Über eine Filmidee in die „Kleinstadt Ost“ Reichenbach
Jürgen Dettling im Gespräch mit Reichenbachs Bürgermeisterin Carina Dittrich. Text und Foto: Till Scholtz-Knobloch
Filmemacher Jürgen Dettling kam wegen eines Dokumentarfilms, der nun Premiere feierte, nach Reichenbach. Er blieb und freut sich nun wie ein Schneekönig, dass der Film Teil des hiesigen Neiße Filmfestivals wurde.
Großhennersdorf/Löbau/Reichenbach. Für Jürgen Dettling stellt sich die Sache kurios dar. „Als Ergebnis meiner Filmdokumentation ,Neulich in Deutschland’ bin ich aus dem Südosten der Republik – aus Südbaden – nach Reichenbach in der Oberlausitz umgesiedelt. Und jetzt läuft dieser Film beim Neiße Filmfestival.“ Wirklich damit gerechnet habe er damit nicht, freue sich aber nun wie ein Schneekönig.
„Der Film ist der Versuch, dieses Land und seine Menschen vielleicht ein Stückchen besser verstehen zu lernen“, blickt er auf die Motivation für den Schritt zurück, der ihm eine neue Heimat geschenkt hat. Mittlerweile kennt er die meisten Reichenbacher und die meisten kennen ihn, zumal mit Bürgermeisterin Carina Dittrich in vielen Projekten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entstanden ist.
Als Filmemacher habe er sich damals ohne Team-Schnickschnack – also Tontechniker, Beleuchter, Aufnahmeleiter etc. – mit seiner Kamera auf Besuchsreise begeben: In eine Kleinstadt Ost, nach Reichenbach, wo er dann sogar blieb und eine vergleichbare Kleinstadt West, in diesem Fall nach Seckach, der Partnerstadt von Reichenbach. „Na ja, wo man halt die Leute so trifft“, sagt er, „beim Friseur, auf dem Markt, bei der Orchesterprobe, am Angelteich, in der Kneipe oder auf dem Sportplatz.“
Der Leitfaden sei einfach gewesen, funktioniere aber überall: „Dinge wie: Wie gehts uns? Was macht uns froh, was unzufrieden? Wie sehen wir in unsere Zukunft? Wie wollen wir leben – und wie viel Einfluss können wir selbst auf die Gestaltung unserer Zukunft nehmen?“ Der Zeit geschuldet, sei am Ende auch auch noch ein Blick auf Corona Pflicht gewesen: „Hat uns diese Krise eher zusammengebracht oder auseinander?“
Stolz auf den Film, nicht jedoch auf die Heimat
Entstanden ist ein Vergleich, der natürlich sehr viel Raum für Diskussion bietet. Denn bei aller Warmherzigkeit legt auch Dettling die Brille manch unterstellter Annahmen nicht vollständig ab, wenn er zum Beispiel bekennt: „Und klar, Wessimann wollte schon auch wissen, woher eigentlich in der neuen Wahlheimat diese gruseligen Wahlergebnisse für die AfD herkommen.“ Spätestens hier seien Gespräche ums Eingemachte entstanden, die die repräsentative Demokratie, das Grundgesetz betreffen oder „die da oben“.
Da Dettling jedoch auf jeden zugehen kann, habe er den Umzug nicht bereut. Die Ost-West-Unterschiede seien letztlich auch nicht zementiert.
Dettling sagt: „Mit Stolz auf die Heimat kann ich nichts anfangen“, und legt damit möglicherweise einen Nachweis, dass man mit gleichen Haltungen nicht unbedingt das gleiche meinen muss. Letztlich stellt er fest: „Die Oberlausitzer, sagen sie selbst, sind recht stur. Kenn ich. Sind die Schwaben auch. Viele Menschen hier in dieser schönen Oberlausitz, heißt es, gehen zum Lachen in den Keller. Ist so. Sie treffen dort all die Schwaben, die aus demselben Grund da sind.“
Nun gut – gerade die Selbstpositionierung ist doch eigentlich ein Stück des Stolzes auf das, was man selbst als Heimat empfindet. Es scheint sich aber als Tabu auch bei Dettling so fest eingegraben zu haben, dass das Wort „Stolz“ bereits einen Abwehrreflex auslöst.
In jedem Fall habe er mit dem Film „Neulich in Deutschland“ versucht, dieses Land „von unten“ einzufangen. „Es wurde viel gequatscht, aber selten war Quatsch dabei. Ich habe imposante Menschen in und um Reichenbach kennenlernen dürfen, vom stillgelegten Bagger am Berzi bis in den Kuhstall. Vom Dorflädchen bis zum Stammtisch.“
Premiere beim Neiße-Filmfestival
Die Ton- und Bildqualität des Films sei nicht immer hochklassig. Das sei der Preis dafür gewesen, dass er den Menschen näher kommen durfte, als dies mit einem großem Team möglich gewesen wäre.
Der Film feierte mit Filmgespräch nun am Donnerstag in Löbau Uraufführung und wird im Rahmen des Neiße Filmfestivals ebenso noch am Samstag, 21. Mai, um 15.00 Uhr, im Großhennersdorfer Kunstbauerkino, Am Sportplatz 3, gezeigt. Das Festival selbst geht noch bis zum 22. Mai.
Im Schluckenauer Zipfel verblieben
Seine Premiere feiert dabei auch „Pan Müller – hier geblieben“ von Patrick Weißig. Der Film porträtiert den 1936 in Georgswalde (Jirikov, Tschechien) geborenen Müller, der nun den tschechischen Vornamen Jan trug. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er, im Gegensatz zu vielen anderen Deutschen, nicht aus dem Schluckenauer Zipfel vertrieben und lebte seitdem als tschechoslowakischer Staatsbürger. Die Dokumentation zeigt Müller in seiner Heimat, mit all seiner Liebe und seinem Interesse an Region und Menschen. Der Zittauer Filmemacher Patrick Weißig begleitete den Protagonisten im Sommer 2021 und führte Interviews über dessen Lebenslauf.
Die Projektidee wurde 2020 zum 17. Neiße Filmfestival mit dem Spezialpreis des Filmverbandes Sachsen ausgezeichnet. Gezeigt wird „Pan Müller – hier geblieben“ im Programm des Neiße Filmfestivals nach Erscheinen dieser Ausgabe noch am Sonntag, 22. Mai, um 15.00 Uhr, im Filmtheater Ebersbach in Anwesenheit Müllers. Im Vorprogramm ist der Kurzfilm „Nebe nad Varnsdorfem“ („Der Himmel über Warnsdorf“) von Pavel Göbl zu sehen.
Die feierliche Preisverleihung des Festivals findet am 21. Mai im Filmtheater Ebersbach statt. Prämiert werden dabei neben den besten Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen und den Publikumslieblingen auch die beste darstellerische Leistung, das beste Drehbuch und Szenenbild.
Außerdem wird ein Spezialpreis an einen Film vergeben, der sich dem Verständnis der kulturellen und ethnischen Unterschiede verschiedener Länder oder vorhandenen Gemeinsamkeiten widmet.