Tacheles: Fall Schlesinger belastet auch Görlitz
Am 5. Mai war Patricia Schlesinger in der Neuen Synagoge eine gefragte Autogrammgeberin. Foto: Matthias Wehnert
Die Stadt Görlitz und der Förderkreis Görlitzer Synagoge hatten sich im Trend der Zeit die Sache so schön ausgemalt. Das neue Format „Tacheles. Die Görlitzer Rede“ sollte am 5. Mai – und von nun an jährlich – quasi der Demokratieförderung dienen. Spätestens im Rückblick hat die gefeierte Premierenansprache Patricia Schlesingers vom Mai einen immensen Schatten geworfen.
Görlitz. Landauf, landab grummelt es, weil staatliche Institutionen und von der Öffentlichen Hand treu versorgte zivilgesellschaftliche Organisationen oder Vereine in der Krise nicht mehr das halten, was Jahrzehnte gepredigt wurde und weiter wird. Die Folge: Ein immer mehr solcher Predigten, die trotz Geldentwertung selbst natürlich ordentlich Kosten verursachen dürfen.
Dabei versprach die Einladung von Patricia Schlesinger zum 5. Mai in die Neue Görlitzer Synagoge – oder Kulturforum Görlitzer Synagoge, wie der Bau heute vermarktet wird – ein geradezu perfekt medial darstellbares Szenario. Schlesinger in ihrer Eigenschaft als Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) sowie Vorsitzende der ARD und damit Hüterin des beschworenen Qualitätsjournalismus, die zugleich noch Görlitzer Wurzeln vorzuweisen hat, in denen der Holocaust als Erfahrungshintergrund des Totalitarismus eine wesentliche Rolle spielt... Perfekter konnte man sich einen Erstaufschlag nicht vorstellen.
In den drei Monaten nach der Rede in Görlitz wurde dann mehr und mehr offenbar, dass die zwangsabgaben-rundfunkbeitragsfinanzierte Sendeanstalt RBB für Schlesinger ein perfekt funktionierendes Luxusversorgungssystem mit einem ausgeklügelten System von Bonuszahlungen bot. Die Aufarbeitung wird andauern, da wohl im System Teile und Herrsche Mitläufer auf oberster Ebene – selbst Nutznießer – freudig mitmachten. Stand 17. August ist die Abberufung Schlesingers von der RBB-Spitze und dem ARD-Vorsitz vermutlich erst eine Zwischenstation.
Auch bei anderen Vollversorgungsmodellen öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten ist nun Druck auf dem Kessel – die Bild stürzte sich bereits genüsslich auf die Technik-Direktorin des Bayerischen Rundfunks angesichts zweier Fahrer und zweier Wagen noch zu den 266.000 Euro Jahresgehalt.
Und so ist ein fast schon plutokratisches Vertrauen (wo Besitzende die eigentliche Macht ausüben) in Görlitz der Kardinalfehler. Die Welt ist voller Dissidenten und Freigeister, denen gar nicht erst der Zweifel anhaften kann, Triebfedern ihres Tuns seien auch Todsünden wie Hochmut und Gier.
Wo man sich im Glanz der Mächtigen und nicht mehr im stillen, aber ehrenvollen Licht der Tugenden Tapferkeit und Mäßigung aalen will, nimmt die Möglichkeit von Fehlannahmen bei Einladungen zu. Die Idee zu Tacheles rund um die Themen Toleranz, Demokratie und Freiheit hat Görlitz damit bereits eingeholt. Es ist nie eine gute Wahl sich im Grunde auch selbst zelebrieren zu wollen!
Patricia Schlesinger hatte am 5. Mai gesagt: „Wir waren nicht eingestellt auf Hetze und Lüge, Fakenews und Shitstorms. Niemand ahnte, welche niederen Instinkte das Internet als paralleles Universum entblößt.“ Sie beklagte ferner eine zunehmende Skepsis gegenüber dem Begriff der Wahrheit und auch zunehmende Medienkritik. Wahrheit preiszugeben hieße Freiheit preiszugeben.
Drei Monate später haben wir mittlerweile schon einen guten Einblick über niedere Instinkte, verdrängte Wahrheiten sowie vor allem eine grenzenlose Selbstgefälligkeit. Auch Demut scheint Schlesinger gefehlt zu haben. In ihr Amt als RBB-Intendantin war sie 2016 ja erst nach sechs Wahlgängen gekommen. Ihr Gegenkandidat damals hieß Theo Koll. Der Schatten, nun in jedem Folgejahr auf eine Premiere von „Tacheles. Die Görlitzer Rede“ im Jahr 2022 zu schauen, lässt sich nicht mehr wegwischen, weil der Hochmut 2022 nicht allein der Referentin innewohnte.