Wie ein Anker zum Kulturgut wird
Der Löbauer Amtsleiter Guido Storch führte zum Denkmalstag durch die Fabrik.
Die Löbauer Nudelfabrik führte viele Jahre lang ein Mauerblümchendasein. Das soll sich jetzt ändern – und zwar gewaltig.
Löbau. Es passiert nicht oft, dass das beschauliche Löbau den Nabel des Freistaates Sachsen bildet. Beim diesjährigen Tag des offenen Denkmals war dies wieder einmal der Fall. Das Staatsministerium des Innern und das Landesamt für Denkmalpflege nahmen den bevorstehenden Umbau der ehemaligen Nudelfabrik an der Bautzener Straße zum Anlass, die zentrale Eröffnung in der Stadt am Berg zu zelebrieren.
Bei der Löbauer Nudelfabrik handelt es sich aber auch nicht um irgendeinen Industriebau vergangener Tage. Gemeinsam mit dem benachbarten „Nudeldampfer“ – dem weltberühmten Haus Schminke – bildete sie einst eine architektonische und landschaftsbildnerische Einheit. Die Wirren der Zeit sorgten dafür, dass sich beides immer weiter voneinander entfernte – nicht räumlich, aber doch in den Köpfen der Löbauer. Während das Haus Schminke als eines der weltweit vier bedeutendsten Wohnhäuser der Moderne stets im Blickpunkt der öffentlichen Wahrnehmung stand, wurde die Fabrik immer mehr zu einem grauen, gesichtslosen Klotz, zu einer Industriebrache von vielen. Nachdem hier bis 1992 Nudeln produziert worden waren, kam es noch im selben Jahr zur Einrichtung des Lehrbauhofes, der 2010 seine Tätigkeit einstellte. Seitdem stand der ursprünglich als „Loeser & Richter“ bekannte Komplex leer.
Die Chance, die Entwicklung voranzutreiben, bot sich im November 2018, als die Nudelfabrik im Amtsgericht Görlitz zur Zwangsversteigerung stand. Drei – zwei – eins – meins! hieß es, nachdem Oberbürgermeister Dietmar Buchholz 164.000 Euro geboten hatte. „Nun beginnt langsam, aber sicher, ein Zahnrad in das andere zu greifen, um aus dem ehemaligen belebten Fabrikgebäude wieder einen Ort der Begegnung zu machen“, kündigte der OB ein halbes Jahr später an. Ein grober Plan stehe, aber sicher sei noch nichts: „Die Nachnutzung des Gebäudes, das direkt neben dem berühmten Haus Schminke gelegen ist, soll eng mit Nudelfabrikant Fritz Schminke und dessen Liebe zum Bauhaus-Stil verbunden werden.“
Und eben jene Liebe kann man auch heute noch am Gesamteindruck, aber auch an vielen Details des Fabrikkomplexes erkennen.
Bauliche Merkmale des Hauses Schminke finden sich auch in der Fabrik wieder“, erklärt Guido Storch, Amtsleiter in der Stadtverwaltung. Dazu zählen beispielsweise die Glaskörper, die im Lichtkonzept des Wohnhauses eine wichtige Rolle spielen, oder die Bullaugen-Form, die sich an vielen Innentüren der Fabrik wiederfindet – in Verbindung mit dem Anker als Firmensymbol.
Doch die Formenvielfalt und -symbolik geht weit darüber hinaus und manifestiert sich zum Beispiel in nudelartig verdrillten blauen Geländerstangen. „Fabrikant Fritz Schminke legte viel Wert auf Hygiene und auf das Wohlergehen seiner Belegschaft. Dies kann man bei einem Rundgang durch die Fabrik an vielen Stellen erkennen“, so Guido Storch. Das beginnt bei den aufgeweiteten Kellergängen, die das Gefühl der Beklemmung mildern sollten, und setzt sich unter anderem in den großzügigen, Licht durchfluteten Speiseräumen fort. Kurz und gut: Bei der Löbauer Nudelfabrik handelt es sich um ein einzigartiges Beispiel für einen fortschrittlichen Industriebau aus dem frühen 20. Jahrhundert. Die Umgestaltung der Fabrikfassade sowie neue Sozialräume und der Treppenturm stammen von Hans Scharoun, dem Architekten des berühmten Nachbargebäudes.
„Die Nudelfabrik ist nicht nur ein weit über die Stadtgrenzen Löbaus hinaus bekanntes Kulturdenkmal, sondern in Bezug auf Teile der Inneneinrichtung ein wichtiges Zeugnis der Bauhaus-Architektur“, so Thomas Rechentin, Amtschef im Staatsministerium des Innern. Und Landeskonservator Alf Furkert betont: „Ich freue mich, dass es mit der Revitalisierung möglich sein wird, Fabrik und Fabrikantenvilla wieder in ihrem historischen Zusammenhang erlebbar zu machen.“ Doch wie genau soll dies geschehen? „Die Fabrik soll Sitz des Stadtarchivs, des Stadtmuseums und eines Besucherzentrums werden“, so Guido Storch.
Auf 17 Millionen Euro und fünf Jahre werden Zeit- und Geldbedarf des Vorhabens unter dem Titel „Anker Kulturgut“ geschätzt. Nach den nunmehr abgelegten Lippenbekenntnissen sollte klar sein, dass die Stadt Löbau mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen wird.