Vieles im Chaos ist nun durchsichtig geworden
Daniel Arnold bei einem Dokumentarfilmdreh am „Ende der Welt“ auf einer Aleuten-Inseln weit im Westen des US-Bundesstaates Alaska. Foto: privat
Einst hat der Görlitzer Daniel Arnold als Kameramann und Cutter für ZDF, 3sat oder den MDR gearbeitet. Doch unter Corona kam die Privatinsolvenz. Mit einem Filmprojekt will er nun Ordnung in das Chaos der Zeit bringen und spiegelt dies am Beispiel der Sehnsucht Auswanderung.
Görlitz/Asuncion. Eigentlich könne er ein Projekt wie einen Dokumentarfilm gar nicht alleine stemmen. Die umfassenden Recherchen oder die Jagd nach Fördergeldern wären zu aufwendig, zumal er ja auch rechtlich gar keine Fremdaufträge mehr annehmen dürfe. Was bleibt ist die Neugier: „Ich muss offen sein, zweifeln können aber auch interpretieren dürfen. Man spricht mit Leuten und spürt: ’Das habe ich nicht gewusst und jetzt bringt mich das Schicksal hierher’. Umgekehrt bekommt man die Gegenfrage: ’Was machst du hier’?“ Er nehme es wie sein Vorbild, der russische Filmemacher Andrej Arsenjewitsch Tarkowski, der mit einer fast statischen Bildsprache und oft ohne konkreten Handlungsablauf Stimmungsgemälde aufbaute. „Man muss aber vor Ort sein und den Geist des Ortes spüren.“ Daniel Arnold fliegt Ende Oktober für einen Monat nach Paraguay. „Ich werde das Land aber nicht bereisen, sondern ich versuche einen Ort zu finden, wo es mir gefällt. Und dann lerne ich dort Leute in einer Kettenreaktion kennen.“
Gerade diese Nichtvorbereitung habe ihn auch in guten Zeiten, als er noch teures Equipment mit sich führte, zu ganz vielen Dingen geführt. Der technische Fortschritt mache aber heute auch mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln einem Mittellosen möglich, gute Ergebnisse zu erzielen. „Ich war mal in Hollywood, habe mich bei Paramount und CNN beworben und bin am Sunset Boulevard und in Melrose umhergewandert, um zu gucken, was ich dort machen kann.“ Ein ungarischer Kurzfilm habe ihn damals animiert, genau diesem fast zwangsläufigen Scheitern nachzuspüren. „Du spürst diesen Glamour, aber dann guckst du genau hin, siehst die armen Leute und dann holst du dir eine Fünf-Minuten-Terrine, weil du selbst am finanziellen Limit dort bist. Ich hatte noch drei Monate, bin letztlich rausgetrampt.“ So sei er zufällig in einer Kleinstadt in Utah gelandet, wo er mehrere Wochen gelebt und gearbeitet habe – wenn auch nicht im Filmgeschäft.
Marginale Besiedlung und kein öffentliches Leben auf einem Außenposten der Aleuten in Alaska Foto: Daniel Arnold
Auch Alaska zog Daniel Arnold magisch an. „Es gibt ohne Rückflugticket gestrandete Leute aus aller Welt, die denken, sie könnten ein paar Wochen aufs Schiff gehen und 50.000 Dollar machen.“ 1.300 Kilometer abseits der einzigen Großstadt Alaskas Anchorage habe er auf der Inselkette der Aleuten – „Mir blieb nichts anderes übrig“ – filmisch die Infrastruktur dokumentiert. „Am Ende fehlten mir aber ein Aufhänger und Konflikt für einen Film“. Das ist heute ganz anders. Konflikte im Übermaß!
Raus aus der Unterbelastung in Görlitz
Er hänge mittlerweile in einer Dauerschleife der Verzweiflung, weil Inspiration und Möglichkeiten weit auseinanderklaffen. Görlitz sei für ihn Ort seiner ‚Unterbelastung‘. „Ich bin aber stark darin, mich mental auf Dinge vorzubereiten. Man geht schwanger mit Inhalten und versucht diese zu ordnen. Und irgendwann geht eine Tür auf und man sagt: Zack, das ist die Chance! So etwas fängt häufig mit einer Reise an und einem gewissen Wegdrücken der Probleme hier. Ich mache mich frei davon, versuche meine Absichten zu finanzieren. Innerhalb eines halben Jahres ist dann der Flug bezahlt, weil ich dann wirklich eisern spare.“ Die Frage sei dann lediglich, ob seine Frau mit den Kindern mal alleine klarkommt oder die Oma mit einspringen muss. Er habe für seine Recherchen eine Auswanderungshelferin in Paraguays Hauptstadt Asuncion gefunden, mit der er regelmäßig über das Wetter, Mietwagen, Kreditkarte etc. spricht. Die Idee, dem Thema Auswanderern nach Paraguay nachzuspüren, hat wieder einen inneren Antrieb. „In erster Linie ist es ein Rausnehmen aus der derzeitigen Situation hier in Europa nach Corona“, sagt er und ergänzt: „Ja, es ist eine Flucht“, auch er selbst habe Auswanderungsgedanken.
Über die Gefahr in Trägheit mitzuschwimmen
„Wir haben verzweifelt Länder gesucht, die wir anpeilen können. Dann bekam ich einen Tipp, dass es ein schweizerisch-österreichisches Pärchen gibt, die in Paraguay eine Siedlung gegründet haben – El paraiso verde (die grüne Erde). Das hat mich fasziniert, so bin ich auch auf andere Paraguay-Auswanderungskanäle gestoßen.“
Als ganz häufiges Motiv nehme er immer wieder etwas wahr, das auch ihn umtreibt: Den Gedanken, sich aus einem sich selbst zerstörenden Europa abzumelden. „Wir haben in den letzten beiden Jahren gesehen, wie sich vieles zum Negativen geändert hat, man könnte aber auch sagen, dass nun alles viel durchsichtiger geworden ist. Viele schon lange angelegte Probleme haben wir zuvor einfach nicht gespürt, weil wir alle so gehirngewaschen sind: Es funktioniert ja und man kann einfach so mitschwimmen und so lange man sich an die gesellschaftlichen Regeln hält kann man Karriere machen.“
Der Zusammenbruch ist von jetzt auf sofort da!
Daniel Arnold betont, er komme „noch“ klar, stehe aber vor einem Gefühlsdilemma. „Es ist ja noch okay. Es ist noch kein Krieg. Man kann noch Geld ziehen. Es gab noch keinen großen Stromausfall. Die Infrastruktur funktioniert ja noch. Man kann noch einkaufen gehen.“ Aber die Angst vor dem Zusammenbruch ist da, einen Zusammenbruch, den manche südamerikanische Staaten schon mehrfach erlebt haben. Dieser komme nie schleichend, sondern von heute auf morgen sind die Banken zu und der freundliche Polizist nebenan hat eben – anders als andere – eine Waffe und verschafft nur seiner Familie damit auf einmal Vorrang. Wieso dann aber Paraguay? „Das weiß ich nicht. Genau das kann ich nur im Gespräch erfahren.“
Die Freiheit Abhängigkeit selbst auszusuchen
„Paraguay bietet sich in Wahrheit derzeit auch gar nicht an. In Paraguay gibt es so 10.000 deutsche Auswanderer – manch einer pendelt auch. Die meisten leben aber in deutschen Kommunen. Und ich frage mich eben. Wie soll das funktionieren? Ich bin nicht geschaffen für eine Kommune, weil ich meine Freiheit brauche und keine Rechenschaft ablegen will. Die Gemeinschaft verlangt ja auch etwas von einem. Und ‚genau‘ diese Vor- und Nachteile muss ich rausfinden. Momentan überwiegen die Nachteile. In der Fremde spüre ich: Man vermisst sich. Man vermisst schon nach ein paar Wochen die Heimat. Man vermisst die deutsche Sprache. Wenn man ständig englisch reden muss und die eigene Sprache über Wochen nicht spricht, dann führt man Selbstgespräche.“ Genau deswegen suche er Kontakt zu Deutschen, um herauszufinden, wie wichtig ihm ist, mit Deutschen unter sich zu sein oder ob er doch zur Erkenntnis kommt ein eigenes Ding abseits einer deutschen Kolonie durchzuziehen.
Die Wiederkehr der Idee vom Selbstexperiment
Aber wie steht es um den Mut zu einem solchen Schritt auch jenseits der 50? „Ich war eigentlich immer derjenige, der sehr viel Übermut hatte“, meint er und erinnert sich daran, dass er mit 18 Jahren bei der Wende mit „100 Mark in der Tasche“ in den Süden gefahren ist. „So etwas würde ich heute nie mehr machen“ – mit Familie habe man eine ganz andere Verantwortung. „Bevor ich meine Frau kennengelernt habe, hatte ich die Idee an die Grenze von Kanada und den USA zu gehen. Ich wollte bei Seattle ‚Inselhüpfen‘ betreiben und dabei dokumentieren, wie ich dort eine Frau suche“. Quasi die elegante Art einer Einwanderung. Doch die Vorzeichen seien heute ganz andere: „Es wird von heute auf morgen die Katastrophe kommen: Blackout, Banken zu, keine Lebensmittel, die Leute sind auf einmal in Panik. Ich bin gut in der Geschichte drin, sehe viele Parallelen wie eine Groko, die kurz vor Hitler regierte.“
Werde er in Paraguay fündig, könne er sich vorstellen ein halbes oder ein Jahr probezuwohnen und dabei die Angst vor der Katastrophe in Europa wegzuschieben. Doch Zweifel bleiben: „Du kannst oft nicht wirklich, bevor die Katastrophe eingetreten ist – dabei sagen viele Auswanderungshelfer: ‚Kommt jetzt oder nie‘.“ Beim Probieren gäbe es eben auch die vielen Gescheiterten. „Klima, Regenzeit, Straßen, in denen man so im Schlamm feststeckt, so dass man gar nicht ankommt, überall werden Sachen verbrannt, der Nachbar fackelt die Reifen ab, Mückenplage, Dengue-Fieber, Luftfeuchtigkeit. Im Januar seien tagelang 42 Grad gemessen worden „und es kühlte abends nicht ab“.
Der richtige Moment für die Kamera
Andererseits: Erst durch Corona sei er in prekäre Jobs gekommen. „Ich hatte früher viel mehr intellektuelle Gespräche. Auch deswegen gebe ich mir jetzt einen Ruck und wenn ich vor Ort bin weiß ich urplötzlich wieder ganz genau, wann ich die Kamera rauszunehmen habe. Ich habe im Gefühl, dass ich wieder einen Ort finde, wo ich begeistert bin und allen Zweifeln wieder entfliehen kann.“ Er habe in seinem Leben am meisten erreicht, wenn er einfach probiert habe. „Ich plane gewissermaßen einen einmonatigen Türöffner.“