Wie anfällig ist Görlitz für Stigmatisierungen?
„Wer ist Eugen Böhler? Und wenn ja wie viele?“, fragt sich dieser. Der Niederschlesische Kurier entdeckte lediglich eine ungespaltene Persönlichkeit. Foto: privat
Die öffentliche Demontage verdienter Persönlichkeiten macht auch vor einer Provinzstadt wie Görlitz schon lange nicht mehr Halt. Nun steht mit dem allseits geachteten und umstrittenen langjährigen Görlitzer Familienbeauftragten Eugen Böhler bereits ein Pastor auf der Inquisitionsliste. Der Niederschlesische Kurier besuchte ihn.
Görlitz. Vergangenen Sonntag konfrontierte Eugen Böhler als Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Görlitz seine ’Gemeindeschäfchen’ etwas schmunzelnd mit einer Präsentation in eigener Sache zur Frage: „Wer ist der echte Eugen Böhler? Und wenn ja wie viele?“, fügte er hinzu. Denn scheinbar seien ja Zweifel an seiner Identität aufgekommen und so habe er sich nun kundig gemacht und sei beim Googeln in der Wikipedia auf den Schweizer Ökonomen Eugen Böhler gestoßen, dessen Bild und Lebenslauf er nun an die Wand projizierte.
Bei aller Ernsthaftigkeit eines Mannes des Wortes bewies der Görlitzer Eugen Böhler nun in Bedrängnis, dass er seinen Humor nicht verloren hat. So wie man ihn eigentlich in der Stadt seit jeher kennt: Schlagfertig, witzig, nach Gerechtigkeit trachtend und mit einem unerschütterlichen Gottvertrauen gesegnet. Mit großem Ansehen aus allen politischen Lagern, hatte er bis vor kurzem das Amt des Görlitzer Familienbeauftragten inne. Dass er in der Neuwahl im April nun Ines Mory den Vortritt lassen musste, nimmt er sportlich, denn einWechsel sei in der Demokratie notwendig und auch wünschenswert. Dass jedoch gut einem Monat später eine förmliche Demontage der Person Böhler in der Presse folgte, muss wohl vor dem Hintergrund verstanden werden, dass Böhler eigentlich im Hintergrund schon auserkoren war, den so schwierigen Dialog der sich immer weiter polarisierenden Gesellschaft zu moderieren. Wer sonst schien dafür auch besser geeignet? Dass Böhler selbst konservative Positionen vertritt, wandten Kritiker eher als eigene Positionierung ein, nicht jedoch gegen ihn als integere Person. „Ich habe letztlich in meinem Amt die Interessen aller vertreten“, sagt er und im Grunde hafte ihm das Prädikat konservativ nicht durch sein Tun an, sondern, weil er es 2017 gewagt hatte, eine Schau der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für Schüler auf dem Marienplatz als „Dildo-Geisterbahn“ zu kritisieren.
Nun gut, die Wolllust (Luxuria) zu brandmarken, das muss man einem Pastor wohl zugestehen, schien die Devise zu sein, doch nun geht es scheinbar um eine andere der sieben Todsünden: Den von Böhler beklagten Hochmut.
„Die Maschinerie gegen mich ist nun angelaufen“, stellt Eugen Böhler fest. Das Ganze hängt – wie sollte es auch anders sein – 2021 mit Uniformitätsdruck im öffentlich Sagbaren und dem Umgang mit Corona zusammen. Als heutige Todsünde könnte also gelten, dass man sich auf einer Veranstaltung von Kritikern der Coronapolitik blicken lässt? Das offene Mikrofon bei den Montagsspaziergängen hatte zuletzt medienwirksam auch Oberbürgermeister Octavian Ursu gesucht, der u.a. über Erfahrungen im Görlitzer Krematorium sprach, um anschließend ohne Anhören anderer Wortbeiträge den Sechsstädteplatz zu verlassen. Eugen Böhler betont, dass es natürlich als Mangel angesehen werden kann, dass er es nicht wie Ursu zu Buhrufen geschafft habe. Aber das liege gar nicht am Thema Corona, sondern wohl daran, dass ihn etwas ganz anderes angetrieben habe zum Mikro zu greifen und auch anderen zuzuhören.
„Der gesellschaftliche Querschnitt wird medial nicht mehr abgebildet.“ Die Angst nehme bei immer mehr Menschen zu, falsch verstanden zu werden oder Applaus von der falschen Seite zu bekommen und „letztlich führt dieses Klima zur Konditionierung zum Opportunismus“, so Böhler, der bemängelt, dass früher einmal die Macht der Obrigkeit bloßgestellt wurde, nie jedoch die Kleinen! Nun werde der Kritiker subtil hinterfragt, nicht der Herrschende. Diese subtile Unterstellung habe aber eine lange Tradition der Zerstörung. Er fragt: „Wie beginnt der Sündenfall denn in der Bibel?“ und antwortet selbst: „Die Schlange sagte zu Eva: ‚Sollte Gott gesagt haben?’“. Wer ist der wahre Böhler? War er auch ein Familienbeauftragter für alle?
Die Gesellschaft müsse wieder lernen, sich eigene Meinungen zu bilden, statt Meinungen anzunehmen oder Absichten zu unterstellen. Das Diskussionsklima habe sich stark gewandelt. „Im Stadtrat gab es früher viel offene, leidenschaftliche Debatte, heute ist eher eine verächtliche Ignoranz eingezogen“, stellt er fest und kommt dabei zu seinem Auftritt beim Montagsspaziergang zurück: „Welches andere Format hat heute noch den Mut, im öffentlichen Raum ein offenes Mikro anzubieten mit der expliziten Aufforderung: Tretet mit Kritik ans Mikrofon, selbst wenn ihr dem Anliegen der Veranstalter gegenüber feindlich eingestellt seid? Wie kann man es überhaupt wagen, einen Diskurs zu verweigern?“.
Früher habe es gehießen: „Mit Bomberjacken und Nazis reden wir nicht, heute heißt es: Mit dem Mittelstand, der unsere Meinung nicht teilt, reden wir nicht. Ich würde, um die Extreme zu verdeutlichen, auch zur Antifa oder der NPD gehen“, sagt Pastor Böhler. Wie anders könne er auch handeln, wenn Jesus bereits zum Dialog mit Zöllnern und Prostituierten aufgerufen und mit ihnen gegessen hat und diesen eher einen Platz im Reich Gottes zutraute als hochmütigen Hohepriestern und Pharisäern. „Das ist der Wesenskern der Kirche, von dem wir hier sprechen!“, so Böhler, der fortführt: „Eine schweigende Kirche, die die gesellschaftliche Brisanz nicht mehr verarbeitet, den Querschnitt der Gesellschaft nicht abbildet und ausschließlich die Meinung der Obrigkeit vertritt, hat keine Zukunft. Gott sei Dank gibt es in jeder Konfession noch Menschen, die bereit sind, ihre Stimme gegen den Strom zu erheben, wenn es notwendig ist.“ Manche Zuhörer hörten quasi mit der Strichliste in der Hand seine Predigten, die auch online zugänglich sind. Die bloße Nennung von Bill Gates gilt bereits als Schuldbeweis für eine Verschwörung oder antidemokratische Haltung.
Und so sei die mediale Kritik an ihm zum Teil auch „hochgradig manipulierend. Die Frage ist aber, ob das Handwerk des Journalismus’ mit der Kritik standhält.“ Da müsse ein Bischof ohne jeden Bezug zu ihm als Kronzeuge für eine andere Theologie aufgerufen werden, „aber ich habe keine andere Theologie.“ Ein Bild eines Endzeit-Wahnsinnigen werde gezeichnet, dabei gebe es eine Lehre einer „jetzt endlich“ angebrochenen Endzeit nicht: „Diese Lehre gibt es nicht, sondern es geht darum, wie sich Hinweise auf eine Endzeit entfalten. Jesus sagt zu seinen Jüngern: Wenn ihr grüne Blätter eines Baumes seht, dann wisst ihr, dass der Sommer bevorsteht (Matthäusevangelium 24,32). Es geht also um den Kontext und die Frage, ob wir Signale noch wahrnehmen wollen“.
Die Eschatlologie (also die Lehre der letzten Dinge) sei doch nichts Verwerfliches und schon immer ein Bestandteil der Theologie gewesen. Die Kirchen und Freikirchen ängstigten sich heute vor diesem Thema und hätten darum oft den Bezug zum Hier und Jetzt verloren. „Ich stehe auch zur Endzeittheologie, alle Apostel haben dies zum Thema gehabt. Das biblische Prinzip ist doch einfach“, so der gebürtige Russlanddeutsche, der aus Kasachstan zunächst nach Hessen kam. „Man erntet das, was man sät.“
Die Grundlagen sowohl unseres heutigen Wohlstands, als auch unserer Verfassung seien gleich nach dem Krieg gelegt worden. „Das war eine sehr gute Saat“, so Böhler, der diese jedoch schon länger eingefahren sieht.
Nun befände sich Deutschland in einer Zeit, in der erstmals auch eine „Ernte der Verwirrung“ eingefahren werde, die Folge der viel späteren Aussaat von Hedonismus sei, also der Lehre, das höchste ethische Prinzip sei ein Streben nach Sinneslust und -genuss. „Und weiterhin schütten wir jedes gesellschaftliche Problem heute mit Geld zu, statt Kritik am Wesen des Handelns zuzulassen. Die moderne Instanz für die gesellschaftliche Deutung ist heute ja nicht mehr die Kirche, sondern vielmehr die Presse“, die die Erziehung zum Opportunismus beschleunige. Da sei ihm jedoch unverständlich.
„Dann sollte man aber bitte auch die Sektenvorwürfe- und Rechte, die sich an Luther richten, an mich abtreten, die nehme ich gerne“, kommentiert Eugen Böhler. „Jesus war damals in Augen der Obrigkeit ein jüdischer Sektierer, Luther ein katholischer Sektierer, Zinzendorf ein evangelischer Sektierer. Der von der Stadt posthum entdeckte Jakob Böhme war selbstverständlich auch ein Sektierer und hätte dazu einiges zu sagen. Ich maße mir den Vergleich mit diesen außergewöhnlichen Persönlichkeiten nicht an, weil meine „Bedrängungsqualität“ dafür fehlt, aber das Bedrängungsprinzip ist ähnlich!“. Ihm sei sogar unter Bezug auf den Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, unterstellt worden, Worte des Trostes wie bei Stäblein würden ihm nicht über die Lippen gehen. Eine solche Bezugnahme sei die Spitze der künstlichen Entleerung der Argumente.
„Der Trost im Leben und im Sterben eines Menschen liegt nicht im Opportunismus zum Zeitgeist oder belanglosen Kanzelreden von Wertschätzung und Ermutigung, sondern in der Evangeliumsbotschaft, dass der von den Toten auferstandene Sohn Gottes dem gefallenen Menschen Vergebung und ewiges Leben anbietet, weil er ihn liebt und für das Elend der Welt mit seinem Leben bezahlt hat. Das ist das Evangelium! Das ist im Kern die christliche Trostbotschaft, wie sie auch in der ersten und wichtigsten Frage des Heidelberger Katechismus beantwortet wird. Die wahre Kirche darf niemals opportun sein, sie kann keinen Menschen verloren gehen lassen. Sie geht die von Jesus gebotene Extrameile mit dem Gescheiterten und sie geht an die Ränder der Gesellschaft und der Welt, so der Missionsbefehl Jesu. Sie betont die Freiheit des gefallenen Menschen in Christus und stellt sich auf die Seite derer, die nach Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Versöhnung dürsten. Christus hatte niemals Berührungsängste, was seine Kritiker nicht ertragen konnten, und die Kirche darf diese auch nicht haben. Wenn das Sektiererei sein soll, dann bin ich gerne ein Sektierer“, stellt Eugen Böhler fest und sagt zum Abschied: „Ich bleibe auch weiterhin streitbarer Christ, das Ziel aber des Streites ist Wahrheit, Freiheit und Versöhnung, darum ist es wichtig, dass wir als Gesellschaft im Gespräch bleiben und sei es in einem konstruktiven, fairen Streitgespräch.“ Er stehe dazu jedem unter eugen.boehler@feg.de zur Verfügung.
Kommentare zum Artikel "Wie anfällig ist Görlitz für Stigmatisierungen?"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Ich hatte diesen Artikel schon 2021 gelesen. Es ist vielleicht der einzige lokale Zeitungsartikel, den ich in den letzten 10 Jahren 2x gelesen habe. Ich finde ihn gut geschrieben und unvoreingenommen. Danke für Ihre Arbeit
Lieber Herr Scholz-Knobloch,
ehrlich gesagt habe ich in den letzten Jahren immer mehr den Glauben in den Jurnalismus verloren, da die meisten Artikel die ich laß, nur noch auf Angst, Hass, Denuziation und Lügen basierten. Auf diesem Hintergrund erstrahlt Ihr Artikel um so mehr. Er ist mit Abstand das Besste, Liebste und Wahrste, was ich in den letzten Jahren in einer Zeitung gelesen habe. Eine richtige Perle. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Mut, für echten Jurnalismus einzustehen, auch wenn dies viel Gegenwind bedeuten wird. Doch das ist nun mal das Echo von Wahrheit: "Wahrheiten, die niemanden verärgern, sind meist nur halbe." Jupp Müller
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Gottes Segen. Er lässt sich nichts schenken.
J. Tempel
Eugen Böhler besticht (wohl aufgrund seines christlichen Glaubens) durch einen Pragmatismus, der den Dialog ermöglicht. Zudem tritt die erlösende Botschaft des Evangeliums um so klarer in Erscheinung, da ja in "der Mitte der Gesellschaft" eher Weltuntergangsstimmung und Virenpanik etabliert wurden. Von daher ist es wohltuend, wenn sich Herr Böhler dem Disput / Dialog stellt. Wenn das verteufelt wird (man bedient sich ja in "säkularen" und "wissenschaftsbasierten" Kreisen gerne / zunehmend theologischer Begrifflichkeiten) sagt das weniger über Herrn Böhler als über Diejenigen aus, die meinen über ihn zu Gericht sitzen zu müssen. Ich hoffe, die Gelegenheit zu einem "konstruktiven, fairen Streitgespräch" wird wahrgenommen.
Sehr guter Artikel. Böhlers Aussagen und handeln begründet sich auf die Bibel. Das sollte für alle Menschen die in diesem Land leben die Richtschnur sein. Deshalb ist er für mich glaubwürdig. Seine Predigten führen mich immer wieder zu Jesus und zu den wahren Aussagen des Christentums zurück. Eine solche gottesfürchtige integre Person zu demontieren und mundtot machen zu wollen ist so als wolle man die Grundfesten der Demokratie erschüttern. Das sind Werte wofür unsere Eltern gekämpft haben.
Endlich mal Einer, der gegen den Strom schwimmt. Nur lebendige Fische schwimmen gegen den Strom! Gut dass die Presse auch mal gründlich nachfragt und nicht einfach Mainstream druckt. Leute wie Eugen B. braucht das Land und Journalisten, die solche Leute auch zu Wort kommen lassen.
Sehr gute Stellungnahme. Wir brauchen mehr solche Menschen, die die Grundwerte des Menschlichen Zusammenlebens hoch halten und sich dafür einsetzen. Den Menschen zuhören und sich mit ihnen in den Dialog zu begeben, auch wenn es noch so weh tut, ist die einzige Option in einer Demokratie, um den gesellschaftlichen Frieden zu wahren.
Die Gesellschaft inklusive der Medienlandschaft scheint noch nicht ganz verloren. Irgendwo in der Oberlausitz hat Denken - Mitdenken, Vordenken und Querdenken - noch einen anderen Stellenwert als anderswo. Das ist gut so. Das gilt es zu bewahren. Eine Gesellschaft zeichnet sich nicht dadurch aus, dass immer alle einer Meinung sind. Sondern im Gegenteil: Die Vielfalt der Meinungen macht sie erst interessant. Demokratie heißt eben nicht, dass nur die Mehrheit recht hat. Demokratie sollte eben auch heißen, dass selbst eine Minderheit mit ihren Ideen menschlicher und sachlich korrekter unterwegs sein kann - auch, wenn das die Mehrheit nicht zu verstehen scheint. Erst der Diskurs, der heute all zu häufig abgelehnt wird, kann ein akzeptables Ergebnis bringen. Nicht die Angststrategie. Nicht die Verordnungskeule. Nicht die Bestrafung! Da es leider in unserem Land momentan anders zu sein scheint, bleibt nur zu hoffen, dass die Verantwortlichen hart bestraft werden, um so etwas nie wieder - und schon gar nicht in Deutschland - zuzulassen. Hatten wir nämlich schon und wollen wir nicht mehr!
Toll, dass ein so komplexes Thema in unserem örtlichen NSK behandelt wird und auch gut verständlich.