Wahlzettel, Denkzettel und lange Kandidatenlisten
Während Freie Wähler in der Bundes- oder Landespolitik oft als profilarm wahrgenommen werden, können sie in der Fläche mit Ortsnähe werben. Die hohe Bandbreite an Meinungen bleibt. Foto: FW
Landkreis Görlitz. Nachdem in der vergangenen Ausgabe des Niederschlesischen Kuriers der „Politische Kampf gegen die Uhr“ nicht im Landtag oder im Görlitzer Kreistag vertretener Wahlbündnisse anhand vom „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“, vom „Bündnis Oberlausitz/Freie Sachsen“, der FDP sowie – nur bezüglich des Görlitzer Stadtrates ’Motor Görlitz’ – erläutert wurde, sind weitere politische Mitbewerber ebenso in ihren Startlöchern und haben die Redaktion oft mit langen Listen ihrer Kandidaten versorgt.
So haben auch die Freien Wähler etwa ihre Kandidaten für die Kreistagswahl am 9. Juni bereits gewählt. Im Norden des Landkreises Görlitz bilden im Wahlkreis 1 der Oberbürgermeister von Weißwasser Torsten Pötzsch, im Wahlkreis 2 der Nieskyer Versicherungskaufmann Frank Mrusek und im Wahlkreis 3 der Schöpstaler Diplomingenieur Roland Maiwald den Kopf der Liste. Alle Mitglieder der aktuellen Kreistagsfraktion treten wieder an. Auf den Vorschlagslisten finden sich jedoch neue Bewerber, so unter anderem die Oberbürgermeisterin von Niesky Kathrin Uhlemann. Mit den im Görlitzer Stadtrat vertretenen Bürgern für Görlitz (BfG), die ebenfalls Mitglied im Kreisverband sind, treten somit 70 Kandidaten zur Kreistagswahl über die Freien Wähler an.
BfG setzen auf Persönlichkeit
Doch bleiben wir noch bei der Görlitzer Stadtratswahl und den BfG. Denn neben 14 Kandidaten, die für den Kreistag antreten, sind 21 Kandidaten für den Stadtrat im Rennen, die im Wichernhaus gewählt wurden. Das Bündnis betont: „Generell freuen wir uns, in den letzten zwei Jahren, aber insbesondere auch in den zurückliegenden Wochen, Persönlichkeiten als Mitglieder und Kandidaten begrüßen zu können, die in Görlitz als Persönlichkeiten und für ihr außergewöhnliches gesellschaftliches Engagement bekannt sind. So sind beispielsweise Dr. Hans-Christian Gottschalk und Mike Thomas (vorher SPD), bekannte Mitglieder unserer Stadtratsfraktion, Mitglieder unserer Wählervereinigung geworden, oder auch Julia Schlüter (Rabryka) und Sebastian Kubasch (ehemals Sachgebeitsleiter Jugend und Soziales, jetzt Sachbearbeiter für Prävention der Polizeidirektion), die ebenso wie unsere neuen Mitglieder Petra Habedank (AWO) und Eva Metzker (noch Jugendamt Landkreis) viel Knowhow im Bereich Familie, Jugend und Soziales einbringen.“ Prominente Neueintritte – jedoch ohne Kandidatur – sind Markus Bauer (ehemals Schlesisches Museum) oder Dr. Michael Schlitt (Stiftiungsdirektor Mariental) und Hans-Peter Struppe. Für die Kreistagsliste stehen Dr. Michael Wieler und Yvonne Reich ganz oben, beim Stadtrat Yvonne Reich vor Karsten Günther-Töpert und Hans-Christian Gottschalk.
Auch die Linke sieht sich im Wahljahr 2024 gerüstet. Sie wählten im Kreis Görlitz ihre letzten Kandidaten für die Kommunal- und Landtagswahlen. Für den Kreistag werden 28 Menschen kandidieren, von altbekannten Gesichtern, wie Mirko Schultze, Katrin Cordts oder Heike Krahl über neue Gesichter wie Elisa Hempel im Wahlkreis 3. „Damit hat der Kreisverband sein Ziel erreicht, jeden seiner Wahlkreise für den Kreistag mit mindestens drei Personen zu besetzen“, so die Partei, die en passant auch mitteilt, wer für die Landtagswahl antritt. Hier sind Antonia Mertsching aus Weißwasser für den Wahlkreis 57 (Görlitz 1) und Johanna-Marie Stiller aus Görlitz für den Wahlkreis 58 (Görlitz 2) aufgestellt. Aber auch ein Kreiswahlprogramm wurde verabschiedet.
Auswirkungen der Ampel?
Während die SPD wie die AfD kürzlich bereits im Blatt vorgestellt wurden, hat im konservativen Spektrum der größte Kontrahent der Letztgenannten im Gut am See in Tauchritz nun ebenfalls wichtige Weichen gestellt. Die Angst vor einem Denkzettel wegen der Ampel im Bund sitzt hier fühlbar tief. Abzulesen daran, dass Kreisvorsitzender Florian Oest, der selbst für den Kreistag kandidiert, betonte: „Die Wahlen am 9. Juni 2024 sind kein Denkzettel für die Bundesregierung.“
Woher kommt das Geld?
Unter den Kandidaten sind auch elf aktive Bürgermeister zu finden, darunter der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu oder der Horkaer Bürgermeister Christoph Biehle. Er betont etwa: „Für die Sicherung der Krankenhausstandorte benötigen wir eine ausreichende finanzielle Ausstattung, die derzeit insbesondere durch eine Ausweitung der Sozialgesetzgebung des Bundes nicht gegeben ist. Das bedeutet: die Bundesregierung hat unserem Landkreis genauso wie den Städten und Gemeinden zusätzliche Aufgaben und Verpflichtungen in den Bereichen Gesundheit, Soziales oder Asylsuchende übertragen, ohne dass es gleichzeitig einen adäquaten finanziellen Ausgleich für diese Mehrbelastungen gibt. Dadurch ist unsere Region nicht mehr in der Lage, die Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung in einem ausreichenden Maße zu erfüllen.“ Oder: Das, was da aus Berlin kommt, ist doch nicht so gut, wie Oest zu kaschieren suchte.
Ebenfalls nominiert wurden die Kandidaten für die Gemeinderatswahl in Markersdorf. Nicht wieder für die CDU antreten werden zur Kreistagswahl die bisherigen Kreisräte Achim Junker, Günter Paulik, Sieglinde Rüdiger, Herbert Runge, René Schöne, Günter Vallentin, Dietmar Buchholz, Siegfried Deinege, Adelheid Engel, Michael Hiltscher, Ulrike Holtzsch und Matthias Lehmann.
Bei den Grünen, die aktuell über fünf Kreisräte verfügen, hebt man zur Kreistagswahl hervor: „Für Bündnis 90/Die Grünen treten im Kreis Görlitz nun 33 Personen, verteilt auf alle Wahlkreise im Landkreis Görlitz, an. (...) Als Bündnisgrüne haben wir die Tradition, dass die Listen für alle offen sind – also auch Nicht-Mitglieder auf der Liste antreten können. Der Wähler findet so auf dem Wahlzettel: In Boxberg, Rietschen, Kreba-Neudorf, Hähnichen, Rothenburg und Niesky – Anett Jagiela, Tobias Schlüter und Kristina Seifert, in Mücka, Hohendubrau, Quitzdorf am See, Waldhufen, Horka, Kodersdorf, Neißeaue, Schöpstal, Vierkirchen, Königshain, Markersdorf und Reichenbach – Janet Conrad und Marcus Kossatz sowie in Görlitz-Nord (Ludwigsdorf, Ober-Neundorf, Klingewalde, Königshufen, Nikolaivorstadt, Historische Altstadt und Innenstadt) – Monique Hänel, Joachim Schulze und Joachim Urban sowie im südlichen Görlitzer Abschnitt (Rauschwalde, Biesnitz, Südstadt, Weinhübel, Deutsch-Ossig, Hagenwerder, Tauchritz, Schlauroth, Klein-Neundorf und Kunnerwitz) – Franziska Schubert, Enrico Deege und Anja Christina-Carstensen.
Außen- und Eigensicht
Auf der dreißigköpfige Landesliste der Grünen für die Landtagswahl sind Franziska Schubert (Listenplatz 3), Carolin Renner (Platz 11) und Steve Grundig (Platz 22) zu finden.
Die Redaktion konnte bei der Zusammenstellung der von den Parteien mitgeteilten Schwerpunkte deutliche Unterschiede erkennen. Die einen bauen vornehmlich auf die Werbung mittels erhofft zugkräftiger Kandidaten, während andere stärker auf programmorientierte Darstellung setzen. Das Onlinetool „Wortliga“ hatte jüngst im Zeichen der vielen in Deutschland anstehender Wahlen analysiert, dass die großen Parteien oft „zu kompliziert kommunizieren. Journalisten verstehen den Jargon zwar, aber die Parteien fördern damit, dass die Sprache in der politischen Berichterstattung kompliziert bleibt.“
Bei den Analysen hinsichtlich der Europawahl, die ebenfalls am 9. Juni ansteht, erreichte das Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen gerade einmal 25,5 Prozent Lesbarkeit, schlechter schnitt nur die AfD mit 23,5 Prozent ab. Die SPD und die FDP erreichten jeweils immerhin 32 Prozentpunkte, während die Linke mit 36,2 Prozent am besten abschnitt. Ein einheitliches Muster ergibt das dennoch nicht, denn im Hinblick darauf, welche Partei ihr Programm am besten in der Öffentlichkeit zusammenfasst belegte die AfD mit 52% die Spitzenposition. Hier waren FDP und BSW die Verlierer. Letztere natürlich mit dem Handicap, aus dem Neustart überhaupt erst einmal eine einheitliche Stimme zu entwickeln.