„Wir können es nicht laufen lassen“
Laut Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bedarf es eines „harten und klaren Wellenbrechers“, damit die Lage im Freistaat am Ende nicht unbeherrschbar wird. Foto: Archiv/Pawel Sosnowski
Region. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat angesichts der dramatischen Corona-Lage im Freistaat ein entschiedenes und gemeinsames Vorgehen aller Menschen und Verantwortlichen hierzulande gefordert. „Wir brauchen den solidarischen Zusammenhalt – vom Ich zum Wir ist jetzt das Gebot der Stunde. Nur so schaffen wir es“, sagte er am Donnerstag im Sächsischen Landtag während einer aktuellen Debatte zur Corona-Pandemie. Der Regierungschef verwies darauf, dass sachsenweit 1,2 Millionen Menschen noch nicht geimpft sind - darunter 300.000 der über 60-Jährigen. Er gehe davon aus, dass diese Menschen in den nächsten Wochen und Monaten erkranken. Trotz vielfältiger Aufklärungsaktionen sei die Impfquote mit 57 Prozent bundesweit am niedrigsten, die Sieben-Tage-Inzidenz mit aktuell rund 760 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner am höchsten. Es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen der geringen Impfquote und dem Infektionsgeschehen. Zum Vergleich: Der Bundesschnitt lag zur gleichen Zeit bei 336,9.
Zugleich ging er auf die Äußerungen von Wissenschaftlern und Ärzten ein, die vor einer Überlastung der Krankenhäuser und vielen weiteren Toten warnen, wenn nicht schnell und entschlossen gehandelt werde. Bereits jetzt sei die Situation in Sachsens Krankenhäusern teilweise dramatisch. Kretschmer verglich in dem Zusammenhang die derzeitige Situation mit bereits gebrochenen Dämmen bei Hochwasserkatastrophen und mahnte: „Wir können es nicht laufen lassen.“ Es brauche dringend jetzt ein Eingreifen und ein deutliches Reduzieren der Kontakte um 60 Prozent. Die Koalition in Sachsen sei bereit, einen „harten und klaren Wellenbrecher“ für zwei oder drei Wochen zu organisieren. Es sei auch eine Entscheidung darüber, wie viele Menschen weniger in den nächsten Tagen und Wochen in die Krankenhäuser, auf die Intensivstationen müssten und „wie viele Menschen weniger sterben werden“. Michael Kretschmer rief dazu auf, Verantwortung in dieser kritischen Lage für dieses Land zu übernehmen. Man habe es mit einer gemeinsamen Herausforderung zu tun. Gemeinsam gelte es, Schaden abzuwenden.
Seit Ausbruch der Pandemie starben nach Angaben des Sozialministeriums in sächsischen Städten und Gemeinden bereits 10.597 Menschen. Die Inzidenz bei den Ungeimpften liege mit 1.800 um ein Vielfaches höher als bei den Geimpften.
Ungeimpfte bleiben ab Freitag in vielen Bereichen außen vor
Kritik kommt unterdessen aus Teilen der Bevölkerung. Die Menschen fragen sich, was die Landesregierung unternommen hat, um eine „vierte Welle“ zu vermeiden. Dazu verlautete aus Dresden: „Die Staatsregierung hat mit ihrem Herbstplan bereits frühzeitig eine Strategie vorgelegt, mit der auf die derzeit zu beobachtenden steigenden Infektionsfälle reagiert werden kann“, teilte ein Behördensprecher Alles-Lausitz.de mit. „Diese umfasst neben der Fortführung der Impfkampagne, ebenfalls Maßnahmen, die einer Überlastung der sächsischen Versorgungsstrukturen entgegen wirken sollen.“ Gleichzeitig verwies das Haus von Ministerin Petra Köpping auf eine Medieninformation vom 20. Juli 2021. Sie selbst beurteilte die aktuelle Lage als „dramatisch“. „Wir haben nun unseren höchsten Grenzwert erreicht. Das ist wirklich der letzte Warnschuss. Jeder und jede muss sich an die Corona-Regeln halten, sonst kommen wir nicht durch den Winter“, betonte die SPD-Politikerin in dem Zusammenhang.
Bevor nun ein möglicher neuer Lockdown für alle greifen könnte, gibt es nach dem erfolgten Überschreiten der Überlastungsstufe bereits ab dem morgigen Freitag neue Regeln im Freistaat, die vor allem Ungeimpfte treffen. Das bedeutet, dass in sämtlichen Angeboten und Einrichtungen, die ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 35 zur Einführung einer 3G-Zugangsregelung verpflichtet waren, dann nur noch der Zugang allein Geimpften oder als genesen geltenden Personen möglich ist. Nach Auskunft des Sozialministeriums gilt das unter anderem für den Zugang zur Innengastronomie, die Teilnahme an Veranstaltungen und Festen in Innenräumen, die Inanspruchnahme körpernaher Dienstleistungen mit Ausnahme von medizinisch notwendigen Behandlungen, den Besuch in Freudenhäusern, den Sport im Innenbereich, den Zugang zu Hallenbädern und Saunen aller Art, den Zugang zu Kultur- und Freizeiteinrichtungen im Innenbereich, den Zugang zu Spielhallen, Spielbanken und Wettannahmestellen im Innenbereich, die Teilnahme an touristischen Bahn- und Busfahrten - auch im Gelegenheits- und Linienverkehr - sowie den Zugang zu Diskotheken, Clubs und Bars im Innenbereich. Darüber hinaus bleibe das bereits während der geltenden Vorwarnstufe bestehende Zutrittsverbot für ungeimpfte und nicht genesene Personen zu Großveranstaltungen auch während der Geltung der Überlastungsstufe bestehen. Ausnahmen von der 2G-Pflicht gelten weiterhin für Jugendliche bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres und Personen, für die seitens der Ständigen Impfkommission (STIKO) keine Impfempfehlung vorliegt.
Ebenfalls eine Änderung erfahren die mit der Vorwarnstufe in Kraft getretenen Kontaktbeschränkungen. Private Treffen im öffentlichen und privaten Raum sind nur noch zwischen einem Hausstand und einer weiteren ungeimpften Person zulässig. Jugendliche bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres werden hier ebenso wie Geimpfte und Genesene nicht mitgezählt. In der Überlastungsstufe ist zudem das 2G-Optionsmodell nicht mehr möglich. Versammlungen sind ausschließlich ortsfest zulässig und auf eine Teilnehmerzahl von maximal 10 Personen begrenzt.
Sorge vor neuen Ladenschließungen
Kritik an den jüngsten Corona-Maßnahmen kommt indes vonseiten der AfD. „Deren neuerliche Verschärfung erfolgt einseitig, massiv zu Lasten des Einzelhandels“, meinte der Bautzener Landtagsabgeordnete Frank Peschel in Hinblick auf verschiedene Medienberichte. „Bereits die letzte staatliche verordnete Schließung hat beim Einzelhandel, auch in Bautzen, für Geschäftsaufgaben gesorgt. Nun wird in der wichtigen Weihnachtszeit abermals die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit einzelner Unternehmen gefährdet. Mit der neuen 2G-Regel entsteht dem Handel ein Umsatzverlust bei gleichzeitiger Beibehaltung aller Kosten wie Miete, Personal und Energie.“ Die Einführung von 2G beim Handel sei daher unsinnig. Nachweislich gesunde Bürger würden vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Das sei inakzeptabel. Der Landespolitiker gab außerdem zu bedenken, dass aufgrund der Maskenpflicht und der überwiegend kurzen Verweildauer gerade in Bau- und Gartenmärkten das Infektionsrisiko dort „sehr gering“ sei.
Die Industrie- und Handelskammer in Sachsen erteilte 2G im Einzelhandel ebenfalls eine Abfuhr. „Pauschale Einschränkungen und Verbote für nicht geimpfte Personen in Verbindungen mit einer Ausweitung der Zutrittsverbote für einzelne Branchen bewerten wir äußerst kritisch, da die Wirkung solcher Maßnahmen nicht belegbar ist, beziehungsweise für wissenschaftlich untersuchte Wirtschaftsbereiche wie den Einzelhandel bereits widerlegt wurde“, erklärte Detlef Hamann, Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden und Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der IHKs im Freistaat. „Stattdessen sollte eine 3G-Regelung in Betracht gezogen werden, die für die betroffenen Händler zwar einen enormen Kontrollaufwand bedeuten, die ansonsten bei 2G zu erwartenden wirtschaftlichen Schäden jedoch abmildern würde.“
Bundestag beschließt Gesetzesnovelle
Ungeachtet dessen ist in Berlin am Donnerstag mit den Stimmen der künftigen möglichen Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Bündnisgrünen ein neues Infektionsschutzgesetz verabschiedet worden. Passiert es am Freitag auch den Bundesrat und tritt es danach in Kraft endet gleichzeitig in Deutschland die epidemische Notlage zum 25. November.
Allerdings gab es für diesen Vorstoß bis zuletzt heftigen Gegenwind aus Unionskreisen. Geht es nach CDU und CSU, so sollten bei der Pandemiebekämpfung die Parlamente, wie es seit dem Frühjahr 2020 der Fall ist, weiterhin zurückstecken. Die Entscheidungshohheit bliebe somit bei den Landesregierungen.
Wie unter anderem die ARD berichtet, handelt es sich bei dem Gesetzeswerk um einen Katalog von Maßnahmen, der sich von der bisherigen Rechtslage vor allem darin unterscheidet, dass die Bundesländer keine generellen Schließungen von Schulen, Geschäften, Gastronomie oder Sportstätten mehr anordnen können. Neu eingeführt werde bundesweit die 3G-Regelung im öffentlichen Personenverkehr. Diese gelte auch für den Arbeitsplatz, schreibt das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Beschäftigte, die sich weigern, müssen demnach im Homeoffice arbeiten oder anderswo eingesetzt werden. Auch generell gelte wieder eine Homeoffice-Pflicht. Wo es seitens des Arbeitgebers und der Beschäftigten möglich ist, soll von zu Hause aus gearbeitet werden. Für Heime und Gesundheitseinrichtungen würden künftig Testpflichten gelten. Die Länder können auch weiterhin Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum anordnen.