Versöhnung ohne eine neue Oberschicht
Seine Welt sind die echten Orte. Michael Majerski spürt dem Wesen einer Region an ihren authentischen Plätzen nach – hier im Oberschlesischen Industriegebiet. Foto: Michael Majerski
Der Stettiner Filmemacher Michael Majerski hat dieser Tage Görlitz zu seinem Ausgangspunkt für Recherchen zu einem neuen Dokumentarfilm gemacht. Es könnte sein letztes großes Filmprojekt werden und einen Bogen von seiner Wehmut zu neuen Antworten für die Nutzung historischer Bausubstanz werden.
Michael Majerski hat den Spätsommer genutzt, um von Görlitz aus sein nächstes Filmprojekt anzugehen.
Foto: Till Scholtz-Knobloch
Görlitz. Eigentlich sollte Michael Majerksi im März im Sportmuseum von Krummhübel (Karpacz) im Riesengebirge als Referent zu Gast sein. Angesichts der Coronakrise fiel der Termin des 1948 in Bad Altheide (Polanica-Zdroj) geborenen Filmemachers mit polnischem Vater und deutscher Mutter aus. Lange Jahre lehrte er an der Universität in Berlin und verbrachte als Quasi-Aussteiger viele Jahre in der Karibik. Doch sein Leben zog ihn zurück nach Berlin und zuletzt nach Stettin (Szczecin). Denn seine Filme sind ihm nicht profaner Broterwerb, sondern ein Abarbeiten der deutsch-polnischen Nachbarschaft und der eigenen Biografie. Seinen letzten, 2018 erschienenen Film über die Deutschen und Polen in Hinterpommern sowie Stettin hat der 1978 nach einem Studium an der Filmhochschule in Lodsch (Lodz) emigrierte Majerski im Zeichen von Corona im März im Internet hochgeladen und den Link unter Freunden verschickt. „Ich hoffe, dass er sich stark verbreitet. Derzeit gibt es ja keine Möglichkeit für Aufführungen und so habe ich mir gesagt, auf diese Weise kann ich die Leute doch noch erreichen. Zeit daheim haben jetzt ja ganz viel“, meinte er damals im Telefonat mit dem Niederschlesischen Kurier.
Seine mit vielen Preisen ausgezeichneten, abendfüllenden Filme reflektieren die Nachkriegsgeschichte in den Polen angeschlossenen ehemaligen deutschen Ostgebieten aus subjektiver Perspektive von Menschen, die auf beiden Seiten der Grenze leben. Und ganz dicht von dieser entfernt lebt er nach vielen Jahren in Deutschland nun am Stadtrand von Stettin: „Bei mir vor der Haustür merke ich kaum, dass ich in einer Großstadt bin. Hinter meinem Haus ist gleich der Wald.“
Mit seiner in Berlin leben den Tochter kann er nach coronabedingter Trennung mittlerweile wieder viel Zeit verbringen und mit ihr wieder über die Vergangenheit, über die verlorene und gewonnene Heimat und all die Geschichten, die er von seinen Eltern nicht erfahren hat, reden. „Meine Eltern haben mir nicht auf Fragen geantwortet, sie sagten immer: Nun lass es mal, es ist vorbei, jetzt ist hier Polen!“.
Diese Haltung kann er gut verstehen, sie war einst auch seine Haltung. „Ich bin in Schlesien aufgewachsen und ganz bewusst weggegangen. Nach vielen Jahren habe ich mich auf meine Vergangenheit besonnen. Meine Eltern leben nicht mehr und ich kann ihnen nun keine Fragen mehr stellen. Deswegen dachte ich, dass ich Filme über Menschen mache, die mich selber interessieren. So, als ob die Leute vor der Kamera meine Eltern wären“. Aus diesem Bedürfnis sind „Das Land meiner Mutter“ (2005), „Oberschlesien. Streuselkuchen von zu Hause“ (2010) oder seine neueste Produktion „Es war einmal Pommern“ (2018) entstanden. Diese und weitere Filme habe er zunächst einmal für sich selbst gedacht, so Majerski. „Es ist jedoch eine normale Situation, denn man macht entweder Handwerk fürs kommerzielle Fernsehen oder man macht Filme als Künstler. Filme machen ist mein Beruf und die letzten drei Filme sind eigentlich meine drei Filme, die ohne Auftrag entstanden sind. Im Mittelpunkt dieser künstlerischen Dokumente steht das Bemühen mehr voneinander zu wissen. „Aus Ruinen lässt sich etwas aufbauen, aber was ist mit den Menschen? Polen aus Zentralpolen und weiter östlich, aber auch Ukrainer wurden angesiedelt, wo die Deutschen vertrieben wurden. Polen wissen bis heute nur sehr wenig von der Geschichte ihrer Region, da ja niemand da war, der sie hätte erzählen können“, sagt er.
Fragen nach dem Einst und Jetzt stellte Majerski in seinem letzten Film über Pommern unter anderem dem 2015 verstorbenen Rudolf von Thadden, dessen Vater Gründer des Evangelischen Kirchentags war, Lisaweta von Zitzewitz die neben polnischen Zeitzeugen, Historikern, Künstlern und Pommern zu den zahlreichen Gesprächspartnern gehören.
Doch der Film ist keineswegs pessimistisch. „Meine Filme sind eine künstlerische Antwort auf nicht immer einfache Fragen zur Nachkriegsgeschichte, aber auch zur Zukunft der Regionen entlang und östlich der Oder. Es geht im Allgemeinen darum, eine Diskussion zu Themen über die Aktualität der Weltkriegsfolgen auf Regionen, in denen die Bevölkerung ausgetauscht ist, anzuregen. Es ist ein Dialog der Ängste aber nicht der Hoffnungslosigkeit.“
Und so wagt sich Majerski nun endlich auch an seine Heimat Niederschlesien heran, was von Görlitz aus natürlich am ergiebigsten ist. Er trifft sich mit Architekten, die sich überlegen, wie man die polnische Bevölkerung mit der historischen Substanz versöhnt und sich bei dieser Neuschöpfung auch mal ganz bewusst von der Geschichte löst. „Ich habe zum Beispiel erlebt, dass ein Hotelinvestor mir berichtete, dass die polnischen Neubewohner, die im sanierten Schlosshotel arbeiten und aus dem Dorf kommen, auf ihrem Weg zur Arbeit aber über die Felder von hinten ins Schloss gehen. In ihrer ostpolnischen Heimat war es verpönt, sich dem dort russischen Herrn unterzuordnen. Diese Haltung haben die Menschen in die neue Heimat mitgebracht.“
Ohnehin könnte man nicht weiter den mittlerweile ausufernden Bestand an zu Hotels sanierten Schlössern erweitern. Neue Nutzungen müssen her. Und so kommen wir ins Gespräch übe Patrick J. Deneens viel beachtetes Buch „Warum der Liberalismus gescheitert ist“. Deneen beklagt darin die Entstehung einer neuen Aristokratie junger gebildeter Menschen, die wie einst Menschen im Tagebau als „Rohmaterial aus aller Welt rekrutiert werden, um ortfern als neue Oberschicht das Kulturleben aus Sicht einer globalisierten Welt unters Volk zu bringen. Und die nie die Bedürfnisse der Region verstehen, in die sie verpflanzt wurden. Es ist das große noch unentdeckte Thema des Unverständnisses zwischen Stadt und Land, das sich in Niederschlesien durch die Geschichte noch verstärkt.
„Das könnte tatsächlich eine interessantes Leitmotiv sein, weil ich hochintelligente Architekten aus Polen, den Niederlanden und den USA gefunden habe, die genau dies beleuchten und eben fragen, wie man Bausubstanz mit wirklich von der einheimischen Bevölkerung akzeptierten und benötigten Lösungen ausstatten kann.“
In seinen Filmen lässt er die Gesprächspartner in ihrer Sprache antworten, alles ist jeweils in der anderen Sprache untertitelt. „Das ist für mich die Grundlage des gegenseitigen Verstehens“, sagt er.
Hochgeladen hat er seinen letzten Film über Pommern im Netz unter vimeo.com/ user14636580/videos. Dort finden sich auch weitere Filme von ihm.