„Wir hätten Energie gehabt haben hätten“
Beim Vortrag von Frank Hennig (links) im Görlitzer Zeltgarten gab es auch ein Wiedersehen mit einem ehemaligen Kollegen im Kraftwerk Jänschwalde, Arno Kunath aus Görlitz. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Die Kohlekommission hat sich auf ein Konzept für das Ende der deutschen Kohleenergie geeinigt. Das letzte Kraftwerk soll 2038 vom Netz gehen. Vielen Umweltverbänden ist das zu spät. Der gebürtige Görlitzer Kraftwerksexperte Frank Hennig stellt nicht den Klimawandel in Frage, sondern die Strategien der deutschen Energiewende. Mit seiner Kritik ist Hennig zu einer Symbolfigur gegen Realitätsverweigerer geworden.
Görlitz. „Aus der Mühle schaut der Müller, der so gerne mahlen will. Stiller wird der Wind und stiller, und die Mühle stehet still. So gehts immer, wie ich finde, rief der Müller voller Zorn. Hat man Korn, so fehlt’s am Winde, hat man Wind, so fehlt das Korn“, reimte schon Dichterzeichner Wilhelm Busch (Max und Moritz) vor über einem Jahrhundert. An der Gültigkeit der Naturgesetze habe sich in dieser Zeit auch nichts geändert, eröffnet Frank Hennig einen Vortrag im Görlitzer Zeltgarten mit dem Thema „Dunkelflaute – warum sich Energie nicht wenden lässt“.
Frank Hennig hat es zu einiger Bekanntheit gebracht und füllt auch in seiner Heimatstadt den Saal. Sein „ABC von Energiewende und Grünsprech“ fiel als pointierte und wissenschaftlich untermauerte Abrechnung mit der deutschen Energiewende dem ehemaligen Chefredakteur der Wirtschaftswoche Roland Tichy auf, der gerade sein Onlinemagazin Tichys Einblick – gegen jeden Trend – als Printpolitmagazin auf dem Markt platzierte. Die Kolumne ist ein Herzstück des aufstrebenenden Monatsmagazins geworden, das Spiegel und Focus zunehmend Leser abspenstig macht.
Außerhalb der Leitmedien bleiben im Segment der wunschverliebten Energiepolitik Auftritte schwierig. Hennig war immerhin Gast bei der Konrad-Adenauer-Stiftung oder bei der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie. Während die deutsche Medienlandschaft mit Leuten wie Hennig, die irgendwie nicht auf Linie wollen, fremdelt, wurde kein geringerer als der arabische Nachrichtensender Al Jazeera aus dem Emirat Katar auf den Görlitzer aufmerksam.
Die vor Energie überberstenden Anrainer des Persischen Golfs stellten sich nämlich die Frage, was da in Good Old Germany für eine merkwürdige Energiedebatte ablaufe und heuerten Hennig als Protagonist eines Beitrages an, der die Seelen- und Faktenlage im Abendland überhaupt erst mal für den verwirrten Orientalen sortieren sollte. In Görlitz war es letztlich die AfD, die den zu einigen Ehren gekommenen Sohn der Stadt zum Vortrag einlud.
Hennig stellt aber ganz nüchtern klar, er erfülle nicht die Erwartungshaltung derer, die den Klimawandel in Frage stellen wollten. Ihm gehe es einzig um Abwägungen, ob eine Strategie ein sinnvolles Instrumentarium ist, um die Umwelt zu schonen und zugleich die Energieversorgung eines industriell geprägten Landes sicherzustellen.
Die Beiträge zur „Dunkelflaute“ in Tichys Einblick sind mittlerweile als gleichnamiger Buchtitel (ISBN 978-3-95972-062-5) im Handel erschienen. „Ein Buch ohne Handlung und Happyend“, nennt der Autor schmunzelnd sein Werk, zu dem ihm weitere Kapital jeden Monat in den Schoß fallen würden.
„Ich habe noch keine vollständige Auswertung der über 300 Seiten des Abschlussberichts der Kohlekommission vorgenommen. Mir ist aber beim ersten Lesen mit Schrecken aufgefallen, mit welch unstrukturiertem Wunschzettel wir es hier zu tun haben, der mit blumigen Worten und vielen Überschriften eine innere Struktur suggerieren will“, beschreibt Frank Hennig gegenüber dem Niederschlesischen Kurier wenige Tage nach dem Vortrag Ende Januar in Görlitz den „Leitfaden“ zum Kohleausstieg, den die Bundesregierung von einer umstritten zusammengesetzten Kommission selbst in Auftrag gegeben hatte.
Hennig hat zunächst im VEB Waggonbau gelernt und anschließend Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung in Zittau studiert. „Nicht ganz freiwillig“ wurde er danach in verantwortlicher Position an das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde bei Cottbus abgeordnet, das 2012 die Energieversorgung von Dänemark und der Slowakei hätte sicherstellen können. Und so hatten sich auch Interessenten über Boxberg und Hoyerswerda/Schwarze Pumpe hinaus bis in die Niederlausitz hinein zum Vortrag nach Görlitz eingefunden.
Zum Stichwort Boxberg merkt Hennig an. Politiker „Anton Hofreiter beklagt ja eine angebliche Nichtregelfähigkeit der Kohlekraftwerke. Tatsächlich kann man in Boxberg pro Minute die Leistung um 3% hochfahren, in Irsching an der Donau sogar um 6% pro Minute!“. Und solche Optionen seinen eben dringend notwendig, da – wie schon Wilhelm Busch wusste – nicht ständig der Wind weht oder die Sonne scheint. Neue alternative Energiequellen schaffen damit im Grunde nur neue Überkapazitäten zu meist nachfragearmen Tageszeiten, „während die Haushalte eben abends nach Sonnenuntergang die Funzel einschalten und dann mehr Strom verbrauchen“. Selbst auf See sei entgegen der Annahme vieler die Windkraft nicht stabil, womit Süddeutschland auch bei sehnsüchtig herbeigesehnten Stromtrassen nicht ausreichend beliefert werden könnte. „Viele Naturschützer sind sich überdies gar nicht im klaren, was schon bald mit der Entsorgung der ersten Windräder auf uns zukommt, die ausgedient haben“, merkt Hennig an. Hier seien großflächig Verbundstoffe im Einsatz, die für die Umwelt hochgradig gefährlich seien und für die es heute noch keine echte Entsorgungsstrategie gäbe.
Frank Hennig empfiehlt „klimareligiösen Politikern der reinen Wind- und Sonnenlehre“, die im Hinblick auf die Energieversorgung anderes behaupten, sich für die Einführung des „Futur 3“ in der deutschen Grammatik einzusetzen. Wenn der Wunsch ausreiche, müsse man eben auch klar formulieren: „Wir hätten morgen Strom gehabt haben hätten“. Unter seinen Berufskollegen mühe man sich ein gequältes Lächeln über den Running-Gag vom „Annalenismus“ ab. Mit diesem Begriff werde die Eigenschaft des Stroms beschrieben, sich quasi selbst im Netz zu speichern. Der Terminus leite sich von der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock ab, die diese Eigenschaft des Stroms postuliert habe.
Und so sei Deutschland weltweit als einziges Land auf die Strategie eingeschwenkt, eine Energiewende mit einem gleichzeitigen Ausstieg aus der Kohle- und der Kernenergie vollziehen zu wollen. „Für den Kunden kann das nur teuer werden, für die Netzstabilität fatal und angesichts von Hertz-Schwankungen im Netz könne dies für viele Unternehmen Produktionsausfälle bedeuten, wenn die Versorgung der Haushalte noch nicht gefährdet ist und die Allgemeinheit zunächst noch gar nichts spürt“, merkt ein Diskutant nach dem Vortrag an. Überdies: Die Strompreise sind in den vergangenen 10 Jahren laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) um satte 27 Prozent gestiegen.
Frank Hennig bestätigt letztlich die Schlussfolgerung des Diskutanten, dass Glaube und Hoffnung die eigentlichen Säulen der deutschen Energiewende seien, die wieder einmal einen bei den Nachbarn gefürchteten deutschen Sonderweg bedeuteten. „Natürlich ist es im Interesse der Umwelt erstrebenswert Emissionen zu senken, aber eben nicht mit der Brechstange der Hoffnung. Es ist eine menschliche Eigenschaft, dass man immer einen Hauptschuldigen anprangern möchte – früher waren das einmal die Hexen“, meint Hennig.
Die Öffentlichkeit habe eine enorme Glaubwürdigkeitsbereitschaft Hoffnung mit Realität zu verwechseln. So hätte ein Erfinder es 2011 mit der Idee bis in Wissenschaftsmagazine gebracht, Mondlicht mittels einer formschönen Solarkugel zu bündeln, um daraus Energie zu gewinnen.
Mit schönen Worten versprach er: „Egal ob die Sonne scheint oder der Himmel wolkenverhangen ist: Unsere Kugeln produzieren immer Strom“. Bei aller Bündelung – der Ausgangspunkt der Lichtquelle Mond liegt bei einer Promille vom Mittagslicht. Per Crowdfunding kamen für die Firmenidee 200.000 Euro zusammen, mit denen sich der Erfinder konsequenterweise absetzte.
In der ebenso aufgeladenen Atmosphäre eines eigentlich längst angebahnten Urteils und im Einsatz gegen Spaßverderber aus der Praxis werde es trotz des nun gefundenen Kompromisses auch keinen wirklichen Frieden in der Sachen des Kohleausstieges 2038 geben. „Die radikalen Ökoaktivisten von ’Ende im Gelände’ werden im Hambacher Forst vielleicht von den Bäumen steigen, dann aber bei uns in der Lausitz auftauchen“, prophezeite Hennig.
Vermutlich sogar mit Beifall weiter Teile der Öffentlichkeit. Angesichts fertiger Meinungsbilder hatte zuletzt die „Gegenseite“ unter „Pro Lausitzer Braunkohle“ in einer Pressemitteilung vom 5. Februar festgestellt: „Mit großer Sorge haben wir die erneut tendenziöse Berichterstattung im rbb, in diesem Fall in der Nachrichtensendung Brandenburg Aktuell vom 4. Februar 2019, zum Lausitzer Braunkohlerevier wahrgenommen. Wir bitten den Rundfunkrat des rbb um eindringliche Prüfung, inwieweit Redaktion und Moderation hier in Widerspruch zum rbb-Staatsvertrag (...) handeln.
Die Prophetie Hennigs der fehlenden Kompromissakzeptanz bewahrheitete sich übrigens bereits nach wenigen Tagen. Kurz vor Redaktionsschluss sind nach Baggerbesetzungen in Jänschwalde und Welzow-Süd in der Niederlausitz die ersten Aktivisten bereits dem Haftrichter vorgeführt worden.
Kommentare zum Artikel "„Wir hätten Energie gehabt haben hätten“"
Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.
Der Artikel beschränkt sich auf die Wiederholung der wohlklingendsten Sprüche Hennigs, daher möchte ich einmal ergänzen, was ich von diesem Abend sonst noch mitgenommen habe.
Da wurde etwa die Lastregelbarkeit der Braunkohlekraftwerke ausführlich dargestellt. Dass die Braunkohle die mit Abstand schlechteste CO2-Bilanz und den schlechtesten Heizwert der fossilen Brennstoffe hat, kam hingegen nicht zur Sprache. Da wurden die ungeklärten Entsorgungsmöglichkeiten der Windkraftanlagen betont, nicht aber jene der ausgedienten Kohle- und Kernkraftwerke.
Auf die Durchleitungsdefizite und den immensen Verwaltungs- und Gesetzesaufwand für die erneuerbaren Energien wurde höhnisch eingeprügelt. Richtig wäre die Feststellung gewesen, dass die Politik irrtümlicherweise auf die Förderung der konkurrenzschwächsten Energien in Deutschland gesetzt hat, anstatt die zu erreichenden Ziele vorzugeben und die Wirtschaft den Weg dorthin im Wettbewerb untereinander selber finden zu lassen. Dass Deutschland hier einen neuen Weg beschreitet und Fehler kaum vermeidbar sind, ist naheliegend. Dass Hennig mit der Energiepolitik der Regierenden nicht einverstanden ist, dürfte allen Hörern ebenso klargeworden sein. Gern hätte ich nun aber auch gehört, wie er sich denn die Zukunft der deutschen Energiewirtschaft auf der Basis einer fortlaufenden Braunkohleverstromung vorstellt, statt lediglich seinem Moritatengesang lauschen zu dürfen. Dahingehend kam aber leider nichts Substantielles. Dass in Phasen der Nichtleistung von Wind und Solar ein Ausgleich auch der Spitzenlast durch Biomassekraftwerke mittlerweile technisch möglich, ökologisch vorteilhaft und wirtschaftlich sinnvoll ist, scheint bei einigen Technikern des Karbonzeitalters noch nicht angekommen zu sein.
Der Ausstieg Deutschlands aus der Kernkraft wurde als ideologischer Irrweg abgewatscht, während andere Länder hoch gelobt wurden, die mit Kernenergien weiter experimentieren. Russland etwa habe jüngst den Schnellen Brüter gemeistert. Klingt großartig, nur wurde das Thema Umgang mit radioaktiven Abfällen überhaupt nicht gestreift, abgesehen von dem zynischen Kommentar, in Norwegen zögen die Menschen gerne an die Endlager, weil dort sichere Arbeitsplätze zu erwarten seien. Tatsächlich? Erwartet sie dort eine strahlende Zukunft? Wie der Herr Ingenieur sich die Behandlung des radioaktiven Mülls vorstellt, die bei energiepolitischen Milchmädchenrechnungen gerne einmal unter den Tisch fallen, davon erfuhren wir eben leider nichts. Selbst der AfD sollte klar sein, dass man ausgedienten Atommüll nicht mal eben so flott in Anatolien entsorgen kann, wie sie das für andersdenkende Politikerinnen vorgeschlagen hat.
Fazit: man pickte sich die Schwächen der Konzepte der anderen heraus, blähte sie auf, ummantelte das Ganze mit Zahlen und schreie laut „das wollen wir nicht mehr!“ Was man stattdessen will, wie die eigenen Lösungen denn so aussähen und wie sie sich umsetzen lassen sollten, davon erfuhr man eigentlich gar nichts. Hennig, so heißt es, "erfülle nicht die Erwartungshaltung derer, die den Klimawandel in Frage stellen wollten. Ihm gehe es einzig um Abwägungen, ob eine Strategie ein sinnvolles Instrumentarium ist, um die Umwelt zu schonen und zugleich die Energieversorgung eines industriell geprägten Landes sicherzustellen." Schön gesagt, dennoch hat er sich mit diesem Vortrag sehr wohl zum Sachwalter der Klimaleugner gemacht. Für eine zielführende Diskussion genügt der Vorwurf „Ihr anderen macht nur Unsinn!“ absolut nicht. Vielmehr hat der Kritisierende darzulegen, wie er sich eine bessere Lösung vorstellt, und dieser Lösungsvorschlag sollte ein realisierbares und sinnvolles Instrumentarium beinhalten. Dazu jedoch kam in diesem Vortrag gar nichts. Die AfD, die zum Vortrag eingeladen hat, „steht zur Kohle“ - hat sie die Folgeschäden dabei mit eingerechnet?