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Was Oma und Opa oft verpasst haben

Was Oma und Opa oft verpasst haben

Christian Pawelczyk in seinem Reisebüro am Görlitzer Sechsstädteplatz Foto: Till Scholtz-Knobloch

Görlitz. Schlesiens Metropole Breslau ist mit Görlitzer Hilfe wieder um eine Attraktion reicher – die Bustour „Hop-on Hop-off“. Damit können die bekanntesten Attraktionen der 670.000-Einwohner-Stadt auf zwei Buslinien mit insgesamt zwölf Haltestellen erkundet werden. Besucher können aber auch ein- und aussteigen, um die Stadt mit Audioguide im eigenen Tempo zu entdecken. „Wir wollten eine Stadtrundfahrt schaffen, die den Blick der Touristen einfängt und Breslau aus einer neuen Perspektive zeigt“, erklären die Betreiber Christian Pawelczyk und Stefan Menzel.

Ersterer hat im April in Görlitz die Aufnahme seiner Tätigkeit als Reiseveranstalter mit einer Jubiläumsfahrt für treue Kunden und einer Feier in Krummhübel (Karpacz) im Riesengebirge zelebriert. Am 1. April 2004 hatte der Groß Strehlitzer (Strzelce Opolskie) sein Reisebüro mit einem Angebot eröffnet, das sich damals in erster Linie auf schlesische Heimwehtouristen spezialisierte. Seine Idee war aber auch, Menschen neu für Schlesien zu begeistern. So gingen seine ersten Reisen nach Bad Kudowa (Kudowa Zdroj). Dort verbrachte er als Kind bei Verwandten fast alle seine Ferien und kannte den Kurort im Glatzer Bergland wie seine Westentasche. Mit der Zeit folgten aber auch Reiseziele in Tschechien, Deutschland und später Kroatien, Bulgarien, auf den Kanarischen Inseln und sogar auf Kuba, denn „mein Sohn wollte, dass wir auch etwas Verrücktes anbieten. Er leitet ein Reisebüro in Bautzen“, so der Reiseunternehmer Pawel-czyk, dessen Bruder ebenfalls im Tourismusgeschäft tätig ist und unter anderem ein Hotel im pommerschen Swinemünde (Swinoujscie) betreibt.

Die Kundschaft von vor 20 Jahren war eine andere als heute, „es reisten Menschen – zum Beispiel in Richtung Riesengebirge – die noch jeden Ort mit dem deutschen Namen benennen konnten und auch die Sagen von Rübezahl auswendig kannten“, erinnert sich Christian Pawelczyk, der eigentlich Krzysztof heißt, aber von Kind auf nur Christian genannt wurde. Eine Generation weiter ist bei den Kindern derer, die solche Erinnerungen eigentlich noch einbringen sollten, vieles wieder ganz neu. Als seine ersten Reisebusse gen Osten rollten, sorgte er mit seinem Akkordeon für Stimmung. „Wenn ich Glück hatte, war jemanden an Bord, der sich auskannte. Dann musste ich mich besonders anstrengen. Ich hatte im Vorfeld alle Flüsse auswendig gelernt, die wir passieren, aber auch wo die entspringen und münden, damit ich Schlesien aus deutscher Perspektive beschreiben konnte“, sagt der deutsche Oberschlesier. Aber auch wenn es ab und zu einen Fehler gab, habe er ihn mit Heimatliedern und Schlesierlied ‚weggesungen‘, sagt er. Pawelczyk zitiert Gerhart Hauptmann oder Paul Keller aus dem FF. „Aber die neue Generation weiß das alles nicht mehr“, bedauert er. Er fühle sich jedoch nicht dafür zuständig, das verlorene Wissen retten zu müssen: „Man kann es nicht erzwingen, das Interesse muss von selbst kommen. Ich muss feststellen, dass das Geschichtswissen nicht nur um Schlesien, sondern allgemein verloren geht. Ob es so geplant ist oder nicht, das weiß ich nicht“, sagt er fragend.

Auch die Coronapolitk ging an Pawelczyks Unternehmen nicht spurlos vorbei: „Du darfst das Büro nicht öffnen, niemanden treffen, niemandem die Hand geben, Abstand halten – für unsere Branche war das tödlich“. Er vergleicht diese Zeit mit einem rasenden Schnellzug „in dem die Handbremse gezogen wurde und niemand weiß, ob der Zug jemals wieder zum rollen kommt. Als man nach dem Lockdown wieder öffnen konnte, durften nur die Hälfte der Plätze im Reisebus belegt werden – ein Minusgeschäft“, sagt er. Trotzdem seien sie gefahren, „weil wir wollten, dass es sich bewegt“. Pawelczyk musste feststellen, dass jetzt viele Reisende mehr Nähe wollen, „mehr Umarmungen, mehr tanzen“.

Von 2004 bis 2024 habe sein Reiseunternehmen um die 20.000 Kunden betreut. Mit dem Bustouren-Projekt (tourdewroclaw.pl) durch Breslau möchten Pawelczyk und sein guter Unternehmerfreund Stefan Menzel auch erreichen, dass ihr Bus auch als praktisches Verkehrsmittel genutzt werden kann. Dafür bieten sie Tickets mit einer Gültigkeit von 24 bis 72 Stunden an. Die Busse fahren vor der Oper, in der ul. Modrzejewska, ab.

Mit der speziellen Schlesienexpertise, so Pawelczyk, habe er eigentlich nur in Görlitz starten können. Und dieses Konzept gehe auch noch in der Enkelgeneration auf. Aber es wird mühseliger bei Fahrten gen Osten die Lücken zu schließen, die Omas und Opas sich nicht trauten anzusprechen.

Klaudia Kandzia / Till Scholtz-Knobloch / 13.08.2024

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