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Vom Niedergang eines Bekenntnis’

Vom Niedergang eines Bekenntnis’

Fans der „Lok Leipzig-Zone Görlitz Schlesien“ beim Aufhängen ihres Banners beim Spiel in Bautzen in dieser Saison.Foto: Till Scholtz-Knoblch

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Richard Urban hat dieser Tage mit seiner Ehefrau den Schlesischen Christkindelmarkt – hier an der Eisbahn – besucht. Sein Bekenntnis zu Schlesien führt ihn und andere immer wieder hierher.

Foto: Till Scholtz-Knobloch

Gerd Münzberg vom Bürgerforum Oberlausitz hat eine Diskussion angestoßen. Mit seinem Vorschlag, den Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien auf den Namen Oberlausitz zu verkürzen, belebt er eine alte Debatte neu und löst manche Emotion damit aus.

Görlitz. Darum, dass der Name „Oberlausitz-Niederschlesien“ etwas aufgebläht daherkommt, geht es Gerd Münzberg eigentlich nicht. Immerhin gibt es ja auch unter den sächsischen Kulturräumen mit „Elbtal-Sächsische Schweiz-Osterzgebirge“ eine deutlich sperrigere Namenskonstruktion. Gegenüber dem Niederschlesischen Kurier betont Gerd Münzberg, der Umstand, dass Görlitz 1815-1945 zu Schlesien gehört habe, habe dessen eigentliche Oberlausitzer Identität nie wirklich überlagert. So sei das Preußische Markgrafentum Oberlausitz innerhalb des preußischen Schlesiens erst 1939 per Gesetz aufgehoben worden.

Richard Urban aus Nakel (Naklo) hingegen nimmt häufig die Fahrt aus seiner fast 300 Kilometer östlich von Görlitz gelegenen schlesischen Heimat auf sich, nur um von Zeit zu Zeit „ein Stück Schlesien in Deutschland“ zu erleben. „Ich habe wieder den ganzen Bus mit Leuten vollbekommen, die das genauso spüren wie ich“, sagt er beim diesjährigen Schlesischen Christkindelmarkt, den er alljährlich treu ansteuert und bei dessen Vermarktung mitunter auch bereits das Adjektiv „Schlesisch“ verloren zu gehen droht. Neben seinem Bus aus Nakel haben zahlreiche Orte in Oberschlesien mit starker deutscher Bevölkerung es ihm nachgetan, zu Hunderten bevölkern auch sie dieser Tage die Görlitzer Altstadt. Der Weihnachtsmarkt in Görlitz ist für sie die erstbeste Gelegenheit, sich nach traditionell deutscher Art und zugleich mit vielen vertrauten schlesischen Akzenten auf Weihnachten einzustimmen.

Die Zahlen der Touristen, ob Deutsche aus Polen wie Richard Urban oder vertriebene Schlesier aus dem gesamten Bundesgebiet machen einen wesentlichen Bestandteil bei der Vermarktung der Stadt aus, hebt Alfred Theisen hervor, der in der Brüderstraße mit seiner Schlesischen Schatztruhe seit den frühen 90er Jahren diese Gefühle zur Region Schlesien auch mit Fahnen, Landkarten und ähnlichen Schlesiendevotionalien bedient und auch die Oberlausitz in seinem Laden dabei nicht vergisst. Schlesien, das sei ein „Alleinstellungsmerkmal von Görlitz in der Bundesrepublik“, so Theisen.

„Wenn ich im Zug vom Westen kommend hinter Dresden die Durchsage höre ‚erste Station im Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien‘ pocht mir das Herz vor Freude, dass meine Heimat noch lebt“, sagt Richard Urban, der am 12. November 1989 quasi Weltgeschichte geschrieben hatte. Bei der Versöhnungsmesse mit Helmut Kohl und dessen polnischen Amtskollegen Tadeusz Mazowiecki hatte er im niederschlesischen Kreisau (Krzyzowa) das Transparent „Helmut, Du bist auch unser Kanzler“ entrollt, das die Essays der Weltpresse beschäftigte und das er übrigens von einem befreundeten Polen hatte anfertigen lassen. Er begreift die Debatte nicht. „Sind die Leute so satt, dass sie einen Teil ihrer Identität über den Haufen werfen müssen?“, fragt er sich. „Heute reden doch alle über multiple Identitäten. Man kann Europäer, Deutscher und Hesse sein, wieso also nicht zugleich Oberlausitzer und Schlesier?“, fragt er sich mit dem selben Feuereifer, der ihn schon 1989 umtrieb.
Doch bei Gerd Münzbergs Vorschlag geht es nicht um den Verkehrsverbund, die Marketing-Gesellschaft oder den Abfallverband, die sich ebenfalls den Doppelnamen Oberlausitz-Niederschlesien leisten, sondern erst einmal nur um die Benennung des Kulturraums, der nach der Wende zunächst als Quasi-Zweckverband zur Weiterfinanzierung der Theater- und Orchesterlandschaft installiert wurde. Prof. Matthias Theodor Vogt, der damals mit der Umsetzung des Kulturraumgesetzes betraut gewesen war, habe seinerzeit nur den Namen Oberlausitz für den östlichsten Kulturraum im Freistaat gewollt, in den Beratungszimmern des Landtages habe man dies dann jedoch in wenigen Minuten gekippt, erinnert sich Gerd Münzberg. Der Wunsch nach Umbenennung des Kulturraums läge zunächst einmal daran, dass der sächsische Landtag Anfang des Jahres über die Kulturräume berät und damit eine Gelegenheit für eine Umbenennung bestehe. „Gelegenheit“, das klingt durchaus nach Umbenennungswünschen auch für andere Doppelnamen Oberlausitz-Niederschlesien – zu gegebener Zeit.

Überhaupt die Zeit. Als sich am 1. März 1990 eine Initiativgruppe Niederschlesien in Görlitz bildete, war die politische Landeszugehörigkeit der Region in einem künftig vereinten Deutschland noch völlig offen. „Jahrzehntelang war die Problematik von der SED tabuisiert worden, nun tauchten auch im nach dem Zweiten Weltkrieg deutsch gebliebenen Teil Schlesiens regionale Forderungen auf“, schrieb der Historiker Michael Richter in seinem Standardwerk „Die Bildung des Freistaates Sachsen. Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90“. Während der Name Pommerns, einer ebenfalls weitgehend verlorenen Ostprovinz Preußens, im Landesnamen Mecklenburg-Vorpommern fortlebt, scheiterte um Görlitz, Niesky, Rothenburg und Weißwasser der Versuch, mit dem Landesnamen auf Schlesien aufmerksam zu machen. Der spätere Niederschlesische Oberlausitzkreis federte das Bedürfnis zumindest leicht ab, besteht aber eben auch nicht mehr.
Der fehlende Zugang zu Schlesien ist über die Generationen ein schleichender Prozess. In Görlitz finden natürlich die gleichen Schulbücher wie im übrigen Freistaat Verwendung. Kinder lernen, welche Berge die höchsten im Erzgebirge sind oder dass der Feldberg im Schwarzwald die höchste Erhebung in den deutschen Mittelgebirgen ist. Das nahe Ausflugsziel Schneekoppe, die höchste Erhebung Schlesiens und des einstigen Preußens, hingegen fällt in den Geografie-Schulbüchern der Oberschule nicht einmal als Name.

Gerd Münzberg betont im Hinblick auf die Bezüge zum verlorenen Osten gegenüber dem Niederschlesischen Kurier, dass er selbst sudetendeutscher Herkunft sei, eine Benennung solle jedoch nicht dazu dienen, Vertriebene zufriedenzustellen. Im Kern steht also die Frage, ob die Stadt Görlitz und ihr Hinterland nur eine oberlausitzische oder eine oberlausitzische und zugleich niederschlesische Identität haben kann. Oder wäre es eher ein Paradoxon, wenn ein Teil der Stadt in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien liegt, am Westufer Niederschlesien als Region jedoch nicht existieren soll?
Aber die Frage kann man natürlich auch andersherum formulieren. Gerd Münzberg sagt: „Meine Freunde in Zittau dürfen den Oberlausitzer Kurier lesen, ich muss den Niederschlesischen Kurier lesen. Dazu habe ich mich bereits einmal an den Verlag gewandt“. Auch 2018 erhalten Sie als Leser in Görlitz, Niesky oder Rothenburg übrigens weiterhin den Niederschlesischen Kurier.
Und auch der schlesische Dialekt bleibt ja eigentlich. Oder doch nicht? Das einst gemeinsame Schlesisch-Lausitzische Dialektgebiet, das Sprachwissenschaftler seit jeher als vom obersächsischen Sprachgebiet gesondert betrachtet haben, taucht in einer Übersicht der „sächsischen“ Dialekte bei einem Projekt des Instituts für Sächsische Kultur und Sprache mit der TU Dresden nun verkürzt als „Lausitzisch“ auf.

Till Scholtz-Knobloch / 15.12.2017

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Kommentare zum Artikel "Vom Niedergang eines Bekenntnis’"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Jan Serbin schrieb am

    Wo bitte hat denn Görlitz eine "jahrhundertealte schlesische Geschichte"? Zwischen 1815 und 1945 gehörte es gerade einmal 130 Jahre lang zu Schlesien bzw. Niederschlesien – und auch während dieser Zeit zur "Preußischen Oberlausitz", während es eine "Schlesische Oberlausitz" nie gab und auch nie geben wird.

  2. Johannes Grummich schrieb am

    Wenn man die Begriffe "Niederschlesien" bzw. "Schlesische Oberlausitz", sowie weitere schlesische Begriffe tilgt, würde sicherlich der Tourismus in Görlitz darunter leiden.
    Diese Formulierungen sind historisch nicht zu beanstanden, auch wenn die DDR mit allen Mitteln dies unterbinden wollte. Gleiches erfolgte auch mit den Begriffen "Pommern" und "Vorpommern" und heute ist Vorpommern ein Teil des Namens des nordöstlichsten deutschen Bundeslandes!

  3. Wolfgang Knoblich schrieb am



    Zum Artikel „Vom Niedergang eines Bekenntnis' „

    Wenn man über die A 4 von Westen kommend Richtung Breslau fährt, so grüßt den Autofahrer hinter Bautzen an der Autobahn das Schild „Niederschlesien“ und einem, dessen familiären Wurzeln in Schlesien liegen, wird dann ganz warm ums Herz. Kurz darauf gelangt man nach einigen Kilometern nach Görlitz, dieser wunderbaren alten Stadt, mit ihrer jahrhundertealten schlesischen Geschichte. Wenn man sich dann in diese Stadt fallen lässt und am täglichen Leben Teilhabe hat, den vertrauten Dialekt wieder hört, den Vater und Mutter auch nach der Vertreibung aus Schlesien in ihrem erzwungen neuen Zuhause im Westen sprachen, dann weiß man, hier bin ich eigentlich zuhause, hier in diesem Restzipfel von Schlesien in Deutschland. Und dann muss man einen Bericht lesen über einen Herrn Münzberg, der das „bissl“ Schlesien, was wir noch in Deutschland haben, auch noch vertreiben will. Leute wie Münzberg betreiben das Geschäft der Mielkes und Ulbrichts, die in der DDR von den nach 1945 in den Westen vertriebenen Schlesiern nur von Umsiedlern sprachen und ihnen ihr „Schlesisch sein“ auszutreiben suchten. Ähnlich wie eine heutige Staatsministerin aus Hamburg mit türkischen Wurzeln behauptet, dass „eine deutsche Identität jenseits der Sprache schlicht nicht zu identifizieren sei“, so hält es dieser Herr mit den Schlesiern und deren Nachkommen in „seiner“ Oberlausitz. Nun könnte man das was dieser Herr von sich gibt einfach nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen und ihn mit seinem sonstigen Treiben gewähren lassen, wenn er Kleinbrücken über die Neiße als Oberlausitzer Brücke benennen will, oder neue Oberlausitzer Trachten und Fahnen erfindet. Es gibt jedoch andere Umtriebe, die gefährlicher sind, so z.B. wenn das „Schlesische“ aus der Touristikwerbung für die hiesige Region zurückgefahren wird, oder wenn man tatsächlich überlegte, das Denkmalamt als Behörde in Görlitz für diese Stadt aus Kostengründen zu schließen und den Denkmalschutz für Görlitz der übergeordneten Behörde in Dresden zu überlassen. Wenn Siemens und Bombardier hier die Tore schließen, dann bleibt nicht mehr viel, mit dem die Stadt Görlitz oder die Gegend wirtschaftlich reüssieren kann. Dann wird man nochmal dankbar sein, wenn man mit historischen Bauten und schlesischer Geschichte Touristen anlocken und Arbeitsplätze generieren kann. Ansonsten bliebe nicht mehr viel, als sich z.B. um die Umbenennung des Berzdorfer Sees in Görlitzer Meer zu zanken. Noch ein letztes zum Thema Schlesien: Als Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 auf einer Kundgebung in Görlitz sprach, wurden den Berichten zufolge mehr schlesische Fahnen geschwenkt als schwarz-rot-goldene, und der Direktor des schlesischen Museums zu Görlitz, Herr Bauer, wird zitiert mit den Worten: „Nie war Görlitz schlesischer als in diesen Jahren“.

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