Senckenberg-Neubau krönt Xylanders Arbeit
V.l.n.r. beim ersten Spatenstich: Oberbürgermeister Octavian Ursu, Ministerpräsident Michael Kretschme sowie Senckenberg-Direktor in Görlitz Prof. Willi Xylander Foto: Matthias Wehnert
Am vergangenen Dienstag wurde der erste Spatenstich für den neuen Senckenberg-Gebäudekomplex in Sichtweite des Görlitzer Bahnhofes gesetzt. Während der Museumsstandort am Görlitzer Marienplatz erhalten bleibt, werden hier über 200 Wissenschaftler und Studenten ihren neuen Forschungsstandort und Platz für ihre Sammlungen finden.
Der 1. Spatenstich aus rückwärtiger Perspektive zum Titelbild von Seite 1 – hinten rechts der Bahnhof Foto: Till Scholtz-Knobloch
Görlitz. „Die Architektur ist nur ein Vorwand. Wichtig ist das Leben, wichtig ist der Mensch, dieses merkwürdige Wesen mit Seele und Gefühl, das nach Gerechtigkeit und Schönheit hungert“, zitierte Jaroslaw Gola-szewski vom Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement den legendären Architekten und Quasi-Erbauer der brasilianischen Hauptstadt Brasilia deutscher Herkunft Oscar Niemeyer und rief die politische Prominenz „an den Spaten bei diesem eisigen böhmischen Wind!“.
Der neue Standort fasst Wissenschaftsbereiche mit ihren Sammlungen und Laboren sowie die universitäre Lehre zusammen, die – je nach Zählweise – auf bislang sechs bis zehn Häuser über die Innenstadt verteilt sind. Görlitz’ Senckenberg-Direktor Prof. Willi Xylander sieht im „Senckenberg-Campus“ vor allem die Grundlage für einen besseren und schnelleren Austausch von 125 Mitarbeitern, 100 Studenten und Doktoranden, der zudem auch beste Voraussetzungen für Tagungen sowie öffentliche Veranstaltungen, die sich an die Bürger der Region wenden, bietet. Ein kaum für möglich gehaltener Traum finde nach vielen Jahren eine Umsetzung. Zur Erinnerung übergab Xylander Jaroslaw Golaszewski einen den heimischen Untergrund symbolisierenden Granitstein, der an manche Stolpersteine erinnern soll, die vor Baubeginn aus dem Wege zu räumen waren. Einen zweiten erhielt Ministerpräsident Michael Kretschmer, der in seinem Dresdner Büro an die heimatliche Scholle erinnert wird. „Gut Ding will Weile haben“, fasste dieser den langen Weg zum neuen Haus zusammen und erinnerte daran, dass eine Etappe auf dem langem Weg die Aufnahme in die Senckenberg-Gemeinschaft gewesen sei. „Die Arbeit Willi Xylanders wird heute gekrönt, zugleich ist der Bau ein Bekenntnis zur Region“ betonte er.
Zudem bezeichnete der Ministerpräsident die Arbeit der Görlitzer Forscher als „spektakulär“. Oberbürgermeister Octavian Ursu freut sich darüber, dass das Forschungs- und Sammlungsgebäude, das bis 2023 stehen soll, mit der Nähe zum Bahnhof und dem erweiterten Landratsamt viele Wege sehr kurz machen wird.
Willi Xylander erläuterte: „In dem Gebäude werden unter anderem die 6,5 Millionen wertvollen Sammlungsobjekte, die Mitarbeiterräume und Labore, die Bibliothek, der Vortragssaal und die akademischen Studiengänge untergebracht sein. Senckenberg ist dem Freistaat dankbar, dass die Baumaßnahme nun beginnt und wir 2024 das neue Gebäude in Nutzung nehmen können.“
Dabei hat das Vorhaben eine durchaus erstaunliche Karriere hinter sich, bedenkt man den öffentlichen Spardruck. Beim ersten Spatenstich war nun von einem Kostenvolumen von über 60 Mio. Euro die Rede – sicher auch ein Ausdruck dafür, welchen Stellenwert Umweltpolitik mittlerweile genießt.
Jaroslaw Golaszewski erinnerte daran, dass 2006 noch ein Standort an der Sattigstraße auf anderer Seite der Bahngleise ins Auge gefasst worden war, der deutlich kleiner war. Mit dem Umzug aller Funktionsbereiche an den neuen, 8.300 Quadratmeter umfassenden, Standort wird der derzeitige Komplex des Senckenberg-Museums am Marienplatz vollständig für Ausstellungen und Wissensvermittlung zur Verfügung stehen – sprich: Auch mehr Museum ist damit künftig möglich.
In einem ersten Schritt beginnen ab Herbst die Sanierungsarbeiten am historischen Speichergebäude, das in den neuen Gebäudekomplex des Senckenberg-Campus eingebunden wird. Parallel dazu werden ab Ende 2020 Tiefbauleistungen durchgeführt, die der Vorbereitung des Baugrubenaushubs an der Bahnhofsstraße dienen. Im Frühjahr 2021 soll dann mit der Errichtung der Neubauten A und B begonnen werden, die das Eckhaus an der Bahnhofstraße/Jakobstraße rückseitig umschließen und jeweils eine Front zur Straßenseite haben. Optisch wird dabei das Steckenpferd der Görlitzer Forscher aufgegriffen – die Bodenkunde. Die Schichtung der Backsteine wird die unterschiedlichen Bodenschichten symbolisieren.
Die Wurzeln des Senckenberg-Museums für Naturkunde Görlitz gehen auf das Jahr 1811 zurück, als sich die „Ornithologische Gesellschaft zu Görlitz“ gründete, aus der 1823 mit erweitertem Profil die „Naturforschende Gesellschaft zu Görlitz“ wurde.
Nach Auflösung der Gesellschaft wurde das Naturkundemuseum nach dem Zweiten Weltkrieg 1953 in die Liste der Museen des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR aufgenommen und damit ein staatliches Forschungsmuseum. Mit der Wiedervereinigung erhielt das Museum 1991 den Status eines Landesmuseums und ist seit 2009 ein Institut der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung als Teil der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz.
Die Senckenberg-Gesellschaft wurde 1817 gegründet und zählt mit 11 Standorten in Deutschland zu den wichtigsten Forschungseinrichtungen rund um die biologische Vielfalt.