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Theater zieht couragierten Onlinebeitrag zur Bundestagswahl

Theater zieht couragierten Onlinebeitrag zur Bundestagswahl

Der Beginn der Erzählung im Novellenband von 1810. (Foto: H.-P.Haack, Leipzig)

Landkreis. Explizit anlässlich der Bundestagswahl hat das Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz eine Hörspielfassung von Heinrich von Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" online gestellt. Kleists Text erzählt von Recht und Unrecht, von Widerstand und Radikalisierung – Themen, die ihre Brisanz bis heute nicht verloren hätten, so das Theater.

Das führt weiter aus: „In einer Zeit gesellschaftlicher Debatten um Gerechtigkeit und staatliche Macht erhält diese Geschichte besondere Aktualität.“ Online gestellt wurde die Hörspielversion nach der Inszenierung von Schauspieldirektor Ingo Putz unter soundcloud.com sowie auch unter youtu.be.

„An den Ufern der Havel lebte um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein Rosshändler namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.“ Michael Kohlhaas muss zwei seiner edlen Pferde an einer Grenzstation zurücklassen. Von ihm werden Papiere verlangt, die er bei seinen bisherigen Reisen zwischen Brandenburg und Sachsen noch nie vorweisen musste.

Als er die Tiere auslösen will, findet er sie halb verhungert und zerschunden wieder. Kohlhaas fordert Schadensersatz. Doch dieser wird ihm wieder und wieder verwehrt. Zunehmend verengt sich sein Blick, eskaliert seine Gewaltbereitschaft. Was als Widerstand eines wehrlosen Bürgers auf der Suche nach Gerechtigkeit beginnt, endet in einem Blutbad.

Gibt es ein Recht auf Widerstand gegen einen übergriffigen Staat, wenn die Staatsgewalt den Gesellschaftsvertrag von seiner Seite aus bricht? Wo beginnt und wo endet dieses Recht? Ist Kohlhaas ein Rebell, der sich von der Obrigkeit nicht unterdrücken lässt? Oder ist seine schrittweise Radikalisierung ein Weg in einen Terror, der vor nichts mehr zurückschreckt? Ist er Freiheitskämpfer oder Terrorist? Held oder Mörder?

Kleists Novelle von 1808 fälle kein Urteil, „sondern irritiert uns bis zum Schluss mit wechselnden Perspektiven“, resümiert das Theater. In der Hörspielfassung spielen und sprechen sechs Schauspieler des Ensembles: Aleksandra Kienitz, Martha Pohla, Xenia Ytterstedt, Paul-Antoine Nörpel, Marc Schützenhofer und Philipp Scholz.

 

Im Niederschlesischen Kurier vom 22. Februar 2025 gibt es dazu folgenden Kommentar von Till Scholtz-Knobloch

Das Gerhart-Hauptmann-Theater hat mit der Onlinestellung der Theaternovelle „Michael Kohlhaas“ zur Bundestagswahl einen alle politischen Überzeugungen überschreitenden Coup gelandet. Es hat Gespür bewiesen, wie manche Debatten derzeit die Gesellschaft zerreißen, dass nicht profane Beschlüsse anstehen, sondern die Frage, wer wieso Macht ausüben darf und welche Grenzen es auch bei staatlicher Knebelung dennoch gibt. Indirekt heißt das also auch: Ein Teil des Problems ist eben auch ein zunehmend übergriffiger Staat.
Entgegen allen Beteuerungen ist Machthabern ein aufgeklärtes Volk stets nicht geheuer. Der Autor der Novelle, Heinrich von Kleist, wusste bereits: „Die zwei obersten Grundsätze: Was das Volk nicht weiß, macht das Volk nicht heiß. Was man dem Volk dreimal sagt, hält das Volk für wahr“ – oder unter damals napoleonischer Knute: „Die französische Journalistik ist die Kunst, das Volk glauben zu machen, was die Regierung für gut findet.“ Doch riecht das Volk den Braten, muss der Untertan selbst die letztgültigen Maßstäbe feinjustieren. Auch dazu wusste von Kleist Rat: „Erfülle Deine Pflicht; und dieser Satz enthält die Lehren aller Religionen.“ Oder hätte mir von Kleist jetzt vorgehalten: „In Eurem Kopf liegt Wissenschaft und Irrtum geknetet, innig, wie ein Teig, zusammen“? Der Mensch wird am 23. Februar jedenfalls mehr als je zuvor auf sein Gewissen zurückgeworfen. Oder mit von Kleist: „Und was dein erstes Gefühl dir antwortet, das tue.“

Redaktion / 21.02.2025

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