„Schöner Samstag“ Antwort auf Umbruch
Auch der Görlitzer Lichterglanz – hier in der Straßburgpassage – soll künftig in den „Schönen Samstag“ integriert werden. Das könnte 2021 am 6. November sein. Foto: Matthias Wehnert
In der Krise entwickeln sich oft neue Ideen. Der Görlitzer Handel will nun mit einem „Schönen Samstag“ im Ringen gegen die Onlinekonkurrenz Kunden in die Innenstadt lotsen und neue Erlebnisse schaffen.
Görlitz/Niesky. „Am Samstag gehört Vati mir“, hieß der wohl bekannteste Slogan der Nachkriegszeit in der alten Bundesrepublik. Er war der Schlachtruf der Gewerkschaften für einen arbeitsfreien Sonnabend im gesellschaftlichen Wandel hin zu einer Gesellschaft von Konsum und Genuss im einsetzenden Wirtschaftswunder.
70 Jahre später steht der Wandel an seiner nächsten großen Schwelle. Der für die meisten freie Sonnabend ist längst Wirklichkeit und der Tag nun als Zeit für den Übergang vom Einkauf in die abendliche Freizeitgestaltung fest etabliert. Und dem stellen sich in der Zeit der Krise auch die Görlitzer Händler mit einer Flucht nach vorn. „Der Schöne Samstag“ ist nun das einigende Band einer künftigen Vermarktung der durch den Lockdown geschundenen Innenstadt und soll gleichzeitig einen Weg andeuten, wie es nach dem Verlust an Boden gegenüber dem Onlinehandel nach Corona einmal weitergehen könnte.
Was lange nicht möglich war, hat die Krise hervorgebracht. Mit dem Aktionsring für Görlitz, der Cityinitiative Görlitz, der IHK Görlitz und mit der Europastadt GmbH sowie der Görlitzer Kulturservice-GmbH haben sich unter Moderation des Oberbürgermeisters alle Akteure zusammengefunden, die Handel, Tourismus und Eventmehrwerte in der Innenstadt unter ihren Fittichen haben.
Am 12. März wurde nun eine noch vage Linie der Presse vorgestellt, die die Akteure gemeinsam verfolgen wollen. Ilona Markert, Geschäftsführerin der City-Initiative Görlitz e.V. fasst zusammen: „Einer für alle – alle für einen, heißt es nun und ich bin so stolz darauf, dass es uns jetzt gemeinsam gelungen ist ein Modell auszuarbeiten.“
Bereits am 23. Februar war bekannt geworden, dass der für den 21. März geplante verkaufsoffene Sonntag sowie die für das Frühjahr geplante Veranstaltung „Lichterglanz – Shopping in der Innenstadt“ coronabedingt verschoben werden.
Das bei der Presse-Präsentation am 12. März ausgehändigte Papier ziert eine stilisierte rote Blüte – quasi eine Sympathiemarke für ein Einkaufs- und Flaniererlebnis in der Innenstadt.
„Wir wissen noch nicht, ob dies das endgültige Erkennungszeichen des Schönen Samstags sein wird, aber in unseren Arbeitssitzungen haben wir uns auch schon etwas an das positive Bild gewöhnt“, sagt Oberbürgermeister Ursu auf die Frage des Niederschlesischen Kuriers, ob mit der Blüte nun eine Corporate-Design-Strategie als Wiedererkennungsmarke gefahren wird und z.B. Einkaufstaschen von Händlern am Sonnabend einheitlich in dieser Optik ausgegeben werden sollen.
Die Akteure präsentieren jedenfalls einleitend die These, dass gerade jetzt eine „einmalige Chance“ bestehe, und zwar die „Möglichkeit, Gewohnheiten zu ändern“. Eben weil sich das Freizeitverhalten gewandelt habe, sei die Idee entstanden, einheitliche Öffnungszeiten an den Aktionstagen „Der Schöne Samstag“ zu installieren, die alle mittragen. Von 10.00 bis 18.00 Uhr soll vom Bahnhof bis zur Steinstraße, inklusive Hospital- und Jakobstraße geöffnet sein – auch wenn ggf. andere Öffnungszeiträume dann kürzer ausfallen.
Schuldgefühl vs Gute Laune
Andrea Behr von der Europastadt GmbH betont, dass Ende April, Anfang Mai – sofern Corona dies dann erlaube – die ersten beiden Aktionstage avisiert seien. „Wir müssen aber Erfahrungen sammeln und können heute noch nicht sagen, welchen Rhythmus wir dafür finden“, ergänzt Oberbürgermeister Ursu.
Letztlich stellt eine so lange Öffnung Händler vor neue Probleme des Einsatzes ihrer Mitarbeiter. Frank Reimann, Schatzmeister des Aktionsrings erläutert, dass er im Falle eines Aktivierens eines Mitarbeiters bewirke, dass dieser anschließend mit einem neuen Kurzarbeitergeld von nur noch 60 Prozent ausgestattet sei – ein wahnsinniger Verlust. Und Reimann nennt als Musikalienhändler ein Beispiel für das derzeitige Dilemma. Ihn habe gerade jemand angerufen, der einen Satz Saiten für 10 Euro kaufen wollte. „Damit kann ich den Verkäufer nicht bezahlen. Der Umsatz reduziert hingegen sogar meinen möglichen Anspruch auf Überbrückungshilfe“, gibt er zu bedenken. Und genau hier liegt derzeit auch eine psychologische Hürde auf Seiten der Kunden. Diese können natürlich Eins und Eins zusammenzählen und wissen, dass sie mit einem gebuchten Shopping-Termin überdurchschnittlichen Aufwand beim Händler auslösen. Gefällt dem Kunden die angebotene Ware dann doch nicht, geht man quasi mit einem Schuldgefühl, die Misere im Handel weiter befeuert zu haben.
Ein Rezept für die gute Laune in der Innenstadt sollen nun mobile Gastronomieangebote am Schönen Samstag oder Geschenkaktionen sein. Am Postplatz soll ein Forum für Produktpräsentationen und IHK-Talkrunden Aufmerksamkeit und Verweildauer erzielen, Schließfächer wären ein Instrument Kunden einen besonderen Service zu bieten, führt Benedikt Hummel von der Kulturservice-GmbH aus. Auch Diner – oder wie er sagt „Jeeves“ – könnten die Kundschaft leiten.
Im Papier ist ferner von einer „Kooperation mit großen Anbietern wie beispielsweise Zalando und Google“ die Rede, doch was steckt hinter so einem Pakt mit den Teufeln der Onlinekonkurrenz?
Frank Reimann drückt es so aus: „Wir müssen uns in den Digitalisierungsprozess einbringen und auch deren Schnittstellen nutzen“. Es sei ein Abwägungsprozess, dass man damit auch Provisionen verlieren könnte. Es sei aber zu früh genaues mitzuteilen. „Wir bieten das, was wir haben. Einkaufserlebnisse an der Frischen Luft.“ Und die Kiste der Ideen sei groß. Etwa die Schaffung von Arbeitgebergutscheinen oder die Ausgabe von „Stadtgutscheinen“. Mit dem Wert des Gutscheines müsse man dann nicht einen speziellen Händler ansteuern, sondern kann den Wert auf viele Händler splitten, um „Kaufkraft in der Region zu binden.“
Niesky beobachtet interessiert
Das alles wird übrigens auch in Niesky mit Interesse verfolgt, bestätigt die neue Stadtmarketingbeauftragte von Niesky Franziska Arauner. Die Vorzeichen für eine Strategie im und nach dem Umbruch sind dort doppelt schwer. Neben der Nähe zu Görlitz und Bautzen leidet man hier daran, dass selbst der Kultur- und Werbeverein längst eingeschlafen ist. Oberbürgermeisterin Beate Hoffmann hatte nun für Donnerstagabend – also nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe – zu einem Treffen in der Jahnhalle eingeladen, mit dem die Händler neu zusammengeschmiedet werden sollten. Hier sollte auch Franziska Arauner als Koordinatorin dieses Anliegens den Händlern vorgestellt werden. Am Montag hatte Beate Hoffmann dem Niederschlesischen Kurier telefonisch mitgeteilt, dass man am 28. März – sofern möglich – den verkaufsoffenen Sonntag durchführen wolle