die in der Zwischenkriegszeit zu Beginn der Elektrifizierung nur im Voralpenland und eben auf den Schlesischen Gebirgsstrecken zum Einsatz kamen und Eisenbahnfreunde bis heute verzaubern, doch eigentlich geht es um die wirtschaftliche Entwicklung, die mit der Bahn erst einsetzte. In wohl keinem anderen Bevölkerungsteil dürften Namen wie Waldenburg-Dittersbach (Walbrzych-Podgorze II Dzietrzychow) oder Görlitz-Moys (Zgorzelec-Ujazd) noch heute so bekannt sein wie unter Eisenbahnnostalgikern.
Während in Görlitz mit Dampfmaschinen und Dampfturbinen weltweit geschätzte Grundlagen produziert wurden, wurde in der Taschentuchstadt Lauban zwischen 1850 und 1945 in etwa 35 Fabriken circa 90 Prozent aller in Deutschland produzierten Taschentücher hergestellt. Stolz warb die Stadt mit dem Slogan „Lauban putzt der Welt die Nase“. Im nahegelegenen Langenöls (Olszyna) entwickelte Robert Ruscheweyh den Ausziehtisch. Der Siegeszug beider Industrien wurde erst durch die Bahnstrecke möglich. Im nahen Greiffenberg (Gryfow Slaski) entstand eine Blaudruckfabrik, aus der sich später die Greiff-Werke für Berufs- und Arbeitskleidung entwickelten. Filigraner sind dagegen in tagelanger Handarbeit gefertigte Spitzen. Zu diesem Abschnitt heißt die Überschrift im Museum passend „Schlesien ist Spitze.“ Um Hirschberg blühte diese Textilkunst vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 30er Jahre, protegiert und gefördert von Fürstin Daisy von Press. Sie unterhielt in Hirschberg selbst mehrere Spitzenschulen, aus denen ein bisher nicht gezeigter Bestand nun im Schlesischen Museum präsentiert wird.
Und letztendlich führte der Eisenbahnbau Touristenmassen in die Sommerfrische des Riesengebirges. Was dem Münchner sein Garmisch-Partenkirchen war, war dem Berliner dank Direktverbindungen sein Krummhübel oder Schreiberhau. Am Endpunkt Waldenburg dominierte das Schwarze Gold Kohle wie an der Ruhr oder der Saar. Polnische und oberschlesische Wanderarbeiter entlehnten damals aus dem Namen Waldenburg eher phonetisch „Walbrzych“, was jedoch zugleich auf Kohlehalden anspielte.
Der Niederschlesier selbst und als Abnehmer das aufkommende Bürgertum in und außerhalb Deutschlands schwärmten hingegen vom „weißen Gold“ aus den hier zahlreiche vertretenen Porzellanfabriken, darunter auch die Firma Carl Tielsch in Altwasser (Stary Zdroj). Bis zum 14. April 2024 kann man die Ausstellung besuchen, die in Exkursionen jedoch immer wieder über die Lausitzer Neiße ausschwärmt, so zum Beispiel auch am 14. Oktober an den Zielotz Waldenburg. Am 29. September, 18.00 Uhr, sowie noch einmal am 13. Oktober spricht Andreas Löper von Siemens Energy insbesondere über die Entwicklung des Turbinenbaus in Görlitz.