Ukraine, Russland, Neiße und die Bundeswehr unter Strom
Beim Friedensgebet über der Neiße Foto: Raphael Schmidt
Görlitz. Auf der Altstadtbrücke sind am 1. März Menschen unterwegs – friedlich, einige fröhlich. Die Neiße rauscht darunter, wenige Meter entfernt läuft das Neißewasser durch eine Turbine der Stadtwerke, erzeugt Strom. Einige hundert Kilometer östlich tobt in der Ukraine Krieg, über zwei Jahre sind es nun schon.
Gleich nach Ausbruch des Krieges kamen Flüchtlinge. Pfarrer Roland Elsner nahm einige von ihnen im Pfarrhaus auf, organisierte mit Gemeindemitgliedern Hilfstransporte, um Leid zu lindern. „Sechs Tage nach Ausbruch des Krieges haben wir uns mit Frau Komnacka getroffen, sowie mit den ersten Flüchtigen aus der Ukraine, weil wir alle ein großes Bedürfnis nach dem Gebet für Frieden hatten.“ Pfarrer Elsner lud Priester aus der Europastadt ein, auch orthodoxe – und beide Stadtoberhäupter. „Leider ist der 1. März zu einer traurigen Tradition geworden, denn bereits zum dritten Mal beten wir auf der Brücke, die Ost und West friedlich miteinander verbinden soll, für Frieden“.
Aus zwei Kartons verteilen Jugendliche Kerzen an die Menschen, die von beiden Seiten her auf die Brücke kommen. Unterhalb der Peterskirche entrollt ein Mann gelb-blaue Fahnen, die der Ukraine sowie der EU. Sie wehen auf der Brücke, als Pfarrer Roland Elsner die etwa 100 Teilnehmer begrüßt.
„Voriges Jahr habe ich gesagt: Eigentlich möchten wir uns im nächsten Jahr nicht hier am 1. März auf dieser Brücke treffen zu diesem Anlass. Leider ist es so, dass auch der heutige 1. März im Schatten der Ereignisse von Krieg und Unfrieden steht. Wir möchten an diesem Ort nichts auswerten, wir möchte bitten und beten um Frieden. Inzwischen ist nicht nur in der Ukraine Krieg, sondern im Nahen Osten, im Heiligen Land, in Palästina und mittlerweile haben wir Angst, dass sich Krieg in der ganzen Welt ausbreiten könnte“, sagt Roland Elsner genau an dem Tag, an dem die Online-Besprechung von Bundeswehroffizieren bekannt wurde, in der diese über Optionen einer aktiven deutschen Kriegsbeteiligung durch den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern sinnieren und so mit dem Feuer spielen. Wäre das Gedenken im Wissen um den Skandal, der erst Samstag aus den Sozialen Netzwerken in ratlose Redaktionsstuben überschwappte, anders verlaufen?
Oberbürgermeister Octavian Ursu betonte immerhin: „Niemand kann sich rausreden, dass Frieden nicht möglich ist. Wir stehen hier zusammen auf dieser symbolischen Brücke mitten in Europa und wir wünschen uns, dass solche Brücken auch an anderen Ländergrenzen möglich gemacht werden.“
Eine junge Frau aus dem polnischen Teil der Stadt tritt nach der Zeremonie an Pfarrer Elsner heran und bedankt sich auf Deutsch. „Ich bin zufällig hier vorbeigekommen, bin stehen- und dabeigeblieben. Es hat mich tief berührt, was ich soeben erlebt habe“, sagte sie.