Theaterdebatte: Welche Rolle hat Görlitz?
Es sind die vielen, anderenorts längst untergegangenen Details aus der Geschichte im Stadtbild – wie hier in der Wielandstraße – die Görlitz so einzigartig machen. Foto: Till Scho
Der Kampf um eigenständige Theaterensembles, die Diskussion um die Tourismusabgabe oder die Angst um die Tram, nicht zu vergessen die Stadthalle oder Investitionen in die Schulsubstanz – zunehmend stellt sich die Frage: Welches Profil hat Görlitz eigentlich und wo ist das immer knapper werdende Geld in der Krise am sinnvollsten angelegt?
Görlitz. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemieentwicklung wird der Spielbetrieb an beiden Häusern des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau weiterhin bis 31. Mai 2021 ausgesetzt“, hieß es zuletzt in einer Pressemitteilung aus dem Theater. Doch die weitere Pandemieauszeit scheint harmlos gegenüber dem, was sich zusammenbraut, seit ruchbar geworden ist, was die Münchner Beraterfirma Actori in einem 323-seitigen Gutachten zur Finanzierung des Theaters im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien vorschlägt. Es geht um eine Fusion des Sorbischen Nationalensembles und der Neuen Lausitzer Philharmonie, die ihrerseits 1996 aus der Fusion der Lausitzer Philharmonie in Bautzen und dem Görlitzer Theaterorchester entstand. Parallel stünde das Aus des Görlitzer Musiktheater-Ensembles und des Balletts an – das Schauspiel in Zittau und Bautzen würde zusammengefasst werden. Der Kulturinteressierte müsste sich künftig vor Ort mit eingekauften Inszenierungen zufriedengeben und mit dem Status einer Zweigspielstätte von Bautzen.
Die politischen Aufschreie sind noch nicht gänzlich verhallt, auch wenn viele wussten, das Landrat Bernd Lange schon lange ungeliebte Maßnahmen in Sachen der schwierigen Finanzierung der Kultur anbahnen wollte.
Seine Amtszeit endet kommendes Jahr und zum Ende einer Amtszeit ist es ohnehin das Vorrecht eines Altgediehenen, mit seiner ganzen Erfahrung auch mal scheinbar Unmögliches zu denken. Wenn sein möglicher Nachfolger aus eigenen Parteireihen, der CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Stephan Meyer sagt: „Das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau ist ein wichtiger Baustein für den erfolgreichen Strukturwandel“, dann spricht daraus im Grunde auch die ganze Bandbreite, alle Optionen offen zu lassen. Es ist nicht falsch, jeder kann sich mit dem Satz identifizieren und dennoch lässt es (noch) alles zu.
CDU-Kreisvorsitzender Florian Oest hat sich bekannt und deutlich von Bernd Lange distanziert. Mit der Unterstützung des Theaters hat er zunächst Sympathiepunkte im Wahlkampf auf seiner Seite.
Mit Blick auf die Kommunalpolitik hält Oest damit auch Gleichschritt mit Motor Görlitz oder den Linken. So hatte der Vorsitzende der Linken-Kreistragfraktion Mirko Schultze, MdL, eine Arbeitsgruppe seiner Partei ins Leben gerufen, die für den Erhalt der Spiel- und Inszenierungsstandorte ringen möchte. Er betonte: „Wir verstehen nicht, wie die Auftraggeber im Rahmen der Beratungen eines sogenannten Lenkungsausschusses den ursprünglichen Auftrag des Kreistages, die Standorte und das Angebot zu sichern, so aus den Augen verlieren konnten.“
Doch mal Hand aufs Herz. Steht für den Großteil der Theaterbesucher nicht die Unterhaltung durch ein gutes Stück im Vordergrund? Geht es hier doch vielleicht eher um die geschundene Görlitzer Seele des Randdaseins, dem man unter anderem mit dem Renommee eines eigenes Ensembles trotzen möchte?
Der Tourist, der die wiederkehrenden Gesichter auf der Bühne weniger vor Augen hat, wird es vielleicht nicht merken. Eher spürt er Auswirkungen einer Tourismusabgabe, die im Stadtsäckel Abhilfe schaffen soll und vom Stadtrat am 29. April beschlossen wurde. Frank Großmann, Leiter der Görlitzer IHK-Geschäftsstelle kritisierte die „Bettensteuer“ für Touristen: „Ganz unabhängig davon, dass der Beschluss in eine Zeit fällt, in der die Tourismuswirtschaft vor außerordentlichen Herausforderungen steht, die Reisebranche keine belastbaren Prognosen aufstellen kann und will, und das Reiseverhalten im touristischen wie auch im geschäftlichen Bereich von großen Umbrüchen betroffen ist, führt jede zusätzliche Abgabe für ein Reiseziel unserer Meinung nach zu einem mindestens gefühlten Wettbewerbsnachteil“. Als Aufwandssteuer sei diese nicht zweckgebunden, das Geld fließe damit dem allgemeinen kommunalen Haushalt zu, bedeute eine einseitige Belastung der Beherbergungsbetriebe, die damit in keinem Verhältnis zu den ökonomischen Effekten für den Tourismus stehe.
Dreh- und Angelpunkt bleibt die Frage: Welchen Charakter hat die Stadt eigentlich? Das touristisch unschätzbare Stadtensemble vervollständigte sich in der Gründerzeit, als Görlitz die reichste Stadt des Deutschen Kaiserreiches war und größer als Darmstadt, Bonn, Münster, Freiburg, Bielefeld, Rostock, Regensburg, Osnabrück oder Cottbus!
Doch kann eine Infrastruktur, die in dieser Zeit ihre Wurzeln hat – sei es in kultureller Hinsicht oder in Sachen Verkehr (Straßenbahn) – auf allen Ebenen über alle Zeiten gerettet werden? (zur Straßenbahn siehe https://www.alles-lausitz.de/trillmich-geht-die-strassenbahn-goerlitz-mit-ihm.html)
Neben Baden-Baden und Wiesbaden war die Stadt vor über 100 Jahren schon das „Pensionopolis“ schlechthin, das vor allem die Reichen der Reichshauptstadt anlockte, die Görlitz mitunter auch als Durchgangsstation auf ihrem Weg in die Sommerfrische des Riesengebirges oder den einsetzenden Wintersport entdeckt hatten. Der Blick aus der Neißestadt auf den höchsten Berg Preußens, die Schneekoppe, verhieß die perfekte Mischung aus den Annehmlichkeiten einer prosperierenden Stadt mit Straßenbahn oder Stadthalle mit Musikfestspielen einerseits und der Aussicht auf die greifbar nahen Berge mit dem Hirschberger Tal der Schlösser als ersehntes Elysium andererseits.
Mit der Ausstellung Reiseziel Schlesien, die das Schlesische Museum vom 1. Mai 2010 bis 1. Mai 2011 zeigte, wurde diese Melange als Initialzündung für den neuzeitlichen Aufstieg der Stadt herausgearbeitet. So auch, dass ein wichtiger Ausgangspunkt hierfür der ehemalige Görlitzer Bahnhof in Berlin war. Von dort kommend wies das imposante Viadukt den Weg in Rübezahls Reich oder die mondänen Bäder der Grafschaft Glatz. Görlitz bildete Reisenden nun eine attraktive Zwischenstation, so wie heute Alpenurlauber auf ihrer Anreise Museen oder das Kulturleben Münchens erkunden und dort die Bühnen besuchen.
Die beiden Zusammenbrüche von 1918 und 1945 mit der plötzlichen Randlage kappten die alten Möglichkeiten. Noch 1987 hob der „Tourist-Stadtführer Görlitz“ aus dem VEB Tourist-Verlag Berlin, Leipzig, hervor, dass die Stadt als Pensionopolis von Beamten und Militärs Zentrum „fortschrittsfeindlicher Kreise und ihrer kleinbürgerlichen Anhänger (…) im Sinne eines wilhelminischen Großmachtchauvinismus“ gewesen sei. Als regionale Orientierung wird statt des Riesengebirges die hingegen eher bescheidene Einbindung in das Ostlausitzer Hügelland sowie der Status als Industriestadt mit umfangreichen Neubaukomplexen betont.
Der gesellschaftliche Wandel und auch das Bewusstsein für ökologische Folgen des Fernreisetourismus, jüngst auch die epidemiebedingte Angst vor Flugreisen, geben dem Urlaub im eigenen Land mehr und mehr Schub. Mit dem Berzdorfer See gibt es ein Gimmick, das die Verweildauer in der Stadt erhöhen kann, da Städtetouristen tendenziell weniger Übernachtungen generieren als Reisen in die Landschaft. Und da im Medienzeitalter Wünsche subtil auf den Leinwänden oder Displays geweckt werden, ist das Nebenprodukt des einzigartigen Stadtbildes mit allen Bauepochen „Görliwood“ auch ein wichtiger Schlüssel mal dorthin zu fahren, wo diese imposanten Bilder entstanden sind.
Mit der Mischung aus wiedererstarkendem Pensionopolis und Tourismus hat Görlitz anno 2021 vermutlich eher sein Alleinstellungsmerkmal als im Traum von der Renaissance der Industrie, die vielleicht der heutige Ausdruck kleinbürgerlicher Gedankenwelten aus der Retorte von vier Nachkriegsjahrzehnten ist. Das muss nicht heißen, dass man sich der Industrie verweigert. Letztlich kann auch eine weitgehend als ’klimaneutral’ propagierte Stadt das Profil schärfen ein neues Elysium an der Neisse zu schaffen, sofern dieses das Sahnehäubchen obendrauf und nicht das Zentrum einer ideologisierten Idee, nach der es derzeit eher riecht.
Die Politik steht vor der Frage, wie sie dieses historische Erbe bewahrt, eben weil die Stadt als solche Museum ist und keine Industriestadt. Das ist keine Schmach, auch ein Rothenburg ob der Tauber ringt heute nicht um die Wiedererlangung seiner Geltung im Mittelalter, sondern darum ein Sehnsuchtsort zu sein und zu bleiben.
Die Politik steht jedenfalls vor der Frage, ob sie lieber den schnellen Applaus einfangen will oder eine Diskussion zulässt, die bei Abstrichen breit gestreute Annehmlichkeiten über einen vielleicht längeren Zeitraum sichert. Vielleicht kühlt sich die Debatte noch etwas ab, so dass Landrat Bernd Lange nicht in einem Automatismus nur Unverständnis entgegengebracht wird.
Aber das ist ja nur eine Baustelle. Interessant wird auch werden, ob der Ministerpräsident in Sachen Stadthalle nach Corona noch Wort halten kann oder will. In jedem Fall muss sich jeder mental darauf einstellen, dass künftig weit weniger Wünsche erfüllbar sind. Jeder weiß es, nur die Politik tut sich schwer dies auch ehrlich zu sagen.
Kommentare zum Artikel "Theaterdebatte: Welche Rolle hat Görlitz?"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Lassen sie die Finger von unserem schönen Theater, das kann doch nicht wahr sein!!!
Das muß bleiben, sollen die Leute vollkommen verblöden, wo bleibt die Kunst und Kultur? Das Theater, war ein Aushängeschild für unsere Stadt..Wird denn hier alles mit Füßen getreten, das ist doch nicht zu fassen, die Stadt Görlitz muss doch in der Lage sein diese historische Kultur Stätte zu erhalten und zu unterhalten!!!! Wir haben keine Stadthalle mehr, nichts mehr, bekommt man hier überhaupt noch was hin,alles wird rausgezögert und jeder quatscht rein und gibt seinen Senf dazu und zu guterletzt kommt nichts dabei raus...also Hände weg vom Theater!!!!!!