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Wenn eine Tradition eine Pause einlegt

Wenn eine Tradition eine Pause einlegt

Weihnachtspyramiden werden seit über 200 Jahren in der Cunewalder Christnacht beim Lichterzug verwendet. Ein dreimal größerer Nachbau seiner eigenen Familienpyramide steht jetzt im Garten von Hans-Jürgen Trompler. Foto: privat

Es ist Heiligabend, die 2.632 Sitzplätze in der größten Dorfkirche Deutschlands sind restlos belegt. Die Besucher werden Zeuge davon, wie ein Lichtermeer aus 700 brennenden Kerzen den Altar erhellt. Weihnachtspyramiden, die von Kindern getragen werden, sorgen dafür. Jahrelang hat der Lichterzug Menschen in Cunewalde Hoffnung vermittelt. Im Corona-Jahr jedoch muss eine Alternative her.

 

Alternativer Text Infobild

Nachdem in Cunewalde die Riesenpyramide vor dem Wohnhaus von deren Erbauer Hans-Jürgen Trompler aufgestellt war, wurden bekannte Weihnachtslieder gesungen. Foto: privat

Cunewalde. Die Zahl der Kirchenbesucher wird an diesem 24. Dezember überschaubar sein. Lediglich 500 Sitzplätze hält die Kirchgemeinde in Cunewalde auf telefonische Voranmeldung in dem überdimensional großen Gotteshaus parat. Seit dem 1. Dezember nimmt sie Reservierungswünsche entgegen. Auf den Lichterzug, wie ihn viele Alteingesessene und Weihnachtstouristen seit jeher kennen, verzichten die Verantwortlichen. Keine Kinder begleitet von mit Löschdecken bewaffneten Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr werden in die Kirche einziehen und minutenlang mit ihren Kerzenpyramiden für Helligkeit sorgen, während die Gemeinde „Stille Nacht“ und „Oh du fröhliche“ singt. Die Virus-Pandemie fordert selbst zum Fest der Liebe ihren Tribut.

Doch es gibt eine Alternative, wie Jens-Michael Bierke weiß. Er engagiert sich seit Langem in seiner Heimatgemeinde in verschiedenen Bereichen. „Im Altarraum werden zum Gottesdienstes die Kerzen von bis zu vier Pyramiden brennen“, verriet der 49-Jährige auf Anfrage. Doch der Oberlausitzer muss eingestehen, dass nicht nur für ihn eine Christnacht ohne Lichterzug mit stark eingeschränkter Platzzahl und den geforderten Abständen schwer vorstellbar ist. Deshalb sei er noch am Überlegen, wie der Heilige Abend konkret ausklingen wird. „Zuvor gibt es bestimmt ein festliches Kaffeetrinken und mit einbrechender Dämmerung werden wir gemeinsam an der neuen Riesenpyramide von Hans-Jürgen Trompler die für die Christnacht typischen Weihnachtslieder singen und über die vergangenen Lichterzüge sprechen“, warf Jens-Michael Bierke schon einmal einen Blick voraus. „Seit zehn und sechs Jahren laufen bereits Hans-Jürgens Enkel, August und Frieda, im Lichterzug mit. Sie sind sehr stolz darauf.“ Unvergesslich bleibe beispielsweise der Moment, als sich die Jacke von Altpfarrer Heino Groß entzündete – und das während eines Fernsehdrehs. Auch Fotos und Filme – zahlreiche stammen aus der Kamera des in Bautzen arbeitenden Tourismusexperten – will sich die Familie über die Feiertage gern einmal wieder anschauen. „Das finden wir sehr lustig und man sucht sich auf den Bildern.“

Sie unterhält eine enge Beziehung zu Hans-Jürgen Trompler, dem Schwiegervater von Jens-Michael Bierke. Bereits dessen Eltern und Großeltern hatten daheim ihre Kerzenpyramide. Als Konfirmanden sind sie damit zur Christnacht in die Kirche eingezogen. Nunmehr kam dem 67-jährigen, gelernten Schlosser die Idee, einen ganz besonderen Weihnachtsschmuck für den Garten zu schaffen – einen, der hier in der Oberlausitz verwurzelt ist. Dieser sollte nicht zu klein sein und gut zu seinem Umgebindehaus passen. Ein Großteil des Weihnachtsschmuckes im Ort hätte einen erzgebirgischen Einschlag, wie Jens-Michael Bierke betonte.

„Die Anfertigung der Eichenholz-Spille auf der hauseignen Drehbank, das Aussägen der Ornamente und das Biegen der Kerzenhalter aus Metall waren eine besondere Herausforderung“, lacht der versierte Handwerker Hans-Jürgen Trompler. Seine Frau Marion unterstützte ihn mit einer Konstruktionszeichnung und kümmerte sich um die Dekoration mit extrakleinen Christbaumkugeln, aus denen Ketten herzustellen waren. Wie lange Hans-Jürgen Trompler unterm Strich an seinem Pyramidennachbau gearbeitet hat, blieb unklar. Nur so viel: „Für solch ein Projekt sind 300 bis 500 Arbeitsstunden sicher nicht zu weit gegriffen“, schätzte Jens-Michael Bierke. „Aufgestellt und eingeweiht haben wir die Pyramide am 28. November alle gemeinsam.“

Zum Ursprung der Tradition in Cunewalde gibt es im Übrigen verschiedene Überlegungen. Die einen meinen, das Ganze gehe auf Dorfhandwerker zurück, die sich zu ihrer Zeit, also zu Beginn des 19. Jahrhunderts, mit wiederverwendbaren Pyramiden die jährlichen Anschaffungskosten für einen teureren Weihnachtsbaum ersparen wollten. Jens-Michael Bierke wiederum vertritt die Auffassung, dass sich der Brauch auf schlesische Weihnachtszepter zurückführen lässt. Im heute polnischen, früher evangelisch geprägten Probsthain bei Goldberg (Z³otoryja) seien zuletzt zur Christnacht 1944 die bis zu drei Meter hohen Lichtzepter mitgebracht worden. „Ich nehme an, diese sah zur Napoleonzeit ein Pfarrer, der aus Cunewalde stammte oder hierher versetzt wurde. Auch auf diesem Wege könnte die Pyramidenidee in Form des Lichterzuges zu einem Brauch geworden sein, der heute in Deutschland einzigartig ist. Denn für ein Krippenspiel war die Kirche einfach zu riesig.“

Wer indes auf einen Christnachtbesuch in Deutschlands größter Dorfkirche nicht verzichten möchte, sollte sich beeilen. Unter der Rufnummer (0174) 86 185 61 werden jeweils dienstags und donnerstags von 16.00 bis 18.00 Uhr Platzreservierungen entgegengenommen.

Roland Kaiser / 05.12.2020

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