Straßenbeiträge grenzen an Willkür
Die erst kürzlich grundhaft sanierte Jakobstraße in Görlitz. Nach Ansicht von Andreas Müller ist sie ein öffentliches Gut, für das die Anlieger nicht zur Kasse gebeten werden dürften.Foto: NSK
In der jüngsten Stadtratssitzung wurde unter anderem auch über eine Änderung der Straßenausbaubeitragssatzung debattiert. Andreas Müller, amtierender Ortsvorsteher von Kunnerwitz/Klein Neundorf, äußert sich dazu im Interview mit dem „Niederschlesischer Kurier“.
Die Fraktionen der CDU und der Bürger für Görlitz haben vorgeschlagen, zur Entlastung der Grundstückseigentümer die Ausbaubeiträge nur einmal pro Grundstück zu erheben. Ist das auch in Ihrem Sinne?
Andreas Müller: Wir müssen unterscheiden zwischen Erschließungs- und Ausbaubeiträgen. Natürlich müssen die Erschließungskosten – zum Beispiel für ein neues Wohngebiet – durch die Eigentümer finanziert werden. Ist aber einmal eine Straße da, sollte diese mindestens eine Generation halten. Man entlastet also die kommende Eigentümergeneration. Die Straßenbeleuchtung in unserem Ortsteil wurde 2015 erneuert. Wenn sie 40 Jahre hält, wird mich deren erneute Erneuerung nicht mehr betreffen.
Die Stadt Görlitz verweigert mit Blick auf ihre finanzielle Situation weitergehende Entlastungen. Ist der aktuelle Vorschlag nicht doch ein Zeichen dafür, wenigstens etwas für die Grundstückseigentümer zu tun?
Andreas Müller: Es ist immer leicht, Entscheidungen zu treffen, die einen selbst wohl kaum betreffen werden. Frühestens 2025 bis 2030 würde die Stadt damit auf Einnahmen verzichten. Alle Maßnahmen, die bis dahin stattfinden, werden durch die Grundstücksanlieger mitfinanziert. Zudem kann diese Änderung jederzeit zurückgenommen werden. Wir wissen, dass die Steuereinnahmen von Görlitz niedrig sind. Das dürfte zum Beispiel in Zittau nicht anders sein, dort wurde die Satzung im November 2016 dennoch abgeschafft. Ich finde es ungerecht, dass jede Stadt für sich entscheiden kann, an der Finanzierung der Straßenerneuerung die Anliegergrundstücke zu beteiligen oder nicht. Die konkrete finanzielle Situation einer Gemeinde verschulden aber nicht die Grundstückseigentümer, die in Görlitz bei der Grundsteuer schon überdurchschnittlich zur Kasse gebeten werden.
Aber ist es nicht auch ein Vorteil, an einer sanierten Straße zu wohnen oder eine neue Beleuchtung nutzen zu können?
Andreas Müller: Wer angeblich nun einen Vorteil genießt, muss ja vorher von Nachteilen betroffen gewesen sein. Das kann eine kaputte Straße sein. Diese ist aber öffentlich und von jedermann nutzbar. Im ländlichen Raum sind die Grundstücke mitunter groß, von nicht bebaubaren Wiesen umgeben. Die Ausbaukosten werden für alle Flächen umgelegt, wenn auch mit Abschlägen. Damit ist der Vorteilsbegriff ein abstrakter, nicht nutzbarer. Der Gebrauchswert der Grundstücke erhöht sich durch neue Lampen keineswegs. Für die Schwankungen der Grundstückspreise sind ganz andere Faktoren die Ursache.
Wie kann Ihrer Meinung nach eine Lösung aussehen?
Andreas Müller: Kommunale Straßen sind öffentlich, ihre Erneuerung muss daher durch Steuern finanziert werden. Aber von der großen Steuerreform hat man ja schon in Bonn geträumt. Stattdessen hat Sachsen ein Kommunalabgabengesetz, während in Baden-Württemberg Ausbaubeiträge abgeschafft wurden. In dem Rhythmus von rund 30 Jahren sind ja immer nur wenige Anlieger betroffen, nach dem Sturm der Entrüstung und Zahlung der Beiträge hat man lange Zeit Ruhe. Wenn man Glück hat, öffnet sich irgendwo ein Fördertopf und man muss gar nicht zahlen. Es bleibt deshalb aus meiner Sicht eine Ungerechtigkeit und grenzt an Willkür.
Dennoch besteht die Forderung der Stadt gegenüber, alle Einnahmemöglichkeiten auszuschöpfen, um den Haushalt der Kommune zu sanieren. Würde die Stadt nicht ihre Bonität aufs Spiel setzen, wenn sie auf die Einnahmen aus den Ausbaubeiträgen verzichtet?
Andreas Müller: Von der Stadt Görlitz über den Landtag bis hoch zum Bundestag hat die CDU ja seit langem durchgängig eine Mehrheit. Auf den Konten der Länder und des Bundes liegt genug Geld und der Staat kann nicht den Kommunen endlos Aufgaben zuordnen, ohne sie entsprechend finanziell auszustatten. Wenn ein Stadtrat nun sagt, „da können wir nichts machen“, wird es auch keinen Ruck in Deutschland geben können.
Gerichte haben wiederholt die Rechtmäßigkeit der Ausbaubeiträge bestätigt. Sind die höchstrichterlichen Entscheidungen nicht zu akzeptieren?
Andreas Müller: Ich bin kein Jurist. Ich kann nichts Anderes machen, als unter neuen Straßenlampen zu spazieren wie jeder andere Mensch auch. Man hat durch das Leisten der Abgabe keinerlei konkrete Vorteile gegenüber denen, die nicht bezahlt haben, weil sie da kein Grundstück besitzen. Jeder darf zum Beispiel auf der Jakobstraße Fahrrad fahren so viel er will. Deshalb bleibt die Abgabe aus meiner Sicht ungerecht. Wenn Verwaltungsrichter die gängige Praxis immer wieder bestätigen, verstoßen sie meiner Meinung nach gegen das Gebot, ihren Teil zur Gestaltung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland beizutragen. Wer in Berlin oder Hamburg wohnt, muss gar keine Straßenausbaubeiträge zahlen. Bei der Maut wird so ein Zauber gemacht, die Ungleichbehandlung der Anliegergrundstücke und aller sonstiger Nutznießer kommunaler Infrastruktur soll dagegen offenbar ewig Bestand haben.
Kommentare zum Artikel "Straßenbeiträge grenzen an Willkür"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Und wenn dann auch die besten Straßenlampen gebaut und bezahlt worden sind, kann die Stadt/Gemeinde jede 2. Lampe ausschalten, weil sie die Stromkosten senken will. Oder es werden einfach alle Lampen 2 Std. nach Einbruch der Dunkelheit ausgeschaltet. Auf Anfrage an die Stadt erhält man die Antwort: "Wir sind nicht verpflichtet die Straßenlampen Nachts anzulassen. Wir müssen nur für die Beleuchtung an Fußgängerüberwegen sorgen". Also hat man als Anlieger Geld ausgegeben für eine Leistung, die man nicht erhält.
Danke für das Interview. Hr. Müller hat in allen Punkten recht. Strassenbeiträge sind ein Ärgernis, eine Ungerechtigkeit und gehören verboten. Ein fast bundesweiter Flickenteppich - hier teilweise fünfstellige Einmalbeiträge, in der Nachbargemeinde wiederkehrende Beiträge, und in der nächsten Gemeinde wird es von allen aus dem Steueraufkommen bezahlt. Nur die letzte Variante ist fair, denn Strassen werden von allen genutzt und sollen von allen bezahlt werden. Zum Schluss: die Kommunen müssen verpflichtet werden, ihre Strassen fachgerecht instandzuhalten.