’Unbezahlbarland’ statt Ganztagstestbetrieb
Ohne Voranmeldung sprach sich der Besuch durch den Niederschlesischen Kurier in Spree schnell herum und TETIS-Gegner posierten kurzentschlossen vor einem Haus mit einem Protesttransparent gegen die geplante Eisenbahn-Teststrecke. Foto: tsk
TETIS – das „Testzentrum für Eisenbahntechnik Sachsen“ in den Wäldern nördlich von Niesky soll ein Baustein sein, der Region den Braunkohleausstieg zu versüßen. Dagegen formiert sich Protest. Der Niederschlesische Kurier traf Gegner des Großprojekts.
Niesky/Spree. Wer das weltweit wohl führende Eisenbahn-Prüfcenter Wegberg-Wildenrath bei Mönchengladbach im gleichen Maßstab einer Karte betrachtet wie die potenziellen Tetis-Ausmaße nach der „Potentialstudie Schienenfahrzeugtestzentrum Lausitz“ (im Internet unter medienservice.sachsen.de/medien/news/ 237777) kann nur einen Schreck bekommen. Entweder in stolzer Ehrfurcht vor dem Megaprojekt, das Wegberger Dimensionen sprengt, oder mit einem Kloß im Hals. Letztere Reaktion hat eine mittlerweile gut vernetzte Bürgerinitiative gegen das Großprojekt entstehen lassen.
„Einen gehörigen Teil dazu hat beigetragen, dass man doch eigentlich versprach, die Öffentlichkeit frühzeitig einzubeziehen. Aber es wirkt alles ausgesprochen vorgezeichnet“, sagt Matthias Küttner aus Neuhof, dem Teil Nieskys nördlich der Niederschlesischen Eisenbahnmagistrale, der auch durch Pläne für das Gewerbegebiet Nord oder Rangierfahrten auf Gleis 3 und 4 in seiner Idylle bedroht ist. „Neuhof, das ist jenseits der Bahn schon noch ein anderes Stück Niesky“, sagt der hier wohnhafte Pflegedienstleiter am Emmaus-Hospiz. Er möchte mit Mitstreiter Merten Menzel die Dimensionen veranschaulichen, um die es hier geht. Wir fahren also über Spreehammer nach Spree. Unterwegs finden sich Protestplakate am Wegesrand von Straßen, die in diesem Landstrich Fremde kaum zu Gesicht bekommen. „Dieser ganze ’Naturraum Nieskyer Norden’ droht verloren zu gehen“, betont Menzel bei einem Zwischenstopp. Das Copyright für diesen Namen für den Raum zwischen Niederspreer Teich-gebiet und dem Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft gebe er gerne ab, es sei ja gewissermaßen das einigende Band. Denn begrenzt wäre die Teststrecke – auch ohne dass die genaue Trasse feststeht – durch Neuhof, Zeche Moholz, Kosel, Stannewisch, Spree, Hähnichen, Spreehammer, Uhsmannsdorf und Nie-derhorka, während Trebus und Sandschänke umfahren würde.
Trotz der Ausmaße und einer Gesamtinvestition von 269 Mio. Euro, von denen 227 Mio. der Steuerzahler selbst tragen müsste, sollen hier nur 144 Arbeitsplätze einen täglich 24-stündigen Dauerbetrieb bedingen. In Spree angekommen, haben sich bereits erboste Dorfbewohner auf dem Parkplatz des Schlesischen Hofes zusammengefunden. Darunter auch Segel- und Surflehrerin Katharina Michalk aus Uhsmannsdorf-Spreehammer. In diesem Job viel in den Urlaubsgebieten der Welt unterwegs, ist für sie dieses Land ihr persönliches ’Unbezahlbarland’, wie sich der Landkreis Görlitz werbewirksam gerne selbst anpreist – u.a. eben mit „Freiräume(n) zum Entfalten“ oder der „Nähe zur Familie“. Doch genau das sieht die Wassersportlehrerin in Gefahr. Ihre Heimat sei Rückzugspunkt gerade „weil es ruhig ist und weil ich hier in der Natur bin.“
Michael Kauschmann aus Spree betont: „Wir regen uns auf, dass in Brasilien der Regenwald abgeholzt wird und sollen hier nun 45 Hektar oder 150.000 Quadratmeter Wald abholzen?“. Das Schicksal des ’Naturraums Nieskyer Norden’ scheint zu sein, dass sowohl Brandenburg als auch Sachsen Kompensationen für den Kohleausstieg erhalten sollen. „Da Cottbus den Zuschlag für das ICE-Bahninstandhaltungswerk bekam, waren Mühlberg und Herzberg in Brandenburg im Grunde aus dem Rennen. Die Entscheidung für Niesky ist eine rein politische!“, resümiert Merten Menzel. Ein anderer sinniert: „Käme der Landrat nicht aus Rothenburg, dann wäre Hähnichen nicht nördliche, sondern wohl die südliche Begrenzung der Strecke, die nun uns die Natur nehmen wird.“
„Und wie es bei Großprojekten häufig ist, würde ein Großteil der vergleichsweise wenigen Arbeitsplätze eher Pendlern zufallen und nicht den Leuten von hier helfen“, ergänzt Merten Menzel, der in TETIS eine Möglichkeit für die Politik sieht, mit viel Fördergeld ein PR-trächtigen Leistungsnachweis zu erbringen, statt die Frage zu beantworten, was den Alteingesessenen hier wirklich helfe.
Der aus Trebus stammende Matthias Zscheile – Professor an der Hochschule Rosenheim für Industrielle Holzbe- und -verarbeitung – möchte ganz auf die Tradition setzen, die Wachsmann sowie Christoph & Unmack Niesky hinterlassen hat. „Das war weltweit die erste Firma im Fertigteilholzbau und 1925 Weltmarktführer, es wurde in die ganze Welt exportiert und Niesky hatte im Bereich Holz 4.000 Arbeitsplätze! Darüber ist der Waggonbau und auch der Stahlbau entstanden.“
Aus dieser Verpflichtung heraus „haben wir doch im August 2019 die Holzbau Niesky GmbH gegründet“ – quasi als Vorstufe für das derzeit diskutierte Holzbau-Zentrum. Doch für dieses gibt es in Sachsen parallele Bewerber (der NSK berichtete letzte Woche).
„Das wäre ein wirkliches Alternativprojekt für zunächst 20 bis 40, später vielleicht 200 bis 400 Arbeitskräfte. Der Holzbau in Modulen ist total im Kommen, allein wegen des Klimawandels. Und: Damit machen wir nichts kaputt!“, so Prof. Zscheile, der von allen Seiten zustimmendes Nicken erntet.
Auch Corona hat die Bürgerbeteiligung bislang gehemmt, „doch wenn man Eins und Eins zusammenzählt, kann man erkennen, dass im Hintergrund die wirklichen Fäden scheinbar gezogen sind“, befürchtet Merten Menzel.
Dabei würden sich nun etliche Fragen stellen, z.B. „welcher Flächenbedarf neben den 20 km Gleislänge für Zubringergleise, Nebenanlagen, Betriebsgebäude, Werk- und Lagerhallen, Diagnoseeinrichtungen, oberflächenversiegelte Straßen und Plätze, Umgehungen bei vollständiger 5G-Infrastruktur etc.“ als Folgelasten eintreten. Er stelle nicht infrage, dass Arbeitsplätze geschaffen würden. Solche seinen auch nötig, um Rückwanderung oder Neuansiedlung zu ermöglichen. Infrage stehe jedoch ein fairer Interessenausgleich, ehe Raumordnungsverfahren vollendete Tatsachen schaffen.
Die im November von einigen Stadträten und der Bürgerinitiative gewollte Gründung einer Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Politik sowie von Betroffenen ist bis jetzt nicht initiiert worden. Hingegen gab es den großen Aufschlag der politischen Handlungsträger.
Damit steht quasi wieder ein Großprojekt unter Verdacht, der Politik gehe es mit ihrem Kommunikationsmanagement eher um eine Legitimationsinszenierung.
Kommentare zum Artikel "’Unbezahlbarland’ statt Ganztagstestbetrieb"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Für den Testring sollte man mal die Strecken der Kohlebahnen untersuchen!!!!!