Strukturwandel: Sollte Horka „All in“ gehen?
Die Natur bei Horka würde mit dem Industriegebiet dieses Refugium verlieren. Foto: Regina Klubsch
Im Ringen um künftige Arbeitsplätze durch Ansiedlungspolitik mit Bahnanbindung hegen nicht allein Niesky, Rietschen oder das durch Autobahnnähe schon erfolgreiche Kodersdorf Ambitionen. Ein Industriegebiet im kleinen Horka könnte zwei Weichenstellungen bedeuten – Perspektive oder Verschuldung. Eine Bürgerinitiative bremst die hohe Erwartungshaltung und will die Entscheidung den Bürgern überlassen.
V. l.n.r. vor dem Areal an der Rothenburger Straße hinter Überführung der Magistrale mit Blick gen Horka: Jan Böhme, Ron Tschentscher, Uta Hüttich, Dana Tübecke. Jörg Späthe, Sylvio Krahl Foto: privat
Horka. Horkas Bürgermeister Christoph Biele hatte im September im Hinblick auf die Reaktivierung der Eisenbahnverbindung nach Rothenburg und vor allem natürlich die Lage unmittelbar an der Niederschlesischen Eisenbahnmagistrale im Niederschlesischen Kurier betont: „Wir sind als Horka ein Mobilitätshub! Wir können von Horka in alle Richtungen fahren und das ist strategisch eine wichtige Lage für uns. Wir sind also Dienstleister für Rothenburg, Görlitz, Weißwasser aber in Zukunft vielleicht auch von Kohlfurt (Wegliniec)“. Christoph Biele spielte damit letztlich den Trumpf aus, den seine Gemeinde im strukturschwachen Raum im Grunde logischerweise ausspielen kann.
Ein gewonnener Grand gibt beim Skat ordentlich Punkte, doch bei einer Niederlage droht dieser Wert eben dummerweise auch als doppeltes Minus. Zudem meinen eben auch andere Orte der Region im Besitz von vier alten Lergen zu sein und hoch Reizen zu können. Im Strukturwandel ist die Flucht nach vorn also angesagt – egal, wenn am Skattisch auf einmal das Pokerface regiert.
Einem, dem genau das Unbehagen bereitet ist Jan Böhme, der die Redaktion an das auserkorene vielleicht künftige Industriegebiet an der Rothenburger Straße führt. Auch wenn der Schutz des auf dem Titelbild zu sehenden Naturraums im weiteren Tagesverlauf nicht unerwähnt bleibt, wird das in den Gesprächen auch mit weiteren Mitgliedern der Bürgerinitiative eher eine Rolle am Rande spielen.
Diese könnte man wohl statt Bürgerinitiative gegen das Projekt des Industriegebietes eher als Bürgerinitiative zur Belebung basisdemokratischer Gepflogenheiten gegen undurchsichtige Strategien repräsentativer Demokratie anhand eines exemplarischen Beispiels bezeichnen – hier der Entscheidungsfindung zur Umsetzung des Industriegebietes. Jan Böhme erläutert: „Prinzipiell geht es uns darum, dass die Bürgerschaft von Horka gemeinschaftlich über dieses Projekt entscheidet.“
Die Bürgerinitiative sei im Mai 2024 gegründet worden – quasi mit Schwerpunktkritik am Gemeinderat. „Der Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplanes ’Industriegebiet am Güterbahnhof’ wurde am 15. Februar 2023 gefasst, aber nur mit einem kleinen Satz im Amtsblatt veröffentlicht, er wurde nachweislich in der Bekanntmachung der Homepage nicht veröffentlicht, was ortsüblich wäre. Es ist ja ein Beschluss nach dem Baugesetzbuch, der so etwas vorsieht“, begründet Böhme seine Verärgerung darüber, dass die Dimension des ganzen dem Ort nicht wirklich gewahr wurde.
„Demzufolge haben wir natürlich entsprechend später erst davon erfahren und haben uns dann zusammengeschlossen und gesagt, ja – das muss man begleiten“, so Böhme. Zwar seien zunächst auch Anwohner betroffener Flächen zuerst hellhörig geworden, doch „letztendlich geht es wirklich darum, was der gesamte Ort will und der Ort soll es auch – im Wissen um die wirklichen Folgen – in seiner Gesamtheit entscheiden. „Wenn die Entscheidung für dieses Gebiet aus der ganzen Einwohnerschaft getragen wird, dann tragen wir als Ort das auch mit“, sei in der Bürgerinitiative von Anfang an die Devise gewesen.
Formaljuristisch ausgebremst
Die von der Bürgerinitiative beklagten Versäumnisse in der Veröffentlichung sieht die Gemeinde seit Juni 2024 als geheilt an. Der Beschluss wurde nachträglich eben online gestellt, wobei die Bürgerinitiative bei einem Bürgerbegehren auch die notwendige Frist vom Juni 2024 aus dachte. Allerdings argumentiert der Gemeinrat anhand einer Berechnung der Frist vom Beschluss im Februar 2023 aus und kassierte damit ein beantragtes Bürgerbegehren, für das die Bürgerinitiative 450 Unterschriften vorlegte. Am 9. Oktober beschloss der Gemeinderat mit sieben von neun Stimmen, dass die am 29. August beim Bürgermeister vorgelegten Unterschriften die Voraussetzungen für das Bürgerbegehren formell nicht erfüllen würden. Derzeit läuft ein Widerspruch beim Kommunalaufsichtsamt über diesen Beschluss beziehungsweise die Frage, ob die Frist so bestimmt werden kann, wenn die Gemeinde einen Beschluss nach dem Baugesetzbuch nicht ortsüblich öffentlich gemacht hat. Das ganze ist sicher auch insofern beachtlich, da 450 Stimmen bei 1.644 Einwohnern schon erheblich sind.
Sylvio Krahl von der Bürgerinitiative, bei dem wir mittlerweile in erweiterter Runde beisammensitzen, gibt zu bedenken, dass man von Haustür zu Haustür gelaufen sei und – wie das dann so ist – meistens einen Haushaltsangehörigen angetroffen habe, der meist unterschrieb. Die Anzahl erreichter Haushalte könnte so womöglich gar eine Mehrheit für das Anliegen der Bürgerinitiative bedeuten, obwohl man vielleicht gar nicht an jeder Tür geklingelt habe beziehungsweise nicht immer jemand da war.
Die Panzer rollen schon
„Ein Bestreben des Gemeinderats, zusätzliche Einnahmen zu generieren in allen Ehren, aber das Wie und Was – erst recht bei Projekten dieser Größenordnung – kann nur die gesamte Gemeinde beziehungsweise deren Einwohnerschaft entscheiden“, betont Mitstreiter Jörg Späthe sein Unverständnis für schwaches Mitteilungsbedürfnis seitens der Gemeinde. Und: „Niemand aus dem Gemeinderat kann hier versprechen, wann beziehungsweise ob wir je Einnahmen in entsprechender Größe haben werden, da ein Gelingen von den Investoren abhängt, wie die sich aufstellen oder wie lang dann deren Standorttreue ist.“ Bürgermeister Christoph Biele habe das Projekt mit der Bemerkung umrissen, Horka spiele hier „Champions League“ mit und im Hinblick auf Eigenmittel der Gemeinde betont, diese gehe „All in“. „Genau das hat uns Initiatoren aufschrecken lassen. Außerdem stieß uns auf, dass der Bürgermeister selbst in Gemeinderatssitzungen zu jeder Frage um eine eventuelle Ansiedlung von Rüstungsindustrie nicht äußern wollte.“ Dieses große Fragezeichen spiegelt derzeit auch die Görlitzer Debatte um die Zukunft des Waggonbaus. Im Hinblick auf die Niederschlesische Eisenbahnmagistrale könnten sich Ängste durchaus als real erweisen, sind die immensen Investitionen in dieses hochmoderne Ost-West-Güterverkehrsband vielleicht nur vor dem Hintergrund ihrer militärischen Bedeutung verstehbar, die von der Vision einer Achse Shanghai-Rotterdam in der Vermarktung klug überlagert wird. „Wir wohnen hier direkt an der Bahntrasse und sehen ja, dass die Panzer anfangs am Tage rollten und dass mittlerweile alles auf die Nacht verlagert wurde, wenn man meint, keiner sehe das“, wirft Sylvio Krahl ein. Und weil Militärbewegungen in der Nacht auch andere Horkaer sähen, sei diese Angst bei der Unterschriftensammlung auch sehr deutlich geworden.
Horka will nun bis Ende 2025 160.000 Euro Eigenmittel für die Planung des Industriegebietes aufwenden und hat dabei Fördergelder in Höhe von 250.000 Euro sicher. Angesichts paralleler Flächenplanungen in Kodersdorf und Rietschen bestehe zudem die Frage, wie man im Ränkespiel der Politik insgesamt dastehe. Wer schmiegt sich am besten der Landespolitik an?
Die Angst Verlierer zu sein
Jan Böhme hat dabei kein gutes Gefühl: „Wenn verschiedene Gebiete in relativer Nähe miteinander konkurrieren oder parallel Planungen anschieben, werden ja nicht alle ihre planerischen Zielsetzungen erreichen. Bei einer besseren Abstimmung könnten wir viel mehr öffentliche Mittel insgesamt sparen – das ist ein Punkt.“ Verantwortung müsse man aber vor allem auch mit Blick auf das Leistungsvermögen einer kleinen Gemeinde zeigen, so Sylvio Krahl, der fragt: „Wie viel Gewinn muss man machen, damit man nur über die Schlüsselzuweisung kommt“ und beantwortet dies gleich selbst: „Man müsste viele Millionengewinne erzielen, um über die Schlüsselzuweisung von Horka zu kommen.“ Auch 160.000 Euro Eigenmittel nur bei der Planung könnten im schlimmsten Falle auch nur Folgelasten für eine Planungsbrache nach sich ziehen, weil nicht jedes Gewerbe- oder Industriegebiet florieren kann und dennoch Kosten verursacht. Auch angesichts derzeitiger Vorzeichen der wirtschaftlichen Entwicklung. Wenn es nicht laufen würde, dann wäre eine so kleine Gemeinde wie Horka dauerhaft erledigt, in die Auswärtige oft wegen ihrer Ruhe erst gezogen seien, ist man sich in der Runde sicher.